VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 03.04.2019 - 3 A 212/17 - asyl.net: M27201
https://www.asyl.net/rsdb/M27201
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für Person aus Côte d'Ivoire wegen psychischer Erkrankung:

Für eine Person, die psychisch schwer erkrankt ist und deshalb einer zuverlässigen medikamentösen und engmaschigen Psychotherapie bedarf, liegt ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Denn in der gesamten Côte d'Ivoire ist keine adäquate psychotherapeutische Langzeitbehandlung zu erlangen. 

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Côte d’Ivoire, krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung, Versorgungslage,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Festzustellen ist jedoch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthG betreffend die Klägerin hinsichtlich der Elfenbeinküste. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Klägerin hat im gerichtlichen Verfahren durch hinreichend aktuelle, qualifizierte ärztliche Atteste (vgl. § 60a Abs. 2c AufenthG) vom ... 2019 und ... 2017 im Zusammenhang mit den bereits im Verwaltungsverfahren eingereichten umfassenden Unterlagen belegt, dass sie an einer manischen und schizoaffektiven Störung leidet, die ständiger und vor allem zuverlässiger medikamentöser und engmaschiger begleitender Psychotherapie bedarf. Ausweislich der vorgelegten Atteste würde eine Nichtbehandlung die Gesundheit der Klägerin in zeitlichem Zusammenhang mit einer Abschiebung in die Elfenbeinküste wesentlich verschlechtern, was im Hinblick auf wiederkehrenden Trance- und Besessenheitszustände der Klägerin unter Berücksichtigung der allgemeinen Sicherheitslage in der Elfenbeinküste unmittelbar lebensbedrohliche Folgen haben kann. Nach Auswertung der vorliegenden und in die mündliche Verhandlung eingeführten Erkenntnismittel (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 03.08.2018, S. 15; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Elfenbeinküste, Stand: 30.03.2018, S. 23f) wird für die Klägerin in der gesamten Elfenbeinküste keine adäquate psychotherapeutische Langzeitbehandlung zu erlangen sein. Nach dem unmittelbaren persönlichen Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen hat, und nach Auswertung der fachmedizinischen Unterlagen sowie der Stellungnahme ihrer langjährigen Betreuerin bedarf die Klägerin für nahezu sämtliche Vorgänge des täglichen Lebens, die über die unmittelbare Bedarfsbefriedigung wie Nahrungsaufnahme und Körperpflege hinausgehen oder gar Planung und Organisation verlangen, umfassender Hilfestellung, wobei gegenwärtig eine positive Entwicklung dergestalt festzustellen ist, dass sie im Moment in der Lage ist, sich mit Unterstützung von Betreuerin und Ehemann hinreichend zuverlässig um ihren vier Monate alten Sohn zu kümmern.

Weder allein noch mit Unterstützung durch ihren Ehemann könnte die Klägerin in der Elfenbeinküste ihren Alltag bewältigen oder sich gar um eine auch nur rudimentäre medizinische Hilfe kümmern. Zum einen würde die Last der verantwortlichen Versorgung der beiden Söhne auf dem Ehemann der Klägerin ruhen, der sich mithin nicht darum kümmern könnte, auch nur ansatzweise den Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen, zum anderen wäre - wie bereits dargelegt - auch bei Anwesenheit von Ehemann und Kindern für die Klägerin keine auch nur ansatzweise adäquate medizinische Betreuung verfügbar, so dass sie angesichts des dramatischen Ausmaßes ihrer Krankheitssymptome ohne fachmedizinische Hilfe - neben der Fremdgefährung z.B. ihrer Familie - mental nicht "erreichbar" und damit ohne Nahrungszufuhr unmittelbar in einen lebensbedrohlichen Zustand gelangen würde. [...]