OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.02.2019 - 3 B 27.17 - asyl.net: M27221
https://www.asyl.net/rsdb/M27221
Leitsatz:

Keine Flüchtlingsanerkennung für Leiter einer Finanzbehörde aus Syrien:

Einem in Syrien tätigen Leiter einer Finanzbehörde, der nicht an Demonstrationen zur Unterstützung der Regierung teilgenommen hat, unerlaubt der Arbeitsstelle ferngeblieben ist und das Land illegal verlassen hat, wird nicht allein deshalb vom syrischen Regime eine oppositionelle Haltung zugeschrieben (im Anschluss an OVG Niedersachsen, Beschluss vom 22.01.2019 - 2 LB 811/18 - asyl.net: M27027, OVG Bremen, Urteil vom 24.01.2018 - 2 LB 194/17 - asyl.net: M26101 (für Lehrer)).

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Aufstockungsklage, Upgrade-Klage, Berufsgruppe, Beamte, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz, Asylantrag, Auslandsaufenthalt, oppositionelle Gesinnung, Opposition, Regimegegner, Finanzbehörde, Finanzamt, Leiter, Behörde,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1, AsylG § 3a Abs. 3, AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 3b,
Auszüge:

[...]

41 Die beachtliche Wahrscheinlichkeit, bei einer Rückkehr von politischer Verfolgung betroffen zu sein, folgt schließlich nicht aus der Tätigkeit des Klägers als Leiter des Finanzamtes in Aleppo. Es lässt sich den vorhandenen Erkenntnismitteln nicht entnehmen, dass Staatsbediensteten wegen ihrer illegalen Ausreise grundsätzlich eine oppositionelle Haltung unterstellt wird und sie daher mit Verfolgung rechnen müssen (so auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 LB 811/18 – juris Rn. 36 [Lehrer]; OVG Bremen, Urteil vom 24. Januar 2018 – 2 LB 194/17 – juris Rn. 61 [Lehrer]; OVG Koblenz, Urteil vom 20. September 2018 – 1 A 10215/17.OVG – juris UA S. 19 [Beamter in Finanzverwaltung]; OVG Saarlouis, Urteil vom 14. November 2018 – 1 A 609/17 – juris Rn. 41 ff [Lehrer]; OVG Schleswig, Urteil vom 8.November 2018 – 2 LB 50/18 – juris Rn. 75 [Landvermesser]).

42 Nach der Auskunftslage ist Staatsbediensteten die Ausreise zwar ohne Erlaubnis verboten. Welche Konsequenzen bei einer Rückkehr denjenigen drohen, die das Land unerlaubt verlassen haben, hängt jedoch von der Position des Betroffenen und seinen Motiven für die Ausreise ab. Die Betroffenen müssen mit einer Untersuchung rechnen, die eine Aufklärung der Gründe zum Ziel hat. Abhängig vom Ergebnis wird dann versucht, eine Lösung zu finden, um eine Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erleichtern (vgl. hierzu Danish Immigration Service, 05/2017, insbesondere S. 20, 58; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12. März 2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung, S. 1).

43 Ausgehend davon ist schon eine Verfolgungshandlung nicht beachtlich wahrscheinlich. Doch selbst wenn im Einzelfall eine schwere Strafe drohen sollte, ist von der erforderlichen Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund, hier mit einer vermeintlichen oppositionellen Gesinnung, nur bei Hinzutreten besonderer Umstände auszugehen. Solche besonderen Umstände können etwa dann vorliegen, wenn der Betroffene eine deutlich hervorgehobene Position im Verwaltungsapparat innehatte. Dann mag es im Einzelfall beachtlich wahrscheinlich sein, dass das eigenmächtige Verlassen der Arbeitsstelle als Bruch der Loyalität und als Ausdruck einer Gegnerschaft wahrgenommen wird. Dies dürfte etwa für Beschäftigte in der militärischen Forschung, Angehörige von Sicherheitskräften und Militär oder vergleichbar sensiblen Bereichen gelten (vgl. Danish Immigration Service, 05/2017, S. 20; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFHLänderanalyse vom 12. März 2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung, S. 2). Auf den Kläger lässt sich dies jedoch nicht übertragen. Abgesehen davon, dass bereits zweifelhaft ist, ob die Finanzverwaltung als sensibler Bereich anzusehen ist, war der Kläger in seiner Funktion als Amtsleiter in erster Linie nicht für Fragen der Besteuerung, sondern für Personalführung und Geschäftsverteilung zuständig. Seinen Angaben lässt sich nicht entnehmen, dass er im Rahmen dieser Tätigkeit beispielsweise eng mit politischen Entscheidungsträgern zusammengearbeitet und damit einhergehend Kenntnis von sensiblen Informationen o. Ä. erlangt hätte. Auf die Frage, ob die politische Ausrichtung bei seiner Tätigkeit eine Rolle gespielt habe, gab der Kläger bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung glaubhaft an, dies sei nur bei der Stellenvergabe, später aber nicht mehr der Fall gewesen. Hierzu passt der Umstand, dass dem Kläger keine beruflichen Schwierigkeiten entstanden sind, weil er nicht an Demonstrationen zur Unterstützung der Regierung teilgenommen hat. Unabhängig davon deutet einiges darauf hin, dass der Kläger in den Augen des syrischen Regimes nicht mehr zur Gruppe leitender Staatsbediensteter gezählt wird, weil er nach eigenen Angaben wegen des Erreichens der Altersgrenze bei einer Rückkehr ohnehin nicht mehr als Staatsbediensteter tätig sein könnte. [...]