VG Lüneburg

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Zitieren als:
VG Lüneburg, Beschluss vom 22.05.2019 - 6 B 27/19 - asyl.net: M27462
https://www.asyl.net/rsdb/M27462
Leitsatz:

Pflicht der Ausländerbehörde zur Aufklärung über konkrete Mitwirkungshandlungen:

Ein Beschäftigungsverbot für Geduldete darf nicht verfügt werden, wenn die bisherigen Passbemühungen gescheitert sind und die Behörde keine neuen, der konkreten Situation angepassten, Schritte der Mitwirkung aufzeigt. Ein allgemein gegebener Hinweis genügt hier nicht mehr.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Beschäftigungserlaubnis, Arbeitsgenehmigung, Ausbildung, Mitwirkungspflicht, Passbeschaffung, Identitätsnachweis,
Normen: AufenthG § 60a Abs. 6, AufenthG § 4 Abs. 2 S. 3,
Auszüge:

[...]

Zudem steht der Erteilung einer Ausbildungsduldung für den Antragsteller auch das absolute Erwerbstätigkeitsverbot gemäß § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AufenthG nicht entgegen. Nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG darf einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können. Zu vertreten im Sinne von § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG hat der Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Neben den in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG beispielhaft aufgeführten Fällen der Täuschung und Falschangaben ist auch in der unzureichenden Mitwirkung bei der Identitätsklärung und Passbeschaffung grundsätzlich ein Versagungsgrund nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zu sehen (Bayerischer VGH, Beschl. v. 31.7.2017 - 19 CE 17.1032 -, juris Rn. 18). Aus § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergibt sich für den Ausländer eine Mitwirkungs- und Initiativpflicht. Dies bedeutet, dass er an allen zumutbaren Handlungen mitwirken muss, die die Behörde von ihm verlangt. Er ist gehalten, die von ihm konkret geforderten Schritte zu unternehmen sowie konstruktiv die ihm aufgezeigten Aktivitäten zu entwickeln. Daneben hat er eigenständig die Initiative zu ergreifen, um nach Möglichkeiten zu suchen, bestehende Ausreisehindernisse zu beseitigen. Zu den denkbaren Pflichten gehört auch die Beschaffung von Identitätsnachweisen im Heimatland über Dritte.

Wenngleich dem Ausländer eine Initiativpflicht obliegt, hat die zuständige Behörde eine Hinweis- und Anstoßpflicht. Sie hat den Ausländer auf seine Pflichten hinzuweisen (§ 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) und diese konkret gegenüber dem Ausländer zu aktualisieren, um aus der mangelnden Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen ziehen zu können (BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 -, juris Rn. 17; Bayerischer VGH, Beschl. v. 7.5.2018 - 10 CE 18.464 -, juris Rn. 11 und Beschl. v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 -, juris Rn. 25). Sie ist gehalten, von sich aus das Verfahren weiter zu betreiben und auf weitere, dem Antragsteller gegebenenfalls nicht bekannte Möglichkeiten aufmerksam zu machen und diese mit ihm zu erörtern (Bayerischer VGH, Urt. v. 14.3.2012 - 10 B 10.109 -, juris Rn. 34). Insoweit ist die Behörde gehalten, konkret zu bezeichnen, was genau in welchem Umfang vom Ausländer erwartet wird, wenn sich ein bestimmtes Verhalten nicht bereits aufdrängen muss. Die Behörde ist regelmäßig angesichts ihrer organisatorischen Überlegenheit und Sachnähe besser in der Lage, die bestehenden Möglichkeiten zu erkennen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 3.12.2008 - 13 S 2483/07 -, juris Rn. 32). Unter Berücksichtigung der genannten Regelbeispiele in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG muss eine mangelnde Mitwirkung ein gewisses Gewicht erreichen, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie aktivem Handeln gleichzustellen (BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 -, juris Rn. 17).

Insoweit hat zunächst der Ausländer darzulegen, dass er seinen Pflichten in ausreichender und zumutbarer Weise nachgekommen ist. Erst wenn er die aufgezeigten (üblichen) Mitwirkungshandlungen und Obliegenheiten erfüllt hat, trägt die Ausländerbehörde die Darlegungs- und Beweislast dafür, welche konkreten weiteren und nicht von vornherein aussichtslosen Mitwirkungshandlungen der Betroffene zur Beseitigung des Ausreisehindernisses noch unternehmen kann (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.4.2019 - 11 S 2868/18 -, juris Rn. 9). [...]