VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 11.10.2018 - 7 K 1757/16.WI.A - asyl.net: M27299
https://www.asyl.net/rsdb/M27299
Leitsatz:

Keine pauschale Ablehnung des Abschiebungsschutzes für junge, alleinstehende und arbeitsfähige Männer aus Afghanistan:

"1. Es bestehen Bedenken gegenüber einer pauschalen Sichtweise, junge, alleinstehende und arbeitsfähige Männer könnten selbst nach einem langen Aufenthalt im westlichen Ausland grundsätzlich auch ohne die von allen Erkenntnisquellen, insbesondere den eingeholten Gutachten und Auskünften, als zentral eingestuften sozialen/familiären Netzwerke in Afghanistan überleben, wenn nicht besondere individuelle Umstände vorliegen.

2. Aufgrund der Umstände jedes Einzelfalles ist individuell zu prüfen, ob ein junger, alleinstehender, arbeitsfähiger Mann in der Lage wäre, in Afghanistan auch ohne belastbare Netzwerke zu überleben.

3. Bei der Rückkehrprognose sind die Ausbildung, der Bildungsstand, die Arbeitserfahrung, die Volks- und Religionszugehörigkeit des Ausländers sowie die Dauer seines Aufenthalts im westlichen Ausland und die Dauer seines Aufenthaltes in Afghanistan, d.h. seine Vertrautheit mit den dortigen gesellschaftlichen Widrig­keiten und dem stark umkämpften Arbeits- bzw. Wohnungsmarkt, besonders zu beachten. Zu berücksichtigen ist ferner, ob der Betroffene noch über nennenswertes Vermögen verfügt, auf welches er zur Existenzsicherung zurückgreifen könnte."

(Amtliche Leitsätze; Hinweis: Sachverständigengutachten ergangen auf Beweisbeschluss des VG Wiesbaden, Beschluss vom 14.03.2017 - 7 K 1757/16.WI.A - asyl.net: M25070 )

Schlagwörter: Afghanistan, Existenzgrundlage, Abschiebung, Abschiebungsschutz, Abschiebungsverbot, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, junge Männer, junger Mann, alleinstehend, soziales Netzwerk, familiäres Netzwerk, Existenzsicherung, EMRK, Hazara, Schulbildung, Bildungsstand, Ausbildung, Religionszugehörigkeit, Volkszugehörigkeit, Einzelfall, besondere individuelle Umstände, Familie, Unterstützung, Rückkehr, Sachverständige, Sachverständigengutachten, Kabul,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans. Insoweit stellt sich der streitgegenständliche Bescheid vom 27.09.2016 hinsichtlich der Ziffern 4 bis 6 als rechtswidrig dar und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit seine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Einschlägig ist hier das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Art. 3 EMRK. [...] Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.07.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 71 m.w.N.). Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn die schlechten humanitären Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S./Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein, wenn ganz außerordentliche individuelle Umstände hinzutreten. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch "nichtstaatliche" Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt (BVerwG, Urt. v. 13.06.2013 - 10 C 13.12 -, NVwZ 2013, 1167, Rn. 24 f.; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 24.07.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 79 ff.; EGMR, Urt. v. 02.05.1997 - 146/1996/767/ 964 - D./Vereinigtes Königreich, NVwZ 1998, 161; vom 27.05.2008 - 26565/05 - N./Vereinigtes Königreich, NVwZ 2008, 1334; vom 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413; vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, NVwZ 2012, 681 und vom 13.10.2011 - 10611/09 - Husseini/Schweden, NJOZ 2012, 952). [...]

Bei entsprechenden Rahmenbedingungen können schlechte humanitäre Verhältnisse eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK führt. Hierbei ist indes eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, darunter etwa der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser, Nahrung und Gesundheitsversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und nicht zuletzt die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse, auch unter Berücksichtigung von Rückkehrhilfen usw. (vgl. dazu ausführlich Bay.VGH, Urt. v. 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, BeckRS 2017, 113717; Urt. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 -, BeckRS 2015, 41010 und - 13a B 14.30284 -; dort jeweils eingehend zur Bejahung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen bezüglich Familien mit minderjährigen Kindern wegen der Rahmenbedingungen in Afghanistan m.w.N.). [...]

Die außerordentlichen Umstände, die eine Abschiebung des Ausländers verbieten, müssen grundsätzlich überall im Abschiebungszielstaat vorliegen, wobei aber zunächst zu prüfen ist, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 26). Es darf für den Betroffenen keine interne Fluchtalternative bestehen (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 03.11.2017 - A 11 S 1704/17 -, juris Rn. 194). [...]

Nach diesen Maßstäben ist aufgrund der besonderen Gefährdungssituation des Klägers wegen der zu erwartenden schlechten humanitären Verhältnisse in ganz Afghanistan, die sich bislang nicht nachhaltig verbessert haben, der zusätzlichen Risikofaktoren der ethnischen Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara und der gesundheitlichen Beeinträchtigungen von einer drohenden unmenschlichen Behandlung des Klägers im Falle der Rückkehr nach Afghanistan auszugehen. Es liegt somit ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind. Das ergibt sich aus den zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblichen Erkenntnismitteln, die dem Gericht vorliegen.

Die Situation der Menschen in Afghanistan ist bestimmt durch eine anhaltend schlechte Sicherheitslage. Sie ist - bei starken regionalen Unterschieden - anhaltend volatil (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31.05.2018 - Stand: Mai 2018, S. 5; Ruttig, in Staatssekretariat für Migration SEM der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Notiz Afghanistan: Alltag in Kabul - Referat von Thomas Ruttig (Afghanistan Analysts Network) am 12.04.2017, 20.06.2017, S. 4 ff.). [...]

Dabei gehen die dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnisquellen von einer Verschärfung der Kämpfe in den vergangenen drei Jahren aus (vgl. Auskunft von Amnesty International an das VG Wiesbaden vom 05.02.2018, S. 1 ff.; Stahlmann, Gutachten an das VG Wiesbaden vom 28.03.2018, S. 9 ff.). [...]

Die Sicherheitslage in Kabul ist ebenfalls mehr als prekär. Sie war bereits in den vergangenen Jahren geprägt von zahlreichen Anschlägen, insbesondere auf medienwirksame Ziele ausländischer Streitkräfte und Organisationen sowie Regierungseinrichtungen (dazu Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016: Sicherheitslage in der Stadt Kabul und der diesbezüglichen Rolle der Taliban). [...]

Allgemein stellt sich die humanitäre Lage in Afghanistan wie folgt dar: Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2015 lediglich Platz 171 von 187 im Human Development Index. Rund 36 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. [...]

Die Zahl der Menschen, die humanitärer Unterstützung bedurften, hat sich von 2016 bis zum Beginn des Jahres 2017 um 13 % auf 9,3 Millionen Menschen erhöht. [...]

Gerade im Bereich der Arbeitsplätze für ungelernte Kräfte ist die Konkurrenz immens. Da der Bausektor eingebrochen ist, erweist es sich als schwieriger, als Hilfsarbeiter oder Tagelöhner ein Auskommen zu finden. Dazu kommt, dass der Druck auf den Arbeitsmarkt vor allem in Städten rapide zugenommen hat, weil die nicht konventionell umkämpften Städte, wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif zunächst aufgesucht wurden. [...]

Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuflüsse aus der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. [...]

Grundsätzlich hat sich die medizinische Versorgung, insbesondere im Bereich der Grundversorgung, in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, fällt jedoch im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück. [...]

Die schlechte humanitäre Situation wird noch verschärft durch die große Anzahl von Rückkehrern aus dem Ausland - freiwillig Zurückgekehrte, aber auch Abgeschobene -, die zusätzlichen Risiken ausgesetzt sind. So sind in den vergangenen Jahren ungefähr 5,8 Millionen Afghaninnen und Afghanen aus verschiedenen Teilen der Welt nach Afghanistan zurückgekehrt, teilweise erst auf massiven Druck von staatlichen Stellen im Iran und Pakistan. [...]

Der enorme Anstieg an Rückkehrern hat zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt, da hierdurch viele Afghanen zu der großen Zahl der Binnenvertriebenen hinzukamen, die auf Grund des sich verschärfenden Konflikts nicht in ihre Herkunftsorte zurückkehren können (vgl. dazu den Bericht des C., Dezember 2016, S. 4 f.). [...]

Die Sachverständige Stahlmann sieht die Chancen für alleinstehende, gesunde Rückkehrer aus Europa im Alter zwischen 18 und 40 Jahren zum Aufbau einer Existenz in Afghanistan sehr kritisch (Stahlmann, Gutachten an das VG Wiesbaden vom 28.03. 2018, S. 191 ff.). Es könne nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Rückkehrer auf Hilfe und Unterstützung durch Familien und soziale Netzwerke zurückgreifen könnten. [...]

Rückkehrer sehen sich dem generellen Verdacht gegenüber, ihr Land und ihre religiöse Pflicht verraten zu haben (Stahlmann, ZAR 2017, 189 (196); dies., Landeskundliche Stellungnahme Afghanistan vom 30.05.2017, S. 4, jeweils m.w.N.; vgl. auch C.-Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan, 30.08.2018, S. 110, insb. Fn. 674). [...]

Untersuchungen humanitärer Organisationen zur Situation von Binnenvertriebenen und Rückkehrern machen deutlich, dass selbst diejenigen, die Arbeit finden, kaum in der Lage sind, sich selbst und ihrer Familie das Existenzminimum zu sichern (vgl. dazu und zum Folgenden die Auskunft von Amnesty International an das VG Wiesbaden vom 05.02.2018, S. 46 f., 57 f.). [...]

In den Städten allgemein und insbesondere der Hauptstadt Kabul sind die Lebenshaltungskosten im Verhältnis zum Einkommen hoch. [...]

Bislang wird in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnismittel überwiegend davon ausgegangen, dass sich die wirtschaftlichen Bedingungen und die Sicherheitslage in Afghanistan nicht in einer Weise negativ verdichtet hätten, dass sich junge, alleinstehende, männliche, arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige, die keine gesundheitlichen Einschränkungen aufweisen, trotz der allgemein schwierigen Versorgungslage zumindest in Kabul oder in einer anderen größeren Stadt Afghanistans eine ausreichende Existenzgrundlage aufbauen könnten (vgl. nur Bay. VGH, Urt. v. 11.04.2017, 13 a ZB 17.30294 -, juris, Rn. 5; Hess. VGH, Beschl. v. 27.09.2017 - 7 A 1827/17.Z.A - juris, Rn. 18 m.w.N.). Diese Sichtweise hat der VGH Baden-Württemberg jüngst auf der Grundlage der neuesten Erkenntnismittel, welche auch in das vorliegende Verfahren eingeführt wurden, in einem Grundsatzurteil noch einmal bekräftigt (vgl. Urt. v. 12.10.2018, A 11 S 316/17 -, juris, insbesondere Rn. 392 ff.).

Anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen und trotz der unstreitig prekären Sicherheits- und Versorgungslage kann bislang nicht davon ausgegangen werden, dass jede Abschiebung nach Afghanistan eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. [...]

Auf der anderen Seite wird man den vorliegenden Erkenntnissen aber auch nicht gerecht, wenn man annimmt, dass jeder alleinstehende, junge, arbeitsfähige Mann, der nicht besondere, individuell erschwerende Umstände aufweist, nach einem langjährigen Aufenthalt im westlichen Ausland bei einer Rückkehr nach Afghanistan trotz der prekären Sicherheits- und Versorgungslage überleben könnte, selbst wenn er nicht auf ein familiäres oder soziales Netzwerk zurückgreifen kann (so aber weiterhin VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12.10.2018, A 11 S 316/17 -, juris, Rn. 392). [...]

Angesichts dieser übereinstimmenden Ausführungen bestehen Bedenken gegenüber einer pauschalen Sichtweise, junge, alleinstehende und arbeitsfähige Männer könnten nach einem langen Aufenthalt im westlichen Ausland grundsätzlich auch ohne die von allen Erkenntnisquellen als zentral eingestuften sozialen/ familiären Netzwerke in Afghanistan überleben, wenn nicht besondere individuelle Umstände vorliegen. Vielmehr ist aufgrund der Umstände jedes Einzelfalles individuell zu prüfen, ob der betroffene junge, alleinstehende, arbeitsfähige Mann in der Lage wäre, in Afghanistan auch ohne belastbare Netzwerke zu überleben. Besonderer Beachtung bedürfen dabei die Ausbildung, der Bildungsstand, die Arbeitserfahrung, aber auch die Volkszugehörigkeit und die Religion des Betroffenen sowie die Dauer seines Aufenthalts im westlichen Ausland und die Dauer seines Aufenthaltes in Afghanistan, d.h., seine Vertrautheit mit den dortigen Widrigkeiten und dem stark umkämpften Arbeits- bzw. Wohnungsmarkt. Zu berücksichtigen ist ferner, ob der Betroffene noch über Vermögen verfügt, auf welches er bei einer Rückkehr nach Afghanistan zurückgreifen könnte.

Ausgehend von diesen normativen und tatsächlichen Maßstäben würde die Abschiebung des Klägers nach Afghanistan aufgrund der oben dargelegten sehr problematischen Sicherheits- und Versorgungslage einerseits und den in der Person des Klägers liegenden besonderen Umständen andererseits im zu entscheidenden Einzelfall gegen Art. 3 EMRK verstoßen, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass er dort alleine nicht überleben könnte. Der Kläger kann nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung auf keine familiären oder sozialen Netzwerke zurückgreifen, d.h., er wäre bei einer Abschiebung nach Afghanistan dort auf sich allein gestellt. Aufgrund des persönlichen Eindrucks, den die Kammer vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, ist angesichts des niedrigen Bildungsstandes des Klägers und seines phlegmatischen Verhaltens nicht davon auszugehen, dass dieser in Afghanistan nach seinem langen Aufenthalt im westlichen Ausland auf dem widrigen afghanischen Arbeitsmarkt ohne Hilfe eines Netzwerkes eine Arbeit finden könnte, welche ihm ein Überleben sichern könnte. [...]

Erschwerend kommt vorliegend hinzu, dass es sich bei dem Kläger um ein Mitglied der Volksgruppe der Hazara handelt, deren Lage sich in Afghanistan ausweislich der vorliegenden Quellen wie folgt darstellt: [...]

Aus der dargestellten besonderen Gefährdung von Hazara in manchen Regionen Afghanistans und der weiterhin bestehenden Diskriminierung dieser Volksgruppe kann nicht generell gefolgert werden, dass kein Hazara ohne Netzwerke in der Lage wäre, nach einem langen Aufenthalt im westlichen Ausland in Afghanistan zu überleben. Dagegen spricht schon die absolut hohe Zahl an Hazara in Afghanistan, die dort ebenfalls überleben kann. Insbesondere in Regionen bzw. größeren Städten, in denen zahlreiche Hazara leben, ist die Gefahr einer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche deutlich gemindert. Auf der anderen Seite bedeutet die landesweite Diskriminierung der Hazara, dass das Erfordernis von lokalen Netzwerken als Grundlage des Überlebens noch zentraler ist als ohnehin schon. [...]