VG Weimar

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Zitieren als:
VG Weimar, Urteil vom 11.07.2019 - 4 K 1467/18 We - asyl.net: M27739
https://www.asyl.net/rsdb/M27739
Leitsatz:

Familienflüchtlingsschutz bei unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten der Eheleute:

Im Rahmen des "Familienasyls" ist nicht im Wege der teleologischen Auslegung als "ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal" zu fordern, dass die Familienschutz beantragende Person dieselbe Staatsangehörigkeit haben muss wie die stammberechtigte Person. Das Familienasyl ist auch dann nicht versperrt, wenn unterschiedliche Staatsangehörigkeiten vorliegen und die antragstellende Person in ihrem Herkunftsstaat mit Sicherheit wirksamen staatlichen Schutz in Anspruch nehmen kann.

(Leitsätze der Redaktion; noch nicht rechtskräftig; sich anschließend an: VG Hamburg, Beschluss vom 13.02.2019 - 10 AE 6172/18 - asyl.net: M27084; entgegen: VG Trier, Urteil vom 13.2.2019 - 1 K 6155/17.TR - juris)

Schlagwörter: Familienflüchtlingsschutz, Familienasyl, Staatsangehörigkeit, teleologische Reduktion, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal,
Normen: AsylG § 26 Abs. 5 S. 1, AsylG § 26 Abs. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat einen Anspruch auf Ehegattenasyl im gleichen Umfang wie seine Ehefrau (also auf subsidiären Schutz). [...]

Soweit in der Rechtsprechung zum Teil die Ansicht vertreten wird, dass als "ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal" im Wege der teleogischen Auslegung hinzukommen muss, dass der Antragsteller dieselbe Staatsangehörigkeit wie der stammberechtigte Ehegatte innehat (vgl. u.a. VG Kassel, Urteil vom 07.06.2018 - 2 K 183/17.KS.A, juris, Rn. 31) oder dass dem Antragsteller das Familienasyl versperrt ist, wenn er eine andere Staatsangehörigkeit als der Stammberechtigte hat und er in diesem Staat mit Sicherheit einen wirksamen staatlichen Schutz in Anspruch nehmen kann (VG Trier, Urteil vom 13.02.2019 - 1 K 6155/17.TR -, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht.

Zwar spricht für diese Auffassung der Gedanke, dass dem Ehegatten des Stammberechtigten der Weg in sein Herkunftsland offensteht, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er in Anspruch nehmen kann, um der drohenden Verfolgung oder - wie hier - dem drohenden ernsthaften Schaden aus dem Wege zu gehen.

Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden in Form von Todesstrafe, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung droht. Als Herkunftsland ist immer der Staat anzusehen, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt (so auch VG Kassel, Urteil vom 07.06.2018 - 2 K 1834/17.KS.A -, juris, Rn. 30). Denn das Recht auf Asyl gem. Art. 16a GG schützt in erster Linie davor, dass der Betroffene staatlicher Verfolgung seitens seines Staates ausgesetzt ist, denn es ist in aller Regel davon auszugehen, dass ein Staat, dessen Staatsbürgerschaft der Verfolgte besitzt, bereit ist, diesen aufzunehmen bzw. dass dieser dazu rechtlich verpflichtet ist, wenn die Vertilgung von einem Drittstaat ausgeht. Entsprechendes gilt für den internationalen Schutz gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.

Diesen Überlegungen ist jedoch entgegenzuhalten, dass die gleiche Konstellation sich auch ergeben könnte, wenn beide Ehegatten dieselbe Staatsangehörigkeit innehaben, z.B. weil der eine Ehegatte internen Schutz nach § 3e AsylG finden kann, der dem stammberechtigten Ehegatten z.B. wegen dessen Religions- oder Volkszugehörigkeit nicht offensteht.

Für eine teleologische Reduktion besteht daher weder ein hinreichender Grund noch eine zwingende Notwendigkeit. Vielmehr ist davon auszusehen, dass der Gesetzgeber bewusst - auch zur Verwaltungsvereinfachung - dem nachfolgenden Ehegatten eine Privilegierung zubilligen wollte und eine Verfolgungs- und Schicksalsgemeinschaft unterstellt, die nicht notwendigerweise eine einheitliche Staatsangehörigkeit voraussetzt (so auch VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 26.03.2019 - 3 K 455/17 -, juris, Rn. 24, m.w.N.).

Das Gericht folgt insoweit der überzeugenden Begründung im Beschluss des VG Hamburg von 13.02.2019 (10 AE 6172/18, juris, Rn. 19): [...]

Wenn das VG Trier a.a.O. die Ansicht vertritt, dass der Gesetzesbegründung zur derzeitigen Fassung des § 26 AsylG zu entnehmen sei, dass für Familienangehörige mit differierender Staatsangehörigkeit, die im Heimatstaat "mit Sicherheit" einen wirksamen staatlichen Schutz finden können, in analoger Anwendung von § 26a AsylG der Anspruch auf Familienasyl "versperrt" sei und sich darauf beruft, dass die Gesetzesänderung der praktischen Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU diente, die ihrerseits keine Anerkennung Familienangehöriger, die in "ihrem" Staat Aufnahme finden könnten, verlange, so ist dies nach Meinung des Gerichts spekulativ.

Zum einen verkennt das VG Trier, dass neben der Rechtsangleichung als Motiv sich auch noch das Motiv der Verfahrenserleichterung gleichberechtigt der Gesetzesbegründung entnehmen lässt. Dies wäre aber nicht gewahrt, wenn umfassend geprüft werden müsste, ob der Familienangehörige im Herkunftsland "mit Sicherheit" einen sicheren staatlichen Schutz in Anspruch nehmen kann.

Zum anderen räumt das VG Trier selbst ein, dass es dem nationalen Gesetzgeber offen steht, einen weitergehenden Schutz als es die Richtlinie vorsieht, zu gewähren. Allein aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber aus Anlass der Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU den § 26 AsylG änderte, kann nicht gefolgert werden, dass er dieser nur so weit folgen wollte, als es zwingend erforderlich war. Wenn der Gesetzgeber tatsächlich nur eine Regelvermutung zugunsten des Familienangehörigen des Stammberechtigten hätte einführen wollen, hätte er dies unmissverständlich in den Gesetzestext zum Ausdruck bringen können. Dies ist nicht geschehen. Daher ist für eine Analogie kein Platz. Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sich korrigierend in die Rolle des Gesetzgebers zu begeben. [...]

Es ist daher lediglich noch zu prüfen, ob eine gelebte Ehe im Verfolgerstaat bzw. in dem Staat, in dem ein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 AsylG droht, vorlag (BVerwG, Urteil vom 15.12.1992 - 9 C 61.91 -, juris). Hieran hat das Gericht keine durchgreifenden Zweifel. Insofern wird auf die vorgelegten Urkunden und die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung verwiesen. [...]