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VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Urteil vom 20.02.2019 - 5 K 1034/18.F.A - asyl.net: M27847
https://www.asyl.net/rsdb/M27847
Leitsatz:

Asyl- und Flüchtlingsanerkennung für einen homosexuellen Mann aus Jamaika:

1. Homosexuellen droht in Jamaika nichtstaatliche, aber keine staatliche Verfolgung. 

2. Interner Schutz steht nicht zur Verfügung.

(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Jamaika, homosexuell, soziale Gruppe, nichtstaatliche Verfolgung,
Normen: GG Art. 16a, AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Er gehört damit nach Überzeugung des Gerichts in Jamaika zu einer besonderen sozialen Gruppe, weil Homosexuelle dort eine gemeinsame unveränderliche Eigenschaft haben und eine eindeutige Identität teilen, die als anders als die der umgebenden Gesellschaft wahrgenommen wird (VG Kassel, Urteil vom 6. Juni 2018 - 1 K 6981/17.KS.A; VG Gießen, Urteil vom 3. März 2018 - 2 K 4928/17.GI.A; vgl. auch Country Policy and Information Notes des British Home Office "Jamaica: Sexual orientation and Bender identity", Stand: Februar 2017, S. 4).

Dem Kläger, der nach seinem glaubhaften Vortrag bereits in Jamaika wegen seiner Homosexualität verfolgt wurde, droht wegen dieser Eigenschaft im Falle der Rückkehr nach Jamaika politische Verfolgung.

Eine unmittelbare Verfolgung durch den Staat hat der Kläger bis zu seiner Ausreise nicht erfahren. Ihm droht im Falle seiner Rückkehr auch keine tatsächliche Gefahr einer solchen Verfolgung. Homosexualität als solche ist in Jamaika nicht illegal. Allerdings verbietet das sog. Buggery Law innerhalb des "Offences Against the Person Act" als Straftatbestand einvernehmlichen Analverkehr und bewehrt dies mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren. Dabei sind homo- und heterosexuelle Beziehungen gleichsam betroffen. Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes kam es in den letzten Jahren aber zu keinen Verurteilungen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. August 2018).

Dem Kläger drohte und droht jedoch Verfolgung in der Form einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, vor welcher der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu bieten. [...]

Aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein großer Teil der Bevölkerung in Jamaika Homosexuellen gegenüber feindlich eingestellt ist. Gewalttätige Übergriffe gegen Homosexuelle und Transsexuelle sind nicht selten. Ausweislich der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. August 2018 gibt es bei der Bevölkerung von Jamaika mehrheitlich erhebliche Vorbehalte gegen Homosexualität, vor allem, wenn sie offen praktiziert wird. Von einem kleinen Teil der Bevölkerung werden Homosexuelle als "widernatürlich" ausgegrenzt, gemobbt und auch physisch bedroht. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes müssen Menschen in Jamaika wegen ihrer sexuellen Orientierung, besonders Homosexuelle, immer wieder mit Belästigungen und Gewalttaten rechnen. Nicht-staatliche Gewalt gegen Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes regelmäßig festzustellen.

Nach Überzeugung des Gerichts ist der jamaikanische Staat zwar grundsätzlich willens, Homosexuelle, Bisexuelle, Lesben und Transgender (LGBT), die sich dort offen zu ihrer Sexualität bekennen, vor Übergriffen Dritter zu schützen. Der generell von Klägerseite erfolgende Vortrag, die-Polizei in Jamaika schütze ihn nicht, weil sie korrupt und ebenfalls homophob sei, findet in den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen in dieser allgemeinen Form keine Grundlage. Dieser Eindruck wird auch durch die vom Kläger vorgelegten Kopien von Strafanzeigen bestätigt, wonach sich die Polizei sehr wohl um sein Anliegen gekümmert hat. Staatliche Kräfte verfolgen demnach diese Straftaten als solche. Allerdings unternehmen sie nichts zum Schutz der Betroffenen oder aktiv zur Aufklärung der Bevölkerung (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7. August 2018). Gegen diese Verfolgung kann der Kläger mithin keine bzw. nur begrenzte staatliche Hilfe in Anspruch nehmen (vgl. VG Kassel, Urteil vom 15. August 2018 - 1 K 6747/17.KS.A; VG Gießen, Urteil vom 2! März 2018 - 2 K 4928/17.GI.A).

Soweit die Beklagte die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Kassel heranzieht, wonach Homosexuellen in Jamaika gegenwärtig und in absehbarer Zukunft eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stand und steht, insbesondere an der Nordküste des Landes bei touristischen Hotels, vermag das Gericht dieser Einschätzung im Hinblick auf den Kläger nicht zu folgen. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass der Kläger den homophoben Angriffen seitens der jamaikanischen Gesellschaft landesweit ausgesetzt war bzw. sein wird. So schilderte der Kläger, von Kingston nach Montego Bay gegangen und dort aber aufgrund der Übergriffe auf ihn nur kurz geblieben zu sein. Daher geht das Gericht davon aus, dass auch in diesem Touristengebiet der Kläger keinen sicheren Ort finden konnte. [...]