VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 08.08.2018 - 2 J 6083/17.GI.A - asyl.net: M27879
https://www.asyl.net/rsdb/M27879
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für eine transsexuelle Person aus Trinidad:

Zwar ist die Regierung in Trinidad und Tobago grundsätzlich willens, LSBTI-Personen vor Übergriffen Dritter zu schützen. Im Falle einer transsexuellen Person, die vorverfolgt ausgereist ist und der es nicht zuzumuten ist, sich unauffällig zu verhalten, ist jedoch davon auszugehen, dass die Polizei überfordert wäre, diese zu schützen.

(Leitsätze der Redaktion; diese und weitere Entscheidungen zu LSBTI-Personen sind auch zu finden in der Rechtsprechungssammlung des LSVD)

Schlagwörter: Trinidad und Tobago, transgender, Transsexuelle, Jamaika, LSBTI, LGBTI, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Der Kläger hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Ergehens dieser Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. §§ 3 ff. AsylG zuerkennt. [...]

Nach Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei dem Kläger um einen Mann, der auf Grund einer bereits in Trinidad begonnenen und seit 2 Jahren andauernden Hormonbehandlung gleichsam im Körper einer Frau lebt. Diese Annahme beruht auf dem Vortrag des Klägers und auf dem Gesamteindruck, den sich das Gericht von ihm in der mündlichen Verhandlung verschafft hat, wonach der Kläger von Aussehen und Verhalten her von einer Frau kaum zu unterscheiden ist.

Er gehört damit nach Überzeugung des Gerichts in Trinidad und Tobago zu einer besonderen sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, weil er als Transgender dort eine gemeinsame unveränderliche Eigenschaft hat und eine eindeutige Identität teilt, die als anders als die der umgebenden Gesellschaft wahrgenommen wird. Insoweit hält das Gericht die Situation vergleichbar mit der in Jamaika, weil die Einstellung gerade in der Unterschichtgesellschaft in den Karibikstaaten in dieser Beziehung, insbesondere was Homophobie und Ablehnung von LGBT insgesamt angeht, sich sehr ähnelt (vgl. ilga, State-Sponsored Homophobia, May 2017, S. 119 ff.; vgl. zur Situation in Jamaika: Home Office, Country Policy and Information Note Jamaica: Sexual orientation and gender identity, S. 4).

Dem Kläger, der nach seinem glaubhaften Vortrag bereits in Trinidad und Tobago als Transgender verfolgt wurde, droht wegen dieser Eigenschaft im Falle der Rückkehr dort politische Verfolgung i.S.d. § 3c Nr.1 AsylG).

Eine unmittelbare Verfolgung durch den Staat gem. § 3c Nr. 1 AsylG) hat der Kläger bis zu seiner Ausreise nicht erfahren. Ihm droht im Falle seiner Rückkehr auch keine tatsächliche Gefahr einer solchen Verfolgung.

Dem Kläger drohte und droht jedoch Verfolgung i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG in der Form einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Eine solche führt nur dann zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz vor Verfolgung im Sinne des § 3d AsylG zu bieten. Hierzu bestimmt § 3d Abs. 2 AsylG, dass der Schutz vor Verfolgung wirksam sein muss und nicht nur vorübergehender Art sein darf und dass generell ein solcher Schutz gewährleistet ist, wenn der Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung zu verhindern.

Nach Überzeugung des Gerichts ist die Regierung in Trinidad und Tobago ebenso wie der jamaikanische Staat grundsätzlich willens, Homosexuelle, Bisexuelle, Lesben und Transgender (LGBT), die sich dort offen zu ihrem Anderssein bekennen, vor Übergriffen Dritter zu schützen. In Extremfällen wie dem vorliegenden hält das Gericht die Polizei allerdings ausnahmsweise für überfordert, angesichts der weit verbreiteten Homophobie auch in Trinidad und Tobago den Kläger ausreichend zu schützen, wie die vom Kläger gegenüber dem Bundesamt glaubhaft geschilderten Vorfälle zeigen.

Zusammenfassend ist das Gericht auf Grund dessen der Überzeugung, dass der Kläger als Transgender, der vorverfolgt ausgereist ist und dem es nicht zuzumuten ist, sich bei seiner Rückkehr nach Jamaika unauffällig zu verhalten, wegen des nur begrenzten Schutzes durch die Polizei der realen Gefahr von Übergriffen auf Grund seiner sexuellen Andersartigkeit ausgesetzt ist, mit der Folge, dass ihm ausnahmsweise die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. [...]