SG Bremen

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Zitieren als:
SG Bremen, Beschluss vom 20.03.2019 - S 39 AY 95/18 ER - asyl.net: M27389
https://www.asyl.net/rsdb/M27389
Leitsatz:

1. Der Anspruch auf Anpassung der Leistungen nach § 3 Abs. 4 AsylbLG an die erhöhten Sätze des SGB XII ergibt sich direkt aus dem Gesetz, das selbst die Berechnung vorgibt.

2. Aus § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG folgt nicht, dass vor der Anpassung der Leistungshöhe eine Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erfolgen muss. Die öffentliche Bekanntmachung dient nur der Transparenz.

3. Auch eine Unterdeckung des Existenzminimums von 16,00 Euro im Monat stellt einen Anordnungsgrund dar, da es um Leistungen zur Existenzsicherung geht und die Leistungen nach dem AsylbLG ohnehin schon geringer ausfallen als nach dem SGB II und XII.

(Leitsätze der Redaktion, vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.05.2019 - L 8 AY 49/18 - asyl.net: M27347)

Schlagwörter: Asylbewerberleistungsgesetz, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Bedarf, Leistungsberechnung, Anpassung, Regelbedarf, Sozialrecht, obiter dictum, Existenzminimum, Nachzahlung, Sozialhilfenachzahlung, Fortschreibung,
Normen: AsylbLG § 3 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Anpassung der Regelbedarf nach § 3 Abs. 4 AsylblG. Danach werden zum 1. Januar eines Jahres die Leistungen der entsprechenden Veränderungsrate nach dem SGB XII angepasst. Die sich dabei ergebenden Beträge sind zu runden. Für die Antragstellerin ergibt sich, da sie der Regelbedarfsstufe 2 zuzuordnen ist, im Jahr 2018 ein höherer Regelbedarf i.H.v. 9 EUR und für das Jahr 2019 i.H.v. 16 EUR.

Diese Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Die Regelbedarfshöhe im AsylblG ist an die Erhöhung der Regelbedarf nach dem SGB XII gekoppelt. Soweit die Leistungsveränderungen nach dem SGB XII feststehen, sind die Leistungen nach § 3 AsylblG entsprechend anzupassen. Die Fortschreibung der Regelbedarfe dient der Dynamisierung der Leistungen, um ein jahrelanges statisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen zu vermeiden (Wahrendorf, AsylblG, Kommentar 2017, § 3 Rn. 67). Der Leistungsbezieher hat daher einen einklagbaren Anspruch auf Leistungen in angepasster Höhe. Eine vorherige Entscheidung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber ist nicht notwendig, da die Norm die Berechnung vorgibt und somit keine wesentliche Entscheidung zu treffen ist.

Aus § 3 Abs. 4 S. 3 AsylbLG folgt nicht, dass vor der Anpassung der Leistungshöhe eine Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erfolgen muss. Das BMAS hat nur die Höhe der Bedarfe im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben. Eine unterlassene Veröffentlichung führt nicht dazu, dass die durch Gesetz vorgeschriebene Anpassung unterbleibt. Die Bekanntgabe ist nicht verbindlich, sondern dient der Transparenz und einheitlichen Gesetzesanwendung (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 179). Sinn und Zweck der Bekanntgabe durch das BMAS ist daher lediglich die Sicherstellung einer einheitlichen Leistungsberechnung. Zweck der Vorschrift ist dagegen nicht, dass bei einer unterlassenen Bekanntgabe die gesetzlich vorgeschriebene Leistungserhöhung ausbleibt. Kommt das BMAS seiner Pflicht zur Bekanntgabe der höheren Leistungssätze nicht nach, kann der Zweck einer bundeseinheitlichen Leistungsgewährung eventuell nicht sofort erfüllt werden. In diesem Fall sind alle Leistungsträger dazu verpflichtet, die Leistungsberechnung unter Berücksichtigung der zwingenden gesetzlichen Anpassungsvorschriften selbst vorzunehmen. Die unterlassene Rechtsanwendung des BMAS kann nicht zulasten der Leistungsempfänger gehen.

Soweit § 3 Abs. 5 AsylbLG vorschreibt, dass bei einer neuen bundesweiten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe der notwendigen persönliche Bedarf (§ 3 Abs. 1 AsylbLG) und die Höhe des notwendigen Bedarfs (§ 3 Abs. 2 AsylbLG) neu festgesetzt werden, führt dies nicht dazu, dass bei einer Unterlassung dieser Neufestsetzung keine Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG zu erfolgen hat. Bis zu einer tatsächlichen Neufestsetzung durch den Gesetzgeber ist weiterhin die gesetzliche vorgeschriebene Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG durchzuführen (vgl. zum Vorstehenden: SG Stade, Beschluss vom 06.03.2019 - 19 AY 1/19 ER).

Dieser Gesetzesauslegung stehen auch nicht die Ausführungen des BMAS in der Stellungnahme vom 29.01.2019 entgegen. Insoweit nimmt das BMAS lediglich Bezug auf § 3 Abs. 5 AsylbLG und stellt ohne jegliche Begründung die Behauptung auf, dass mangels Neufestsetzung nach § 3 Abs. 5 AsylbLG auch eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 . AsylbLG ausscheidet.

Für das Jahr 2017 beträgt die Erhöhung 1,24 %, so dass der Regelbedarf der Antragstellerin i.H.v. 318 EUR um 3,94 EUR (318 : 100 * 1,24) zu erhöhen ist. Aufgrund der Rundungsregelung beträgt der Regelsatz 322 EUR.

Für das Jahr 2018 beträgt die Erhöhung 1,63 %, so dass der Regelbedarf der Antragstellerin i.H.v. 322 EUR um 5,25 EUR (322 : 100 * 1,63) zu erhöhen ist. Aufgrund der Rundungsregelung beträgt der Regelsatz 327 EUR.

Für das Jahr 2019 beträgt die Erhöhung 2,02 % so dass der Regelbedarf der Antragstellerin i.H.v. 327 EUR um 6,61 EUR (327 : 100 * 2,02) zu erhöhen ist. Aufgrund der Rundungsregelung beträgt der Regelsatz 334 EUR.

Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Zwar geht es nur um einen Betrag von monatlich 16 EUR, jedoch kann auch bei Beträgen dieser geringen Größenordnung von einem Eilbedürfnis ausgegangen werden, da es um Leistungen zur Existenzsicherung geht und die Leistungen nach § 3 AsylbLG bereits geringer ausfallen, als die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und SGB XII. Daher ist ein Fehlbetrag von 16 EUR monatlich - unter Berücksichtigung, dass auch der Ehegatte der Antragstellerin lediglich Leistungen nach dem SGB II bezieht - bereits bedeutend. Da die Leistungen zur aktuellen Bedarfsdeckung notwendig sind, drohen der Antragstellerin wesentliche Nachteile, die eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr ausgleichen können. [...]