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OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 13.02.2019 - 1 B 42/19; 1 B 43/19 - asyl.net: M27144
https://www.asyl.net/rsdb/M27144
Leitsatz:

Duldung für ausgewiesenen Vater für den Zeitraum des familienrechtlichen Umgangsverfahrens:

Eine Abschiebung ist für einen Vater während des familiengerichtlichen Verfahrens, in dem es um den zukünftigen Umgang mit seiner Tochter geht, wegen der Schutzwirkungen der Art. 6 GG und Art. 8 EMRK rechtlich unmöglich. Ihm ist für die gesamte Dauer des Verfahrens eine Duldung zu erteilen.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Duldung, Umgangsrecht, Familienrechtsstreit, Ausweisung, einstweilige Anordnung, Sorgerechtsverfahren, Sorgerecht, Umgang,
Normen: EMRK Art. 8, GG Art. 6, AufenthG § 60a,
Auszüge:

[...]

Eine Abschiebung des Antragstellers ist wegen der Schutzwirkungen des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK in der Form des Schutzes des Familienlebens für die Dauer des anhängigen familiengerichtlichen Verfahrens (...) rechtlich unmöglich.

Die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 06.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - Juris Rn. 21 f., 24 ff.) gegenüber den allgemeinen einwanderungspolitischen Belangen der Zuzugsregelung und -beschränkung von Ausländern vorrangig am Kindeswohl zu messen. Dies gilt nicht nur dann, wenn das Kind mit seinem ausländischen Elternteil in einer "funktionierenden" Eltern-Kind-Beziehung lebt. Auch der Umgang des Kindes mit dem getrennt lebenden Elternteil ist für die Entwicklung und das Wohl des Kindes grundsätzlich von herausragender Bedeutung (§ 1626 Abs. 3 BGB), und es dient in der Regel ganz wesentlich dem Bedürfnis des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung, Beziehungen auch zu diesem Elternteil aufzubauen und zu erhalten.

Die Schutzwirkungen des Art. 6 GG, Art. 8 EMRK in der Form des Schutzes des Familienlebens greifen dabei nach der Rechtsprechung des EGMR bereits auch, wenn ein familiengerichtliches Verfahren noch anhängig ist, und können für dessen Dauer eine Abschiebung rechtlich unmöglich machen. Das in Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Familienlebens legt dabei den innerstaatlichen Behörden auf, das Verfahren, das zu einem Eingriff in das geschützte Recht führt, fair und in einer Weise auszugestalten, dass die von Art. 8 EMRK geschützten Interessen ausreichend berücksichtigt werden. Ausländerrechtliche Maßnahmen haben insoweit zu berücksichtigen, dass dem Betroffenen nicht alle Möglichkeiten sinnvoller Beteiligung an einem familiengerichtlichen Verfahren genommen werden, für welche die Verfügbarkeit des Ausländers von entscheidender Bedeutung ist. Maßnahmen der Ausländerbehörde und der mit dem Ausländerrecht befassten Gerichte dürfen dabei nicht zu einer de facto Entscheidung in einem Verfahren wegen des Umgangsrechts führen, es also nicht präjudizieren (vgl. EGMR, Urt v. 11.07.2000 - 29192/95; Ciliz ./. Niederlande - NVwZ 2001, 1547).

Vorliegend würde eine Abschiebung des Antragstellers vor Abschluss des familiengerichtlichen Verfahrens auf Einräumung eines Umgangsrechts die Durchsetzung seiner Interessen im familiengerichtlichen Verfahren und an der Wiederherstellung eines Kontaktes zu seinem Kind hindern bzw. zumindest wesentlich erschweren. Dem Antragsteller kann auch nicht entgegengehalten werden, er sei bereits persönlich angehört worden und werde im Weiteren durch einen Prozessbevollmächtigten hinreichend vertreten.

Nach telefonischer Auskunft des zuständigen Familienrichters gegenüber dem Senatsvorsitzenden (vgl. den zweiten Vermerk zum Az. 1 B 42/19 vom 13.02.2019) wird nunmehr zeitnah mit der Kindesmutter die Möglichkeit eines begleiteten Umgangs des Kindes mit dem Kindesvater erörtert. Sollte die Kindesmutter einem engmaschig begleiteten Umgang des Antragstellers mit dem Kind zustimmen, würde eine solche Umgangsregelung vom Familiengericht voraussichtlich getroffen werden. Sollte die Kindesmutter einem begleiteten Umgang nicht zustimmen, wäre voraussichtlich ein Gutachten einzuholen. Erfahrungsgemäß erfordere ein solches Gutachten ca. zwei bis drei Explorationsgespräche zwischen Gutachter und Kindesvater.

Die Verfahrensweise würde nach Auffassung des Senats durch die Abschiebung unmöglich gemacht. Auch wenn einzelne Gespräche mit dem Gutachter möglicherweise auch telefonisch durchgeführt werden könnten, ist doch der persönliche Eindruck des Gutachters vom Elternteil bedeutsam. Ob die Antragsgegnerin für solche Termine regelmäßig eine Betretungserlaubnis erteilen wird, kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit prognostiziert werden. Eine Reise des Gutachters nach Mazedonien erscheint praxisfremd. [...]