VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 05.12.2019 - 4 K 3655/18.A - asyl.net: M28062
https://www.asyl.net/rsdb/M28062
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot hinsichtlich Albanien:

Eine schwere rezidivierende Depression und Posttraumatischer Belastungsstörung ist in Albanien zwar grundsätzlich behandelbar, im konkreten Fall wegen der gerichtsbekannten Umstände des albanischen Gesundheitssystems aber nicht erreichbar.

(Leitsätze der Redaktioin)

Schlagwörter: Albanien, medizinische Versorgung, psychische Erkrankung, Behandlungskosten, Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Aufgrund der aktuellen Auskunftslage ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine erforderliche Behandlung in Albanien möglich wäre. Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos. Da Ärzte und Pflegepersonal jedoch nur geringe Gehälter erhalten, sind Zuzahlungen häufige Praxis, insbesondere von Patienten, die nicht über Privilegien oder Beziehungen verfügen, auch aus der Erwägung heraus, auf diese Weise eine bessere medizinische Behandlung zu erhalten. Ausstattung und Hygiene der staatlichen Krankenhäuser und Polikliniken liegen weit unter westeuropäischen Standards. Die Ärzte sind zwar im Regelfall gut ausgebildet, beim Pflegepersonal gibt es jedoch Defizite. Kompliziertere Behandlungen können nur in Tirana und in anderen größeren Städten durchgeführt werden. Die Versorgungslage in den psychiatrischen Kliniken ist schlecht. Einige gut ausgestattete Privatkliniken bieten in den größeren Städten ihre Dienste an; sie sind jedoch für einen Großteil der Bevölkerung zu teuer. Die Versorgung mit Medikamenten stellt kein Problem dar. Die örtlichen Apotheken bieten ein relativ großes Sortiment von gängigen Medikamenten an, die zum großen Teil aus der EU importiert werden. Es besteht die Möglichkeit, weitere Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen. Die staatliche Krankenversicherung übernimmt in der Regel die Kosten für das billigste Generikum bei Standard-Medikamenten. Teurere Medikamente oder solche für außergewöhnliche Krankheiten gehen zu Lasten des Patienten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung von Albanien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 24. Juni 2019 (Stand: Mai 2019), S. 14. Zur Krankenversicherung in Albanien vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Albanien: Posttraumatische Belastungsstörung; Blutrache, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 13. Februar 2013, S. 4 f.).

In Anbetracht dieser allgemeinen Versorgungslage besteht ein hinreichender Anhalt dafür, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin zu 1. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald nach ihrer Ankunft im Abschiebezielstaat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. [...]

Diesen Mindestanforderungen genügen die von der Klägerin 1. vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen in jeder Hinsicht. Ihnen lässt sich mit aller Deutlichkeit und Präzision entnehmen, auf der Grundlage welcher Befunde der Facharzt für Psychotherapeutische Medizin ... sowie der Arzt für Neurologie und Psychiatrie ... und Dipl.-Psych. ... als psychologische Psychotherapeutin zu ihrer Diagnose gelangt sind, dass die Klägerin zu 1. an einer dringend behandlungsbedürftigen schweren rezidivierenden Depression ohne psychotische Symptome und einer schweren komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Dies deckt sich im Wesentlichen mit den zuvor von der ...-Klinik ... festgehaltenen Diagnosen und dem vom Facharzt ...  festgehaltenen Behandlungsverlauf. Die Behandlung (medikamentös mit Duloxetin, Pregabalin, Quetiapin und therapeutisch mit Traumatherapie) ist dauerhaft durchzuführen. In Anbetracht der gerichtsbekannten Umstände des albanischen Gesundheitssystems ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1. verlässlich die für sie unabdingbare medizinische Versorgung erhalten wird. Insbesondere wird sie sich nicht auf die Unterstützung durch ihren noch in Albanien vorhandenen Familienverband stützten können. In Anbetracht des glaubhaften Vortrags der Klägerin zu 1. ist nicht davon auszugehen, dass sie von ihrem Ehemann Unterstützung erhalten wird. Ebenso wenig werden ihre Eltern sie unterstützen. Der Kontakt zu diesen ist abgebrochen. Diese sind nach dem glaubhaften Vortrag der Klägerin zu 1. nicht bereit, sie und ihre Kinder im Falle einer Rückkehr nach Albanien aufzunehmen. [...]