VG Meiningen

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Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 18.01.2019 - 5 E 1536/18 Me - asyl.net: M27746
https://www.asyl.net/rsdb/M27746
Leitsatz:

Trotz Gnandi keine aufschiebende Wirkung der Klage gegen Abschiebungsandrohung eines Zweitantrags:

1. Die aktuell bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung in einem Zweitantragsbescheid sind mit den Rechtsschutzanforderungen der Asylverfahrensrichtlinie vereinbar.

2. Der erfolglose Abschluss des Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat muss nach § 71a Abs. 1 AsylG gesichert feststehen. Es obliegt grundsätzlich dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens zu belegen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Drittstaatenregelung, Gnandi, Zweitantrag, Unzulässigkeit, Amtsermittlung, Suspensiveffekt, vorläufiger Rechtsschutz, Abschiebungsandrohung, Zulässigkeit,
Normen: VwGO § 80, AsylG § 71a, AsylG § 34 Abs. 1, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

Soweit der Antragsteller im Rahmen seines Hauptantrages geltend macht, dass seine Klage gegen die Abschiebungsandrohung stets aufschiebende Wirkung habe, weil das nationale Recht - hier der gesetzlich angeordnete Wegfall der aufschiebenden Wirkung seiner Klage mit der daraus folgenden Notwendigkeit, insoweit selbst fristgerecht um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegenüber der Abschiebungsandrohung nachzusuchen - dem Unionsrecht widerspreche, wie es der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vorn 19. Juni 2018, Az. C-181/16, dargelegt hat, so kann er damit nicht durchdringen.

Ein Widerspruch der nationalen Regelungen, welche einen Wegfall der aufschiebenden Wirkung der Klage und damit die Notwendigkeit vorsehen, selbst fristgerecht um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegenüber der Abschiebungsandrohung nachzusuchen, gegen die Vorgabe der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist nach Ansicht der Kammer nicht festzustellen.

aa. Die Vorschriften in der Richtlinie 2013/32/EU sind im Falle des Antragstellers nicht dahingehend auslegbar, dass ihm der Verbleib in der Bundesrepublik bis zur abschließenden Entscheidung über seinen Rechtsbehelf zu gestatten ist. Anders als Art. 39 der Vorgängerrichtlinie 2005/85/EG bestimmt nämlich in Bezug auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nunmehr Art. 46 der Richtlinie 3013/32/EU in dessen Abs. 6 Buchstabe b) ausdrücklich für den Fall einer Entscheidung, den Antrag gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchstaben a), b), oder d) als unzulässig zu betrachten, dass "das Gericht befugt ist, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist". Es zeigt sich somit sehr deutlich, dass ein Betroffener nach Art. 46 Abs. 6 Richtlinie 2013/32/EU kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats bis zu der Entscheidung über den ihm garantierten Rechtsbehelf i.S.d. Art. 46 Abs. 1 Verfahrensrichtlinie hat. Dies hat der EuGH nicht zuletzt auch in seinem Beschluss vom 5. Juli 2018 entsprechend präzisiert (EuGH: Beschl. v. 05.07.2018 - C-269/18 -, Rn. 53, zit. nach juris). Er verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der Betroffene - wie es Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU vorsieht - ein Gericht anrufen können muss, das darüber zu entscheiden hat, ob er im Hoheitsgebiet verbleiben kann, bis in der Sache über seinen Rechtsbehelf entschieden ist, und der betreffende Mitgliedstaat - wie es Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU vorsieht - dem Betroffenen bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren gestatten muss, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben (EuGH. Beschl. v. 05.07.2018, a.a.O.).

Diesen Rechtsschutzanforderungen der Richtlinie 2013/32/EU - auf welche der EuGH in seinem Beschluss vom 5. Juli 2018 explizit hinweist - wird das deutsche Asylverfahrensrecht im Falle des Antragstellers mit Blick auf die Regelungen hinsichtlich eines unzulässigen Zweitantrages gerecht. [...]

(2) Nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 71a Abs. 4 AsylG sowie § 36 Abs. 3 AsylG entsprechend steht dem Betroffenen im nationalen Recht ein gerichtlicher Rechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung nach Ablehnung seines Schutzgesuches als unzulässigen Zweitantrag zur Verfügung. Der Prüfungsumfang wird hierbei den Anforderungen des Art. 46 Abs. 6 Richtlinie 2013/32/EU gerecht. Im Falle eines solchen Rechtsbehelfs führt der rechtzeitig gestellte Eilrechtsschutzantrag nach § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG entsprechend automatisch dazu, dass die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist. Mit rechtzeitiger Einlegung des Eilrechtsschutzbehelfs wird der Vollzug der Abschiebung kraft Gesetzes bis zu einer Entscheidung des Gerichts ausgesetzt (vgl. Bergmann, in ders./Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht. Kommentar, 12. Auflage 2018, § 36 AsylG Rn. 20 und Müller, in: Hofmann (Hrsg.), Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 36 AsylG Rn. 34). Diese Regelung wird den Anforderungen des Art. 46 Abs. 8 Richtlinie 2013/32/EU gerecht. Dem Antragsteller wurden zudem durch die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, die auf die Möglichkeit, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu stellen, hinweist, hinreichend die ihm zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten zur Durchsetzung seiner Rechte aufgezeigt. Das vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 71 a Abs. 4 AsylG sowie § 36 Abs. 3 AsylG entsprechend genügt insoweit auch den Anforderungen nach Art. 47 der Grundrechtecharta, einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf zu gewähren. Darüber hinausgehende Anforderungen zur Gewährung wirksamen Rechtsschutzes vermag die Kammer - gerade vor dem Hintergrund von Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU - dem Unionsrecht nicht zu entnehmen.

bb. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 19. Juni 2018, Az. C-181/16.

Die Entscheidung des EuGH vom 19. Juni 2018 hatte mit Blick auf die zur Vorabentscheidung gestellte Vorlagefrage maßgeblich die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger sowie der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft zum Gegenstand. Dagegen ist vorliegend das Schutzgesuch des Antragstellers nach den die Richtlinie 2005/85/EG ersetzenden Vorschriften der Richtlinie 2013/32/EU europarechtlich zu beurteilen, da der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz nach dem 20. Juli 2015 stellte (vgl. Art. 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art 51 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU). Zu dieser Richtlinie hat sich der EuGH - abgesehen von der Wiedergabe des Unionsrechts in den Entscheidungsgründen als rechtlicher Rahmen in der angeführten Entscheidung - in seiner Entscheidung vom 19. Juni 2018 nicht geäußert. Auf den ihm vorgelegten Fall fand nämlich allein die Richtlinie 2005/85/EG Anwendung, da in diesem der Antrag auf internationalen Schutz vor dem 20. Juli 2015 gestellt worden war. Aufgrund der geänderten Rechtslage lassen sich die Ausführungen des EuGH nicht auf die nunmehr geltende Richtlinie 2013/32/EU übertragen. Anders als Art. 39 der Vorgängerrichtlinie 2005/85/EG sieht nämlich in Bezug auf das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nunmehr Art. 46 der Richtlinie 3013/32/EU in Absatz 6 und Absatz 8 ergänzende Regelungen vor (s.o.). Somit hat ein Betroffener, wenn sein Antrag gemäß Art. 33 Abs. 2 Buchstaben a), b) oder d) der Richtlinie 2013/32/EU als unzulässig erachtet wurde - wie es vorliegend der Fall ist - kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats bis zu der Entscheidung über den ihm garantierten Rechtsbehelf i.S.d. Art. 46 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU. Auf diese aus den Regelungen in Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 3013/32/EU resultierenden Folgen hat nicht zuletzt auch der EuGH in seiner jüngeren Entscheidung vom 5. Juli 2018 hingewiesen (EuGH, Beschl. v. 05.07.2018 a.a.O.). [...]

Ein erfolgloser Abschluss eines in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens i.S.d. § 71a Abs. 1 AsylG setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist (BVerwG. Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, Rn. 29, zit. nach juris). Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-) Verfahren noch wiedereröffnet werden kann; ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (siehe hierzu BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 -. Rn. 29 ff. zit. nach juris).

Der erfolglose Abschluss des Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat muss nach § 71a Abs. 1 AsylG gesichert feststehen. Bloße Mutmaßungen genügen insoweit nicht (VG Augsburg, Beschl. v. 01.03.2017 - Au 2 S 17.30752 -. Rn. 31; VG München, Beschl. v. 23.08.2017 - M 21 S 17.43254 -, Rn. 21; Beschl. v. 30.01.2017 - M 23 S 16.34550 -, Rn. 20; Beschl. v. 27.12.2016 - M 23 S 16.33585 -, Rn. 19; zit. nach juris; Bruns, a.a.O., Rn. 9). Der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung bzw. ausdrückliche Rücknahme muss insoweit festgestellt werden und feststehen (Bruns, a.a.O., Rn. 9; VG München. Beschl. v. 23.08.2017, a.a.O.; Beschl. v. 10.01.2017. a.a.O.; Beschl. v. 27.12.2016, a.a.O.; VG Augsburg. a.a.O., Rn. 32).

Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt bzw. fehlen Kenntnisse darüber, ob bzw. wie ein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat betrieben wurde oder wird, muss es diesbezüglich zunächst weitere Ermittlungen anstellen (VG Lüneburg, Beschl. v. 11.05.2015 - 2 B 13/15 -. Rn. 17. zit. nach juris; VG Augsburg, a.a.O., Rn. 31; VG München, Beschl. v. 23.08.2017, a.a.O.). Es obliegt grundsätzlich dem Bundesamt, den negativen Abschluss des Erstverfahrens zu belegen (vgl. Bruns, a.a.O., Rn. 9 mit Verweis auf die vom BVerwG betonte Amtsermittlungspflicht in BVerwG, Beschl. v. 18.02.2015 - 1 B 2.15 -). Angaben des Ausländers selbst zum Verlauf des in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Asylverfahrens stellen in aller Regel keine hinreichend verlässliche Tatsachenbasis für eine Zulässigkeitsentscheidung nach § 71a AsylG dar (VG Augsburg. a.a.O., Rn. 31; VG München, Beschl. v. 23.08.2017. a.a.O., Rn. 23; Beschl. v. 10.01.2017, a.a.O.), weil dieser in aller Regel den Verfahrensablauf nicht durchschaut hat und deshalb auch keine verlässlichen Angaben machen kann (so BayVGH. Urt. v. 03.12.2015 - 13a B 15.50069 -, Rn. 22. zit. nach juris). Eine Zulässigkeitsentscheidung, die auf einer derart unzuverlässigen Tatsachenbasis getroffen wird, kann für ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durchzuführendes Verfahren keine Grundlage sein (Marx, a.a.O., Rn. 14; BayVGH, a.a.O.). [...]