VG Lüneburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Lüneburg, Urteil vom 16.01.2020 - 6 A 688/17 - asyl.net: M28083
https://www.asyl.net/rsdb/M28083
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für einen Regierungskritiker aus Simbabwe:

1. Die Erkenntnismittel legen nahe, dass Personen, die als regierungskritisch wahrgenommen werden, politische Verfolgung befürchten müssen. Es gibt Berichte über Folter und Verschwindenlassen.

2. Die Tatsache, dass die Ausreise über den Flughafen erfolgen konnte, spricht nicht gegen eine weitere Verfolgung, da eine Festnahme auch erst bei der Wiedereinreise erfolgen kann. Darüber hinaus ist auch eine politische Verfolgung unterhalb der landesweiten Fahndung möglich.

3. Die Lage in Simbabwe hat sich seit 2016 bis 2020 nicht wesentlich verbessert, so dass eine weitere Verfolgung beachtlich wahrscheinlich ist.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Simbabwe, politische Verfolgung, Flüchtlingsanerkennung,
Normen: AsylG § 3,
Auszüge:

[...]

Das Gericht erachtet den Sachvortrag des Klägers insgesamt für glaubhaft. Seine Schilderung der äußeren Abläufe im Hinblick auf die Verfolgung von Demonstranten und Fotografen stimmen mit den Erkenntnissen des Gerichts überein. So wurde nach dem Jahresbericht von Amnesty International 2016 der Journalist und Aktivist der Demokratiebewegung Itai Dzamara am 9. März 2015 von fünf Männern verschleppt und ist seither verschwunden. Eine staatliche Aufklärung des Vorfalls hat es nicht gegeben. Nach dem Länderinformationsblatt Simbabwe des österreichischen Landesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Juli 2015 kommt es in Simbabwe zu Folter an Bürgern in Gefängnissen und bei Verhören. Armeeangehörige und Polizeieinheiten organisieren und beteiligen sich an Gewalt oder unterstützen Aktivisten politischer Gewalt und billigen im Wesentlichen ihre Aktionen. Dies entspricht dem Ablauf der vom Kläger geschilderten Ereignisse auf der Polizeiwache, wo er von Mitgliedern der ZANU-PF in Anwesenheit der passiv bleibenden Polizisten verhört und misshandelt wurde.

Der Umstand, dass der Kläger auf dem Flughafen nicht verhaftet worden ist, lässt zwar den Schluss zu, dass zu diesem Zeitpunkt nicht landesweit nach ihm gefahndet worden ist; andererseits vermochte aber selbst der wesentlich prominentere ... zunächst auszureisen und wurde dann erst bei der Rückkehr nach Simbabwe verhaftet. Nach Einschätzung des Gerichts ist aber auch eine politische Verfolgung unterhalb der Schwelle einer landesweiten Fahndung möglich. Die Darstellung des Klägers hinsichtlich seiner damaligen Verhaftung ist glaubhaft und entspricht den Erkenntnissen über die damaligen Ereignisse in Simbabwe. Die vorgelegten Dokumente weisen keine erkennbaren Fälschungsmerkmale auf und bestätigen die Angaben des Klägers.

Da der Kläger mithin vorverfolgt ausgereist ist, könnte eine Flüchtlingsanerkennung nur bei stichhaltigen Gründen gegen eine erneute Verfolgung versagt werden. Daran fehlt es. Bei den aktuellen Wahlen in Simbabwe ist es nach einem weitgehend fair verlaufenden Wahlkampf zu Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung und dann zu einem Streit über das Wahlergebnis gekommen (vgl. Spiegel online v. 31.7. und 1.8.2018).

Gewalt war zunächst kein Thema der Wahl. Die Parteien hatten sich zum Frieden bekannt. Das war nicht immer so. In der Vergangenheit waren die Wahlen von Gewalt geprägt und viele Wähler lehnten die Urnengänge ab. Dieses Mal wurde von beiden großen Lagern ein Friedensversprechen unterzeichnet - vom amtierenden Präsidenten Emmerson Mnangagwa und seiner Partei ZANU-PF sowie von der Partei MDC-T. Die Zahl der registrierten Wähler, die sich seit Jahren um die drei Millionen bewegt hatte, stieg nun auf 5,6 Millionen. Die vorläufige Wahlbeteiligung lag bei 75 Prozent - statt der 46 Prozent bei früheren Wahlen. Am Mittwoch waren jedoch bewaffnete Truppen auf den Straßen der Hauptstadt Harare unterwegs. Sie gingen gegen Oppositionsanhänger vor, die wegen angeblicher Wahlmanipulationen protestierten. Es gab sogar Tote (vgl. Deutsche Welle v. 2.8.2018; ntv v. 2.8.2018).

Nach der Niederlage der Opposition bei der Präsidentenwahl in Simbabwe geht die Justiz gegen mehrere Oppositionsanhänger vor. 24 festgenommene Mitglieder der Partei MDC mussten vor-einem Gericht in Harare erscheinen. Die Richter vertagten die Behandlung des Falls allerdings wegen Überlastung bis Montag. Die Beschuldigten bleiben weiter in Haft.

Den 16 Männern und acht Frauen wird "öffentliche Gewalt" zur Last gelegt. Sie sollen bei Oppositionsprotesten gegen den Wahlsieg von Amtsinhaber Emmerson Mnangagwa Fensterscheiben eingeworfen, Autos angezündet und Steine geworfen haben. Ihr Anwalt betonte dagegen, sie seien im Rahmen einer "Schleppnetz"-Operation gegen die Opposition gefasst worden. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden nach der Wahl mehr als 60 Oppositionelle "willkürlich verhaftet" (vgl. Deutsche Welle v. 4.8.2018).

Nach Angaben der Wahlbehörde gewann Präsident Mnangagwa von der Regierungspartei ZANU-PF die Wahl mit 50,8 Prozent der Stimmen. Oppositionsführer Nelson Chamisa von der MDC erhielt demnach 44.3 Prozent. Die Opposition bezweifelt, dass dies der Wahrheit entspricht. Sie will das Wahlergebnis nicht anerkennen. Amtsinhaber Mnangagwa warf den Regierungsgegnern indes vor, Unruhen zu fördern.

Angesichts dieser Entwicklung nach den Wahlen kann eine weitere Verfolgung der Angehörigen und Anhänger der MDC nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Vielmehr sprechen die erneuten Verhaftungen eher dafür, dass sich die Verfolgung von Oppositionellen fortsetzt.

Nach dem Bericht von Human Rights Watch vom 14. Januar 2020 (World Report 2020 - Zimbabwe) verbleibt Simbabwe entgegen der Reformankündigungen von Präsident Mnangagwa in höchstem Maß intolerant gegenüber elementaren Rechten wie friedlichem Widerspruch und freier Meinungsäußerung. Während der landesweiten Proteste Mitte Januar 2019, die auf die Ankündigung des Präsidenten, die Treibstoffpreise zu erhöhen, gefolgt waren, reagierten die Sicherheitskräfte mit tödlicher Gewalt, töteten mindestens 17 Menschen, vergewaltigten mindestens 17 Frauen, verletzten 81 Menschen und verhafteten über 1.000 Personen, die sie des Protestes verdächtigten. In den Folgemonaten wurden mehrere Aktivisten, Führer der Opposition und andere Regierungskritiker willkürlich verhaftet, entführt, geschlagen oder gefoltert. Auch das US Department of State (Country Report an Human Rights Practices 2018 - Zimbabwe vom 13. März 2019) bestätigt nach der Wahl von Mnangagwa am 30. Juli 2018 Menschenrechtsprobleme einschließlich willkürlicher Tötungen, von der Regierung gesteuerte Entführungen, willkürliche Verhaftungen, Folter, harte Haftbedingungen, kriminelle Verleumdungen etc.

Angesichts dieser jedenfalls seit der Ausreise nicht substantiell verbesserten Lage in Simbabwe gibt es keine stichhaltigen Gründe für Annahme, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland nicht mehr verfolgt würde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Polizei und die Regierungspartei ihn nach wie vor der Tätigkeit für eine ausländische Organisation oder für die Opposition verdächtigen und ihn erneut verhaften und menschenrechtswidrig behandeln würden. [...]