VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Beschluss vom 03.05.2019 - 4 B 113/19 - asyl.net: M28080
https://www.asyl.net/rsdb/M28080
Leitsatz:

Eilrechtsschutz gegen einen Ausweisungsbescheid während eines laufenden Widerrufsverfahrens:

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Rücknahme eines Verwaltungsakts (hier: Zuerkennung subsidiären Schutzes) genügt nicht den Anforderungen des § 80 Ab. 3 S. 1 VwGO, wonach die Vollzugsanordnung zu begründen ist, wenn sie formelhaft und nicht auf den Einzelfall bezogen ist.

2. Bei einem Verwaltungsakt wie einer Ausweisung, der für die betroffene Person gravierende Folgen hat, ist erforderlich, dass sich sowohl der konkrete Regelungsgehalt (hier: Ausweisung) als auch die Ermächtigungsgrundlage, auf die sich die Behörde stützt, dem Verwaltungsakt selbst entnehmen lassen. Dies war im vorliegenden Fall für den Betroffenen nicht klar erkennbar.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Widerruf, Widerrufsverfahren, internationaler Schutz, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz, Ausweisung, Täuschung über Identität, Bestimmtheit, Verwaltungsakt, aufschiebende Wirkung
Normen: VwGO § 80 Abs. 2, VwGO § 80 Abs. 3, AufenthG § 53, VwVfG § 37, VwVfG § 48
Auszüge:

[...]

aa) (1) Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern am ... Februar 2019 erhobenen Klage (Aktenzeichen: 4 A 112/19) nicht wiederherstellen, weil diese Klage bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Der Antragsgegner hat in Ziffer 1. des Tenors dieses Bescheides verschiedene den Antragstellern erteilte Verwaltungsakte zurückgenommen. Die Klage gegen die Rücknahme dieser Verwaltungsakte hat gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung.

Aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO in Verbindung mit § 84 AufenthG ergibt sich nichts Anderes. Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nummer 4 AufenthG hätte der Widerruf des Aufenthaltstitels eines Ausländers nach § 52 Abs. 1 Satz 2 Nummer 4 AufenthG in den Fällen des § 75 Abs. 2 Satz 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Es ergibt sich auch nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nummer 4 VwGO, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung nicht wirksam angeordnet. In Ziffer 4. des Tenors des Bescheides vom ... Januar 2019 hat der Antragsgegner "den Vollzug der sofortigen Vollziehung des Verfügungspunktes 2" angeordnet. Unter Verfügung 2. des Bescheides hat der Antragsgegner die Antragsteller aufgefordert, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 4 Wochen "nach Bestandskraft dieses Bescheides zu verlassen". Damit hatte Antragsgegner die Antragsteller weder wirksam ausgewiesen, noch hat er die sofortige Vollziehung der unter Verfügungspunkt 1. geregelten Rücknahme verschiedener den Antragstellern erteilter Verwaltungsakte wirksam angeordnet.

Selbst wenn man dies aufgrund der Begründung zu dem Verfügungspunkt 4. (Seite 11 des Bescheides vom ... Januar 2019) anders sähe, würde die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung jedenfalls nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügen, weil sie formelhaft und nicht auf den Einzelfall bezogen ist.

(2) Die Antragsteller zu 2.-6. haben Anspruch auf die Feststellung, dass ihre Klage aufschiebende Wirkung hat, weil der Antragsgegner die aufschiebende Wirkung ihrer Klage nicht beachtet und ihre Abschiebung betreibt.

Der Bescheid des Antragsgegners vom ... Januar 2019 (Blatt 57 ff. der Gerichtsakte zu dem Verfahren 4 A 404/18) ist voraussichtlich keine wirksame Ausweisung der Antragsteller. Der Bescheid vom    ... Januar 2019 ist inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Gemäß § 1 Abs. 1 Niedersächsisches VwVfG in Verbindung mit § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Diese Anforderung wird der Bescheid des Antragsgegners vom ... Januar 2019 nicht gerecht. Unter Ziffer 1. des Tenors dieses Bescheides werden die Antragsteller nicht ausgewiesen. Das Wort "Ausweisung" kommt im Tenor des Bescheides nicht vor. Vielmehr werden darin den Antragstellern in der Vergangenheit erteilte Verwaltungsakte zurückgenommen. In der Begründung des Bescheides wird zwar einerseits auf § 53 AufenthG Bezug genommen, was dafür spricht, dass der Antragsgegner davon ausging, die Antragsteller auszuweisen. Allerdings wird in dieser Begründung im gleichen Maße auf § 48 VwVfG Bezug genommen. Daher ist für die Adressaten nicht hinreichend klar erkennbar, ob es sich um eine Ausweisung oder die Rücknahme von Verwaltungsakten handelt. Bei einem Verwaltungsakt, der für die Adressaten derartig gravierende Folgen hat, ist es aber erforderlich, dass sich sowohl der Regelungsgehalt als auch die Ermächtigungsgrundlage, auf die sich die Behörde stützt, aus dem Verwaltungsakt selbst entnehmen lassen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass der Antragsgegner in seinem Bescheid vom ... Januar 2019 die Antragsteller ausgewiesen hätte, wäre diese Ausweisung voraussichtlich rechtswidrig. Der Antragsgegner geht in seinem Bescheid vom ... Januar 2019 erkennbar davon aus, dass die Antragsteller (nicht) mehr subsidiär Schutzberechtigte seien. Dies ist jedoch unzutreffend, weil die Antragsteller im Besitz bestandskräftiger Bescheide sind, mit denen ihnen subsidiärer Schutz im Sinne des § 4 AsylG zuerkannt wurde. Bis zur Bestandskraft der diesbezüglichen Rücknahmebescheide sind die Antragsteller daher rechtlich als subsidiär Schutzberechtigte zu behandeln. Die Ausländerbehörde ist nicht befugt, festzustellen, dass die Antragsteller den ihnen zuerkannten subsidiären Schutz verloren haben. Der Gesetzgeber hat in §.5 Abs. 1 AsylG und im § 6 AsylG klar geregelt, dass ausschließlich das Bundesamt dazu berufen ist, über Asylanträge zu entscheiden und die Entscheidung des Bundesamts in allen Angelegenheiten, in denen die Zuerkennung internationalen Schutzes rechtserheblich ist für andere Behörden - und damit auch für die Ausländerbehörde - bindend ist.

Diese klare Regelung kann der Antragsgegner nicht dadurch umgehen, dass er eine gesetzlich nicht vorgesehene Kompetenz zur Feststellung des Verlusts des subsidiären Schutzes konstruiert. § 72 Abs. 1 Nummer 3 AsylG ist insofern weder seinem Wortlaut nach auf den vorliegenden Fall anwendbar, noch liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, was aber Voraussetzung für eine analoge Anwendung dieser Regelung wäre. [...]