LG Osnabrück

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Zitieren als:
LG Osnabrück, Beschluss vom 05.11.2019 - 11 T 613/19 - Asylmagazin 3/2020, S. 89 - asyl.net: M27804
https://www.asyl.net/rsdb/M27804
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Zurückschiebungshaft bei fehlender Weiterleitung des Asylantrags:

Sucht eine inhaftierte Person gegenüber der Polizei an der Grenze sowie im Rahmen einer sich anschließenden richterlichen Anhörung gegenüber dem Amtsgericht um Asyl nach, so besteht eine unverzügliche Weiterleitungspflicht an das BAMF. Da die Entstehung der Aufenthaltsgestattung, die der Anordnung von Zurückschiebungshaft entgegensteht, vom Eingang des Asylgesuchs beim BAMF abhängig ist, darf es zu keiner vermeidbaren Verzögerung der Weiterleitung kommen.

(Leitsätze der Redaktion; Anm.: Laut Einsender entgegen Rspr. d. BGH v. 21.11.2002 - V ZB 49/02 - asyl.net: M3240, v. 6.5.2010 - V ZB 213/09 - asyl.net: M1740)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Asylantrag, Zurückschiebungshaft, Dublin III-Verordnung, Weiterleitungspflicht,
Normen: AufenthG § 57 Abs. 2, GG Art. 2 Abs. 2, AsylG § 55, AsylG § 18 Abs. 3, AsylG § 14 Abs. 2 S. 2, AsylG § 14 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die durch das Amtsgericht Meppen getroffene einstweilige Anordnung der vorläufigen Freiheitsentziehung des Betroffenen zur Sicherung seiner Zurückschiebung ist rechtswidrig und verletzt den Betroffenen in seinen Rechten. [...]

Auch unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßgaben ist die Kammer der Auffassung, dass im hiesigen konkreten Fall die Darlegungen der Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim in ihrem Antrag und des Amtsgerichts Meppen in dem angefochtenen Beschluss zur vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen die Anordnung einer Freiheitsentziehung zur Sicherung der Zurückschiebung nicht tragen:

Zum einen hat der Betroffene in Vorliegender Sache sein Asylbegehren nicht ausschließlich gegenüber einer Grenzbehörde, sondern gegenüber dem Amtsgericht Nordhorn geäußert. Zum anderen ergibt sich sowohl aus dem behördlichen Antrag als auch aus dem angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Meppen, dass am 22.10.2019, dem Tag der behördlichen Antragstellung und der amtsgerichtlichen Beschlussfassung eine Mitteilung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über das bereits am Vortag vom Betroffenen geäußerte-Asylbegehren noch nicht einmal veranlasst worden und die Weiterleitung des Asylbegehrens des Betroffenen an das BAMF noch nicht erfolgt war. Die Bundespolizeiinspektion Bad Bentheim hatte zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Amtsgericht am 22.10.2019 bereits Kenntnis über das Asylbegehren des Betroffenen vom 21.10.2019 und hätte das Asylbegehren bereits vor Erstellung des ausführlichen Antrags auf Anordnung der Freiheitsentziehung auf den Weg in Richtung des BAMF bringen können. Dem Betroffenen, der sich zum Zeitpunkt der Äußerung seines Asylbegehens bereits in Gewahrsam befunden hat und der deutschen Sprache nicht mächtig ist, war nicht in der Lage, sein Asylbegehren von sich aus schnellstmöglich beim BAMF anzubringen, um eine Aufenthaltsgestattung zu erhalten und so eine Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit seiner geplanten Zurückschiebung zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung der Kammer von einer Grenzbehörde, auch wenn sie unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 AsylG die Zurückschiebung des Ausländers unabhängig von einem Asylgesuch weiter zu betreiben hat, zu erwarten, dass sie das ihr bekannte Asylbegehren dennoch unverzüglich an das BAMF weiterleitet. Dieses Beschleunigungsgebot ergibt sich nach Meinung der Kammer zumindest auch aus dem in § 14 Abs. 2 Satz 2 AsylG niedergelegten Rechtsgedanken, wonach Ausländerbehörden bei ihr eingereichte schriftliche Asylanträge eines in öffentlichem Gewahrsam befindlichen Ausländers unverzüglich dem BAMF zuzuleiten haben. Nach Meinung der Kammer darf eine Freiheitsentziehung nicht davon abhängen, wie schnell oder langsam eine Behörde ein Asylbegehren an das BAMF weiterleitet. Da die Entstehung der Aufenthaltsgestattung vom Eingang des Asylbegehrens beim BAMF abhängig ist, darf es nach Auffassung der Kammer, wenn eine Freiheitsentziehung zur Sicherung der Zurückschiebung beantragt wird, zumindest nicht zu einer vermeidbaren Verzögerung der Weiterleitung des Asylbegehens an das BAMF gekommen sein. Eine solche Verzögerung ist im  vorliegenden Fall jedoch zu konstatieren. [...]