VG Berlin

Merkliste
Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 01.08.2019 - 8 K 163.19 - asyl.net: M27626
https://www.asyl.net/rsdb/M27626
Leitsatz:

Ausbildungsduldung berechtigt zur Beantragung eines Wohnberechtigungsscheins:

Die Berechtigung zur Beantragung eines Wohnberechtigungsscheins nach § 27 WoFG besteht für Personen, die über eine noch mindestens ein Jahr gültige Ausbildungsduldung verfügen, da ihr Aufenthalts dann nicht mehr als nur vorübergehend im Sinne des § 27 Abs. 2 S. 2 WoFG anzusehen ist. Denn die Ausbildungsduldung soll Rechtssicherheit für die Zeit der Ausbildung und somit eine verlässliche Perspektive geben und ermöglicht im Anschluss einen "Spurwechsel" in einen regulären Aufenthaltstitel.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Ausbildungsduldung, Wohnberechtigungsschein, Antragsberechtigung, Bleibeperspektive,
Normen: WoFG § 27, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, WoFG § 27 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

Die Versagung der Erteilung des Wohnberechtigungsscheins ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat einen dahingehenden Anspruch.

Gemäß § 5 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) wird die Bescheinigung über die Wohnberechtigung (Wohnungsberechtigungsschein) in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) erteilt. § 27 Abs. 2 Satz 1 WoFG bestimmt, dass der Wohnberechtigungsschein auf Antrag des Wohnungssuchenden für die Dauer eines Jahres erteilt wird. Antragsberechtigt sind gemäß Satz 2 dieser Vorschrift Wohnungssuchende, die sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich des Wohnraumförderungsgesetzes aufhalten und die rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, für sich und ihre Haushaltsangehörigen auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensführung zu begründen und dabei einen selbstständigen Haushalt zu führen.

Die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins an einen Ausländer setzt demnach nicht nur die Prognose voraus, dass dieser faktisch über längere Zeit im Bundesgebiet verbleiben wird, sondern auch, dass er einen rechtlich verfestigten Aufenthaltsstatus besitzt (vgl. VG Berlin, Urteil vom 15. Juli 2016 - VG 8 K 57.16 - juris, Rn. 15). Die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts eines Ausländers und seine rechtliche Möglichkeit der Wohnsitzaufnahme im Bundesgebiet sind danach jedenfalls zu bejahen, wenn dieser über einen Aufenthaltstitel für einen nicht nur vorübergehender Aufenthalt verfügt oder ein sonstiges dauerhaftes Aufenthaltsrecht besitzt (Otte, in: Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, WoBauR, Stand: Januar 2015, § 27 WoFG, Anm. 3.2). Dies ist jedenfalls der Fall bei Besitz eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 und Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), wenn dieser zum Aufenthalt von mindestens einem Jahr berechtigt, oder für Inhaber eines Aufenthaltsrechts nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU).

Die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts eines Ausländers und die rechtliche Möglichkeit der Wohnsitzaufnahme im Bundesgebiet sind darüber hinaus auch dann zu bejahen, wenn der Ausländer Inhaber einer Duldung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG (Ausbildungsduldung) ist. Als Inhaber einer Ausbildungsduldung gehört er zu denjenigen Ausländern, die nicht nur faktisch über längere Zeit im Bundesgebiet verbleiben, sondern auch rechtlich einen verfestigten Aufenthaltsstatus besitzen (VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2019 - VG 8 K 202.18 - juris, Rn. 33 ff.).

Das WoFG enthält keine Regelung dazu, welche aufenthaltsrechtlichen Anforderungen Ausländer erfüllen müssen, um zum Kreis der Antragsberechtigten nach § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG zu gehören. Die Vorschrift verlangt nach ihrem Wortlaut keine Aufenthaltserlaubnis und schließt damit die rechtliche Möglichkeit einer dauerhaften Wohnsitznahme durch geduldete Ausländer nicht von vornherein aus. Nach dem Ergebnis einer teleologische Auslegung dient das Gesetz u.a. der Unterstützung von Haushalten bei der Versorgung mit Mietwohnungen (§ 1 Abs. 1 WoFG). Nach § 1 Abs. 2 WoFG sind Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind. Wegen der grundsätzlichen Knappheit der Ressourcen ist Sinn und Zweck des § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG, nur solchen Menschen Zugang zum Markt der öffentlich subventionierten Wohnungen zu gewähren, deren dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet der Gesetzgeber rechtlich billigt (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 27. März 2015 - VG 7 K 236.14 - juris, Rn. 4). [...]

Auch die Duldung vermittelt grundsätzlich kein auf Dauer gesichertes Bleiberecht. Bei der Duldung handelt es sich nicht um einen Aufenthaltstitel im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Die Duldung beschreibt als Aussetzung der Abschiebung ein der Durchsetzung der Ausreisepflicht entgegenstehendes Vollstreckungshindernis. Dieses kann ein zwingendes Vollstreckungshindernis tatsächlicher oder rechtlicher Art sein (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG), insbesondere bei tatsächlicher Unmöglichkeit (z.B. Passlosigkeit), entgegenstehenden Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG) oder wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe (Satz 3) die vorübergehende Anwesenheit des ausreisepflichtigen Ausländers erfordern. Die Duldung beseitigt aber weder die Ausreisepflicht (§ 60a Abs. 3 AufenthG) noch deren Vollziehbarkeit oder die Abschiebungsandrohung, sie setzt nur den Vollzug der Abschiebung aus (vgl. Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt AuslR, 12. Auflage 2017, § 60a AufenthG, Rn. 16). Wird der Ausländer geduldet, kann er zwar nicht abgeschoben werden, sein Aufenthalt ist auch nicht gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG strafbar, er ist jedoch auch nicht erlaubt. Die Duldung erlischt mit der Ausreise des Ausländers (§ 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Sie ist zu widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen (§ 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG).

Anders verhält es sich mit der auf § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG beruhenden Duldung. Nach dieser Vorschrift ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat (Ausbildungsduldung). Die Ausbildungsduldung ist ein Sonderfall der Duldung, weil sie eine rechtliche, nämlich gesetzliche Billigung des Aufenthalts bewirkt, ohne diesen dem dem Aufenthaltsgesetz zugrunde liegenden Regelungssystem entsprechend zu erlauben.

Die Ausbildungsduldung verwischt den aufenthaltsrechtlichen Unterschied zwischen Duldung und Aufenthaltserlaubnis. Wie die Aufenthaltserlaubnis, die grundsätzlich zu einem bestimmten Aufenthaltszweck erteilt wird (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), wird auch die Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 zu einem bestimmten Zweck (Berufsausbildung) und zumindest für die Dauer der beabsichtigten oder aufgenommenen Ausbildung erteilt (§ 60a Abs. 2 Satz 5 AufenthG). Sie soll dem Ausländer und dem Ausbildungsbetrieb Rechtssicherheit für die Zeit der Ausbildung (vgl. BT-Drs. 18/8615, S. 26, 48) und damit eine verlässliche Perspektive verschaffen. Anders als die schlichte Duldung erlischt die Ausbildungsduldung auch nicht ohne Weiteres bei Wegfall des Duldungszwecks. Im Falle der vorzeitigen Beendigung oder des Abbruchs der Ausbildung wird sie einmalig zum Zwecke der erneuten Suche einer Ausbildungsstelle verlängert (§ 60a Abs. 2 Satz 10 AufenthG); nach Abschluss der Berufsausbildung wird sie zum Zweck der Suche einer der erworbenen beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung verlängert (§ 60a Abs. 2 Satz 11 AufenthG). Nach Abschluss der Berufsausbildung ist ein Hineinwachsen in einen erlaubten Aufenthalt vorgesehen. Nach § 18a Abs. 1a AufenthG ist dem Ausländer, der seine Ausbildung auf Grundlage einer nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erteilten Duldung abschließt und im unmittelbaren Anschluss ein der erworbenen Qualifikation entsprechendes Beschäftigungsverhältnis eingeht, unter den weiteren Voraussetzungen von § 18a Abs. 1 a i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 bis 7 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung zu erteilen. Gleiches gilt, wenn die nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erteilte Duldung zunächst nach § 60a Abs. 2 Satz 11 AufenthG zur Arbeitsplatzsuche verlängert wurde und der Ausländer ein der erworbenen Qualifikation entsprechendes Beschäftigungsverhältnis findet.

Für die Beurteilung der rechtlichen Möglichkeit der Wohnsitzaufnahme im Sinne von § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG kommt es auf die aufenthaltsrechtliche Differenzierung von Ausbildungsduldung und Aufenthaltserlaubnis nicht an. Da die Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG für die Dauer der Ausbildung erteilt wird, sich an den Abschluss der Berufsausbildung eine Verlängerung gemäß § 60a Abs. 11 AufenthG zur Arbeitssuche bzw. die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung (§ 18a Abs. 1 Nr. 2 bis 7 AufenthG) anschließt, ist der durch sie rechtlich gebilligte Aufenthalt auch auf längere Dauer angelegt. Insofern sieht die Ausbildungsduldung den von der Rechtsordnung im Übrigen missbilligten "Spurwechsel" ausdrücklich vor (vgl. Röder/Wittmann, Aktuelle Rechtsfragen der Ausbildungsduldung, ZAR 2017, 345, 351). [...]