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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 12.11.2019 - XIII ZB 34/19 - asyl.net: M27939
https://www.asyl.net/rsdb/M27939
Leitsatz:

Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft wegen fehlender Beteiligung der verfahrensbevollmächtigten Person:

Legt die betroffene Person im Anhörungstermin über die Haftverlängerung ein Schreiben vor, aus dem hervorgeht, dass sie anwaltlich vertreten wird, muss die verfahrensbevollmächtigte Person die Gelegenheit erhalten, an der Anhörung teilzunehmen. Anderenfalls ist die Haftanordnung rechtswidrig.

(Leitsätze der Redaktion; sich anschließend an: BGH, Beschluss v. 4.7.2019 – V ZB 19/19 - juris)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Verlängerung, Haftverlängerung, Prozessbevollmächtigte, Rechtsanwalt, Anhörung, Haftanordnung, faires verfahren,
Normen: FamFG § 427, AufenthG § 62,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Verfahrensweise des Amtsgerichts hat den Betroffenen - anders als das Beschwerdegericht meint - in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 u. 20; Beschluss vom 27. September 2018 - V ZB 96/18, juris Rn. 7 ff.; Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 4). [...]

2. Das Amtsgericht hat die Haft auf der Grundlage einer Anhörung angeordnet, an der der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen nicht teilnehmen konnte. Es hat den Betroffenen, der sich seit dem 21. Februar 2018 in Abschiebungshaft befand, auf Antrag der beteiligten Behörde vom 24. Mai 2018 noch am darauffolgenden Tag, dem 25. Mai 2018, angehört. Dies entsprach zwar der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zu einer unverzüglichen Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung durch den Richter (Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG; vgl. BVerfGE 105, 239, 249). Das Amtsgericht hat aber dem durch Übergabe des Schreibens seines Verfahrensbevollmächtigten vom 17. Mai 2018 erkennbaren (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 5) und vom Amtsgericht ausweislich des Sitzungsprotokolls auch erkannten Willen des Betroffenen, in diesem Verfahren von seinem Bevollmächtigten vertreten zu werden, nicht wie geboten Rechnung getragen. Statt den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen unverzüglich zu kontaktieren, ihn über die anberaumte Anhörung zu informieren und ihm Gelegenheit zu geben, an der Anhörung im Hauptsacheverfahren - gegebenenfalls durch Anberaumung eines neuen Termins unter Anordnung einer nur kurzen Haft im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG (BGH, Beschluss vom 27. September 2018 - V ZB 96/18, juris Rn. 9) - teilzunehmen, hat das Amtsgericht noch in der Sitzung vom 25. Mai 2018 Haft bis zum 20. Juli 2018 angeordnet.

Der Umstand, dass dem Amtsgericht eine Vertretungsanzeige des Verfahrensbevollmächtigten bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, entband das Gericht auch unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots nicht davon, die Verfahrensgrundrechte des Betroffenen im Übrigen zu gewährleisten.

3. Eine Heilung des Verfahrensfehlers - die mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 25) - ist auch in der Beschwerdeinstanz nicht eingetreten. Sie setzt eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen voraus (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 167/16, juris Rn. 9). Eine solche Anhörung ist indes nicht erfolgt. Darauf, ob von einer erneuten, die Verfahrensgrundrechte wahrenden Anhörung weitergehende Ausführungen des Betroffenen zu erwarten sind, kommt es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht an. Folglich fehlt es insgesamt an einer rechtmäßigen Haftanordnung. [...]