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OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.05.2019 - 11 A 610/19.A - Asylmagazin 8/2019, S. 315 ff. - asyl.net: M27264
https://www.asyl.net/rsdb/M27264
Leitsatz:

Verkürzter Rechtsweg bei Ablehnung des Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" unionsrechtskonform:

1. Das nationale Rechtsbehelfsverfahren gegen die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet und einer damit verbundenen Rückkehrentscheidung genügt den unionsrechtlichen Vorgaben. Denn Abschiebungsschutz besteht bis zur Erhebung des Rechtsbehelfs durch die vom BAMF gesetzte Ausreisefrist, danach bis zu einer gerichtlichen Entscheidung im Eilrechtsverfahren.

2. Auch die Anordnung des Beginns der Ausreisefrist mit Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids ist unionsrechtskonform, da die Ausreisefrist durch den eingelegten Rechtsbehelf in entsprechender Anwendung der § 59 Abs. 1 S. 6, 7 AufenthG unterbrochen wird und mit Bekanntgabe einer ablehnenden gerichtlichen Entscheidung neu beginnt. Dadurch ist sichergestellt, dass entsprechend der Vorgaben des EuGH die Ausreisefrist erst zu laufen beginnt, sobald die betroffene Person kein Bleiberecht mehr hat.

3. Die betroffenen Personen sind über die Einhaltung der vom EuGH benannten Garantien zu belehren. Ein Verstoß gegen diese Informationspflichten führt jedoch nur im Einzelfall zur Rechtswidrigkeit der Rückkehrentscheidung, nämlich wenn die angegriffene Entscheidung bei Einhaltung der Informationspflichten anders ausgefallen wäre.

(Leitsätze der Redaktion; unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 Gnandi gg. Belgien - Asylmagazin 9/2018, S. 310 ff. - asyl.net: M26457)

Anmerkung:

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, Rückkehrentscheidung, wirksamer Rechtsbehelf, Gnandi, Suspensiveffekt, EuGH, Asylverfahren, Non-Refoulement, Refoulement, Abschiebungsandrohung, Rückführungsrichtlinie, Vorabentscheidungsverfahren, effektiver Rechtsschutz, Ausreisefrist, freiwillige Ausreise, Bleiberecht, Informationspflicht,
Normen: AsylG § 36 Abs. 2, VwGO § 80 Abs. 5, RL 2013/32/EU Art. 46 Abs. 6, RL 2013/32/EU Art. 46 Abs. 8, AsylG § 36 Abs. 3 S. 8, AsylG § 36 Abs. 1, RL 2008/115/EG Art. 7, AufenthG § 59 Abs. 1 S. 6, AufenthG § 59 Abs. 1 S. 7,
Auszüge:

[...]

IV. Ausgehend von den dargestellten unionsrechtlichen normativen Vorgaben und. ihrer in der aufgezeigten Rechtsprechung des EuGH präzisierten Auslegung liegt hier ein Verstoß gegen Unionsrecht, der auf die Rechtmäßigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung durchschlägt, nicht vor. Das nationale Recht sieht einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vor, der bei unionsrechtskonformer Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften seine volle Wirksamkeit entfaltet.

1. Nach § 36 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO wird einem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt, beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Bescheid einzulegen, mit dem sein Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist. In diesem Verfahren, das einem Verfahren auf der Grundlage des Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU entspricht, entscheidet das Gericht nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Den Anforderungen des nach Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU vorzusehenden Bleiberechts wird dadurch Rechnung getragen, dass nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG eine Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist. Im Ergebnis ist der Betroffene daher bis zu einer Entscheidung in dem gerichtlichen Eilverfahren vor einer Abschiebung geschützt; vor Einlegung des Rechtsbehelfs durch den Abschiebungsschutz während des Laufs der Ausreisefrist (vgl. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG), nach Einlegung des Rechtsbehelfs durch das in § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG normierte Bleiberecht (vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 18. April 2019 - 20 L 1179/19.A -, juris, Rn. 35 ff., und vom 25. Januar 2019 - 3 L 2586/18.A -, juris, Rn. 112; VG Freiburg, Beschluss vom 6. Februar 2019 - A 14 K 221/19 -, juris, Rn. 6; VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2019 - 2 L 1865/18.A -, juris, Rn. 36 ff., 43; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682.18 A -, juris, Rn. 21 ff.; VG Frankfurt, Beschluss vom 26. November 2018 - 5 L 4508/18.F.A -, juris, Rn. 19 f.; VG Münster, Beschluss vom B. Oktober 2018 - 9 L 976/18.A -, juris, Rn. 11; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff., 328; kritisch, insbesondere mit Blick auf die Zulassung neuen Vorbringens: Gutmann, Rückführungsschutz eines Asylbewerbers bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf - Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention, NVwZ 2018, 1625 ff., 1629 f.; zu weitgehend: Hruschka, Umfassender Rechtsschutz im Asylverfahren, Asylmagazin 9/2018, S. 290 ff., 291, der eine aufschiebende Wirkung der Klage für erforderlich hält; ders., Voller Rechtsschutz! Abschiebungen sind auch nach verweigertem Eilrechtsschutz europarechtswidrig, in: Verfassungsblog, 28. November 2018, im Internet abrufbar unter: verfassungsblog.de/voller-rechtsschutz-warum-abschiebungen-ohne-asylrechtlichen-eilrechtsschutz-europarechtswidrig-sind/; a.A. auch VG Aachen, Beschluss vom 15. Januar 2019 - 3 L 1715/18.A -, juris, Rn. 29 ff., 33; VG Arnsberg, Beschlüsse vom 22. Februar 2019 - 3 L 1991/18.A -, S. 7 ff. des Beschlussabdrucks, und vom 17. Dezember 2018 - 3 L 1935/18.A -, juris, Rn. 12 ff., 23).

2. Den Anforderungen, die der EuGH an die volle Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen eine Rückkehrentscheidung stellt, die gemeinsam mit der Ablehnung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes ergeht, wird das deutsche Asylverfahrensrecht bei unionsrechtskonformer Auslegung gerecht. Das gilt insbesondere für die Frist zur freiwilligen Ausreise, die gemäß § 36 Abs. 1 AsylG im Einklang mit Art. 7 der Richtlinie 2008/115/EG eine Woche beträgt. Dass die vom Bundesamt gesetzte Ausreisefrist regelmäßig - wie auch hier - bereits mit der Bekanntgabe des ablehnenden Bescheids zu laufen beginnt (vgl. insoweit § 31 Abs. 2 VwVfG), führt nicht zu ihrer Unionsrechtswidrigkeit. Denn die Frist wird durch den gegen die Rückkehrentscheidung eingelegten Rechtsbehelf, der dem Betroffenen (erst) ein (vorläufiges) Bleiberecht vermittelt, unterbrochen und beginnt mit Bekanntgabe der ablehnenden gerichtlichen Entscheidung (neu) zu laufen.
a. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf die Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 62 = juris, Rn. 62).

Als Bleiberecht im vorgenannten Sinn kann nicht der Abschiebungsschutz angesehen werden, der dem Asylantragsteller nach § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG während und aufgrund des Laufs der Ausreisefrist zugutekommt. Denn dieses in einem vorübergehenden Vollstreckungsschutz bestehende faktische Bleiberecht wird erst durch den Lauf der Ausreisefrist begründet. Wenn der EuGH aber ausführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gerade nicht zu laufen beginnen soll, muss das von ihm angesprochene Bleiberecht denknotwendig ein anderes sein (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 62).

Die Aussage des EuGH, dass während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 61 = juris, Rn. 61), kann im Hinblick auf das Nichtanlaufen der Ausreisefrist nur so verstanden werden, dass dem Betroffenen ein Bleiberecht zustehen muss, das nicht bereits aus dem Lauf der Ausreisefrist selbst folgt. Als Bleiberecht im Sinn der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH kommt somit allein das Bleiberecht in Betracht, das einem Asylantragsteller aufgrund der Einlegung des Rechtsbehelfs gegen die Rückkehrentscheidung durch den Mitgliedstaat gewährt wird.

b. Ausgehend hiervon steht der Beginn der Frist für die freiwillige Ausreise zu einem Zeitpunkt, in dem der Asylantragsteller (noch) kein Bleiberecht im vorgenannten Sinn hat, weil er (noch) keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 62; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A juris, Rn. 31; abweichend VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris, Rn. 52 und '122, und VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - A 2 K 10728/18 -, juris, Rn. 5, die § 36 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 8 AsylG unionsrechtskonform so auslegen, dass die Ausreisefrist regelmäßig erst nach Ablauf der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs zu laufen beginnen soll; kritisch hierzu: Wittmann, Die Ablehnung des Asylantrags als "offensichtlich unbegründet" nach EuGH Rs. C-181116 ("Gnandi") und C-269118 PPU ("C, J und S"), ZAR 2019, 45 ff., 52; von einer Unionsrechtswidrigkeit ausgehend: VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2019 - 2 L 1865/18.A -, juris, Rn. 44; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 11 S 2125/18 -, juris, Rn. 14; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff., 328).

c. Die volle Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gegen die Rückkehrentscheidung wird auch im Fall der Einlegung eines Rechtsbehelfs, namentlich der Stellung eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Ausreisefrist bereits mit Bekanntgabe zu laufen begonnen hat.

aa. Im Fall der Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz als offensichtlich unbegründet folgt das nach dem zuvor Gesagten maßgebliche Bleiberecht aus Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU, dem zufolge die Mitgliedstaaten dem Antragsteller gestatten, bis zur Entscheidung in dem Verfahren, in dem nach Abs. 6 über den Verbleib im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats entschieden wird, im Hoheitsgebiet zu verbleiben. Der Antragsteller erhält daher ein (vorläufiges) Bleiberecht (nur) bis zur gerichtlichen Entscheidung, ob ihm auch bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung internationalen Schutzes ein weiterer Verbleib.im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats gestattet wird. Dem entspricht die Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG, nach der bei rechtzeitiger Stellung des Antrags gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung eine Abschiebung nicht zulässig ist. Ein weiter gehendes Bleiberecht erhält der Antragsteller nur im Fall einer stattgebenden gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. § 37 Abs. 2 AsylG) (vgl. zu dem eingeschränkten Bleiberecht bei einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet: EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018, PPU, C-269/18, EU:C:2018:544, Rn. 53 = juris, Rn. 53).

bb. Das Asylgesetz enthält für den Fall eines erfolglosen Eilverfahrens keine ausdrückliche Regelung zur Aussetzung oder Unterbrechung des Laufs der Ausreisefrist. Zudem wird die Regelung des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG über die Unzulässigkeit einer Abschiebung während des gerichtlichen Eilverfahrens nicht als Fall des vorübergehenden Wegfalls der Vollziehbarkeit der Ausreisefrist oder der Abschiebungsandrohung angesehen (vgl. u.a. Wittmann, ZAR 2019, 45 ff., 51; Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Asylgesetz (GK-AsylG), Loseblatt-Sammlung (Stand: März 2019), § 36 Rn. 15 und 48; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 33).

Zur Sicherung der praktischen Wirksamkeit der dargestellten unionsrechtlichen Vorgaben und insbesondere zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit dieses Rechtsbehelfs ist jedoch eine entsprechende Anwendung von § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG angezeigt. Nach dieser Vorschrift wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen, wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es in diesem Fall nicht (§ 59-Abs. 1 Satz 7 AufenthG).

Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift führt dazu, dass die Ausreisefrist durch das gerichtliche Eilverfahren unterbrochen wird und mit Bekanntgabe der ablehnenden gerichtlichen Eilentscheidung neu zu laufen beginnt. Damit ist sichergestellt, dass entsprechend den Vorgaben des EuGH die Ausreisefrist erst läuft, sobald der Betroffene kein Bleiberecht mehr hat. Entspricht das Verwaltungsgericht hingegen dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Rückkehrentscheidung an, endet die Ausreisefrist gemäß § 37 Abs. 2 AsylG erst 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens (vgl. VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 61; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 32 f.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 11 S 2125/18 -, juris, Rn. 17; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 - 31 L 682.18 A -, juris; Rn. 27; im Ergebnis ebenso (allerdings über eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 36 Abs. 1 bzw. Abs. 3 Satz 8 AsylG): VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris, Rn. 52 und 122; VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - A 2 K 10728/18 -, juris, Rn. 5; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Loseblatt-Sammlung (Stand: März 2019), § 36 Rn. 15.2; Wittmann, ZAR 2019, 45 ff., 52, der überdies - wohl zutreffend - darauf hinweist, dass sich mit Blick hierauf eine Zustellungsbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung ergeben dürfte; a.A. Thiel, EuGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidung, Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 4 ff.).

V. Der Verstoß gegen die unionsrechtlichen Informationspflichten führt nicht zur Rechtswidrigkeit von Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids. 1. Die Kläger sind weder mit dem angefochtenen Bescheid noch im vorangegangenen Verwaltungsverfahren in transparenter Weise über die Einhaltung der vom EuGH benannten Garantien (keine Abschiebung, keine Verlassenspflicht, kein Anlauf der Frist für die freiwillige Ausreise, keine Abschiebungshaft, Fortgeltung der Rechte als Asylbewerber nach der Richtlinie 2013/33/EU, Zulässigkeit des Vorbringens neuer Umstände im gerichtlichen Verfahren) informiert worden (vgl. zur allgemeinen Praxis des Bundesamts auch: VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028/18 -, juris, Rn. 69 f.; VG Leipzig, Beschluss vom 28. März 2019 - 3 L 152/19.A -, juris, Rn. 34; VG Minden, Beschluss vom 26. März 2019 - 10 L 1297/18.A -, juris, Rn. 173; VG Aachen, Beschluss vom 14. Februar 2019 - 2 L 1865/18.A -, juris, Rn. 53; Wittkopp, ZAR 2018, 325 ff., 329).

2. Dieser Fehler führt jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.

a. Der EuGH entscheidet in ständiger Rechtsprechung, dass nicht jeder Fehler zwangsläufig Folgen habe, die sich auf den Inhalt der Entscheidung auswirken könnten, so dass ein Fehler, bei dem dies nicht der Fall sei, denjenigen, der ihn geltend mache, nicht in seinen Rechten verletze. Eine Rechtsverletzung könne aber nur dann verneint werden, wenn das Gericht, ohne dem Rechtsbehelfsführer insoweit in irgendeiner Form die Beweislast aufzubürden, zu der Feststellung in der Lage sei, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Fehler nicht anders ausgefallen wäre (vgl. EuGH, Urteile vom 15. Oktober 2015, Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland, C-137/14, EU:C:2015:683, Rn. 56, 60 = juris, Rn. 56 ff., vom 7. November 2013, Altrip, C-72/12, EU:C:2013:712, Rn. 49, 53 f. = juris, Rn. 49 ff., vom 10. September 2013, PPU, C-383/13, EU:C:2013:533, Rn. 39 ff. = juris, Rn. 39 ff., vom 15. November 2011, Gibraltar, C-106109, EU:C:2011: 732, Rn. 179 =juris, Rn. 179, vom 5. Oktober 2000, JAKO, C-288/96, EU:C:2000:537, Rn. 101 = juris, Rn. 101, und vom 14. Februar 1990, Boussac, C-301/87, EU:C:1990:67, Rn. 31 = juris, Rn. 31).

Zudem hat der EuGH, abgeleitet von entsprechenden völkerrechtlichen Auslegungsregeln, für die Interpretation europarechtlicher Vorschriften die Maximen des "effet utile", der "praktischen Wirksamkeit" sowie der gebotenen "Sicherung der Funktionsfähigkeit" der Regelung im Rahmen einer dynamischen teleologischen Auslegung entwickelt (vgl. etwa EuGH, Urteile vom 7. November 2013, Altrip, C-72/12, EU:C:2013:712, Rn. 45 = juris, Rn. 45, vom 10. September 2013, PPU, C-383/13, EU:C:2013:533, Rn. 41 = juris, Rn. 41, und vom 20. März 1997, Alcan, C-24/95, EU:C:1997:163, Rn. 37 = juris, Rn. 37; vgl. auch BVerwG, Vorlagebeschluss vom 10. Juli 2013 - 8 C 9.12 -, GewArch 2014, 74 ff. = juris, Rn. 17; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984), S. 494; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. (2011), § 12 Rn. 36).

Danach darf die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften die Verwirklichung des Ziels der durchzuführenden unionsrechtlichen Bestimmungen nicht praktisch unmöglich machen. Eine Auslegung darf nicht dazu führen, deren praktische Wirksamkeit in Frage zu stellen.

b. Ausgehend hiervon führt der Verstoß gegen unionsrechtliche Informationspflichten, die sicherstellen sollen, dass der Betroffene von den Rechten, die die verfahrensrechtlichen Komponenten des Grundsatzes der Nichtzurückweisung absichern, effektiv Gebrauch machen kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12. Dezember 2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 265; VG Bremen, Beschluss vom 2. April 2019 - 2 V 3028118 -, juris, Rn. 69), nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der nachfolgenden Verwaltungsentscheidung, sondern nur dann, wenn er sich auf den Inhalt der Entscheidung ausgewirkt hat. Um die praktische Wirksamkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen sicherzustellen, darf dem Rechtsbehelfsführer die Beweislast für diesen Kausalzusammenhang jedoch nicht aufgebürdet werden. Umgekehrt darf die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2008/115/EG, durch die vor allem eine wirksame Rückkehr- und Rückübernahmepolitik gewährleistet werden soll (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Juni 2018, Gnandi, C-181/16, EU:C:2018:465, Rn. 48 ff. = juris, Rn. 48 ff., und vom 10. September 2013, PPU, C-383/13, EU:C:2013:533, Rn. 42 = juris, Rn. 42), nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass Fehler, die das Ergebnis der Entscheidung nicht beeinflusst haben, zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung mit der Folge des weiteren Verbleibs eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen führen.

Es ist daher im Einzelfall Sache des Gerichts, unter Berücksichtigung der Schwere des geltend gemachten Fehlers und des gesamten Akteninhalts zu beurteilen, ob die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Fehler nicht anders ausgefallen wäre (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 2. Mai 2017 - A 4 S 1001/17 -, juris, Rn. 16, und Urteil vom 12. Dezember 2018 - A 11 S 1923/17 -, juris, Rn. 263 ff.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 - 13 A 1490/13.A -, juris, Rn. 36, nachfolgend: BVerwG, Vorlagebeschluss vom 27. Juni 2017 - 1 C 26.16 -, Buchholz 451.902 Europ. Ausländer- und Asylrecht Nr. 91 = juris, Rn. 38 ff. (auch zu § 46 VwVfG). [...]