LG Kassel

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Zitieren als:
LG Kassel, Beschluss vom 17.04.2019 - 3 T 182/19 - asyl.net: M27228
https://www.asyl.net/rsdb/M27228
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft wegen fehlender Anwesenheit einer Verfahrenspflegerin bei der Anhörung:

Kann die bestellte Verfahrenspflegerin wegen Terminkollision nicht an der Anhörung zur Haftanordnung teilnehmen und wird die Anhörung trotzdem durchgeführt, so stellt dies einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Verfahrenspfleger, Prozessbevollmächtigte, faires Verfahren, Rechtsanwalt, Anhörung, Haftanordnung, Abschiebung, Terminkollision, Verfahrensrechte, Terminverlegung, rechtliches Gehör,
Normen: FamFG § 419, AufenthG § 62, FamFG § 418 Abs. 3, FamFG § 417
Auszüge:

[...]

Das Rechtsmittel musste auch in der Sache Erfolg haben, weil die angefochtene Entscheidung Rechtsfehler aufweist, die den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt haben. [...]

Verfahrensrechtlich hat das Amtsgericht den Betroffenen persönlich anzuhören (§ 420 FamFG), unter den Voraussetzungen des § 419 FamFG einen Verfahrenspfleger zu bestellen und ggfls. weitere Personen zu beteiligen (§ 418 Abs. 3 FamFG).

Zwar hat das Amtsgericht dem Beschwerdeführer eine Verfahrenspflegerin bestellt, wobei vorliegend dahingestellt bleiben kann, ob ein solches Erfordernis bestanden hat, da das Fehlen der Voraussetzungen des § 419 Abs. 1 FamFG nicht dazu führt, dass die Bestellung des Verfahrenspflegers unwirksam ist, da dieser vielmehr durch seine Bestellung als Beteiligter zum Verfahren hinzugezogen worden ist, § 418 Abs. 2 FamFG (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - V ZB 212/12 -, Rn. 10, juris). Allerdings hat das Amtsgericht trotz Kenntnis von der jeweiligen Terminsverhinderung der bestellten Verfahrenspflegerinnen, welche ihre Verhinderung jeweils noch rechtzeitig angezeigt haben, diesen eine ihnen zustehende Teilnahme am Anhörungstermin nicht ermöglicht (vgl. Keidel, FamFG, FamFG § 418, Rn. 4, § 276, Rn. 27; ferner BGH, Beschluss vom 15. Februar 2012 - XII ZB 389/11 -, Rn. 23, juris im Falle einer Unterbringung). Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert nach stetiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 167/16, juris Rn. 7; Beschluss vom 06. Dezember 2018 - V ZB 79/18 -, Rn. 5, juris). Anhaltspunkte, von dieser Rechtsprechung im vorliegenden Falle abzuweichen, bestehen für die Kammer wegen der vergleichbaren Interessenlage nicht, weil auch dem Verfahrenspfleger ein Recht auf Teilnahme am Termin zusteht (vgl. Grotkopp in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 420, Rn. 35; Haußleiter, FamFG, § 420, Rn. 6; MüKoFamFG/Wendtland, 3. Aufl. 2019, FamFG § 420, Rn. 2). Denn die Aufgabe eines Verfahrenspflegers besteht darin, die verfahrensmäßigen Rechte des Betroffenen zur Geltung zu bringen; dazu gehört insbesondere der Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dem Betroffenen soll eine Person zur Seite gestellt werden, die aus der objektiven Sicht eines Dritten dafür Sorge trägt, dass seine Vorstellungen und Interessen in dem Verfahren sachgerecht zum Ausdruck gebracht werden können (BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - V ZB 212/12 -, Rn. 11, juris; Beschluss vom 05. Dezember 2013 - V ZB 71/13 -, Rn. 9, juris).

Nachdem das Amtsgericht in Kenntnis der Verhinderung der zunächst zur Verfahrenspflegerin bestellten Rechtsanwältin H,. sodann mit Verfügung vom 15.03.2019 Rechtsanwältin D. Termin als Vertreterin der Rechtsanwältin H. geladen hatte, hat das Amtsgericht trotz Mitteilung in den Schreiben vom 18.03.2019 (Bl. 66 d.A.), am 18.03.2019 bei dem Amtsgericht eingegangen, sowie vom 19.03.2019 (Bl. 67 d.A.), am 19.03.2019 um 14:04 Uhr per Fax eingegangen, dass auch Rechtsanwältin D. wegen Terminskollision an einer Teilnahme verhindert sei, den Anhörungstermin ohne Verfahrenspfleger durchgeführt, gleichwohl Rechtsanwältin D. zur Verfahrenspflegerin bestellt.

Einer Terminverlegung stand auch nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der Mitteilung der Verhinderung am 18.03./19.03.2019 schon organisatorische Maßnahmen für den um 11.00 Uhr anberaumten Termin am 20.03.2019 erfolgt waren (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 06. Dezember 2018 - V ZB 79/18 -, Rn. 7, juris). Die von dem Amtsgericht getroffenen Terminvorbereitungen können die Beschneidung elementarer Rechte des Betroffenen nicht rechtfertigen. Eine Terminverlegung war zeitlich auch möglich, weil sich der Beschwerdeführer aufgrund der vorläufigen Haftanordnung vom 11.03.2019 noch bis zum 30.03.2019 in Haft befand. Zudem bestand die Möglichkeit, die Haft bis zur Anhörung des Betroffenen in Anwesenheit eines Verfahrenspflegers im Wege der einstweiligen Anordnung zu verlängern.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von dem Recht, in Anwesenheit des bestellten Verfahrenspflegers, der dessen Interessen wahrnehmen soll, angehört zu werden, keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14 -, Rn. 9, juris).

Die Kammer ist infolge der durchgeführten Abschiebung des Beschwerdeführers auch nicht mehr in der Lage, den Verfahrensfehler des Amtsgerichts durch erneute Anhörung des Beschwerdeführers in Anwesenheit seines nunmehrigen Verfahrensbevollmächtigten jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft in der Beschwerdeinstanz zu heilen (vgl. BGH, Beschluss vom 06. Dezember 2018 - V ZB 79/18 -, Rn. 8, juris). [...]