Rechtsschutz in Deutschland gegen Asylantragsablehnung als "offensichtlich unbegründet" ist unionsrechtswidrig:
"1. Die Verbindung der ablehnenden Entscheidung über einen Asylantrag mit einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung steht nur dann mit der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG im Einklang, wenn gewährleistet ist, dass [die betroffene Person] ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den maßgeblichen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags hat und dieser Rechtsbehelf seine volle Wirksamkeit entfaltet (wie BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 1.19 - [asyl.net: M28423]).
2. Eine Abschiebungsandrohung, die das Bundesamt zusammen mit der Entscheidung, einen Asylantrag als (offensichtlich) unbegründet abzulehnen, erlässt und in der eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt wird, die mit der Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung beginnt, gewährleistet die unionsrechtlich geforderten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte nicht in vollem Umfang.
3. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG hindert nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG den Vollzug der angedrohten Abschiebung (Vollzugshemmung) und nicht deren Vollziehbarkeit. § 59 Abs. 1 Satz 6 und 7 AufenthG, die auf den Wegfall der "Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung" abstellen, sind nicht (entsprechend) anwendbar.
4. § 36 Abs. 3 AsylG kann nicht unionsrechtskonform dahin ausgelegt werden, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO eine auf die Dauer des Eilverfahrens begrenzte Aussetzung aller Rechtswirkungen der Abschiebungsandrohung bewirkt.
5. Das Bundesamt kann nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO die Vollziehung einer Abschiebungsandrohung aussetzen, um dem gesetzlichen Regelgebot des § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG, ablehnende Asylentscheidung und Abschiebungsandrohung zu verbinden, Folge zu leisten und zugleich den unionsrechtlichen Anforderungen an eine solche Verknüpfung zu entsprechen.
6. Eine Verletzung der Pflicht, [die betroffene Person] über die [ihr] nach dem Unionsrecht bis zur Entscheidung ber die Klage zustehenden Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte zu unterrichten, führt nicht zur Rechtswidrigkeit einer Abschiebungsandrohung (wie BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 1.19 - [asyl.net: M28423])."
(Amtliche Leitsätze)
Siehe auch:
[...]
20 2. Die Abschiebungsandrohung und ihre Verbindung mit der ablehnenden Asylentscheidung entspricht den Vorgaben des nationalen Gesetzesrechts. [...]
22 Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG, der insoweit an den durch Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG belassenen Spielraum zur Ausgestaltung durch innerstaatliche Rechtsvorschriften anknüpft, soll die Abschiebungsandrohung mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Gründe, die unabhängig von den unionsrechtlichen Vorgaben für diese Verknüpfung (dazu 3.1) im Fall des Klägers ein Absehen von einer Abschiebungsandrohung ermöglicht oder geboten hätten, sind tatrichterlich nicht festgestellt worden und auch sonst nicht erkennbar. [...]
23 3. Die Abschiebungsandrohung stand bei Erlass - vorbehaltlich einer unionsrechtskonformen Auslegung (dazu 4.) - mit den Vorgaben, die sich aus dem Unionsrecht für eine Verbindung von ablehnender Asylentscheidung mit der Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung ergeben (dazu 3.1), jedenfalls nicht vollständig im Einklang (dazu 3.2). [...]
27 Diese Grundsätze sind mit der Maßgabe auf Fälle der "qualifizierten" Antragsablehnung als "offensichtlich" unbegründet zu übertragen, dass die Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung nur bis zu der Entscheidung über ein vorläufiges Bleiberecht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, also nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens auszusetzen sind (dazu auch EuGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU -). Art. 46 Abs. 6 RL 2013/32/EU verdrängt als speziellere Regelung das umfassende verfahrensabhängige Bleiberecht des Art. 46 Abs. 5 RL 2013/32/EU und ermächtigt in Fällen einer Antragsablehnung als "offensichtlich unbegründet", die im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 RL 2013/32/EU steht, das Gericht, auf Antrag oder von Amts wegen über einen weiteren Verbleib im Aufnahmemitgliedstaat zu entscheiden, wenn das Recht auf weiteren Verbleib bis zu der Entscheidung über den Rechtsbehelf nicht vorgesehen ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union nimmt in seinem Beschluss vom 5. Juli 2018 - C-269/18 PPU - Rn. 52 erkennbar Bezug auf sein wenige Wochen zuvor ergangenes Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - und baut auf diesem auf. Wenn nicht nochmals alle Rechte und Garantien ausdrücklich benannt werden, die sich aus der (Möglichkeit der) Inanspruchnahme wirksamen Rechtsschutzes gegen eine ablehnende Asylentscheidung ergeben, sondern das Inhaftierungsverbot der RL 2008/115/EG betont wird, ist dies der eingeschränkten Fragestellung des vorlegenden Gerichts geschuldet. Der Wortlaut des Art. 46 Abs. 8 RL 2013/32/EU spricht ebenfalls dagegen, das Bleiberecht nach Art. 46 Abs. 6 RL 2013/32/EU in Bezug auf hieraus folgende Rechte und Garantien anders einzuordnen als das ebenfalls verfahrensabhängige Bleiberecht nach Art. 46 Abs. 5 RL 2013/32/EU. [...]
30 Nach nationalem Recht entfällt mit der Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides das asylverfahrensabhängige Bleiberecht (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Die Abschiebungsandrohung wird damit zwar nicht vollstreckbar, wohl aber sofort vollziehbar. Gleichwohl konnte eine Vollstreckung nicht erfolgen. Nach § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Ausländer erst abzuschieben, wenn eine gesetzte Ausreisefrist abgelaufen ist. Wegen des zeitlichen Gleichlaufs von Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG), Frist für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) und Ausreisefrist (§ 36 Abs. 1 AsylG) von jeweils einer Woche scheidet - zumindest in Fällen ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung - eine Abschiebung vor dem Eintritt der Bestandskraft des Bescheides oder in Fällen der Klageerhebung und eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO aus. Bei und mit rechtzeitiger Stellung eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO ist eine Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig (§ 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG). Entspricht das Gericht dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens (§ 37 Abs. 2 AsylG).
31 3.2.2 Nach dem Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsordnung ist es den Betroffenen auch möglich, "sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände zu berufen, die in Anbetracht der Richtlinie 2008/115 und insbesondere ihres Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung ihrer Situation haben kann" (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 64). [...]
36 3.2.3 Die in dem angefochtenen Bescheid gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise ist jedenfalls deswegen objektiv rechtswidrig, weil sie mit der Bekanntgabe der ablehnenden Asylentscheidung zu laufen begonnen hat.
37 Die vom EuGH herausgearbeiteten Verfahrensgarantien fordern, dass die in Art. 7 RL 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen darf, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 62). Nach dem Grundsatz der Waffengleichheit sind dabei während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn u.a. alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 61). Das Fristlaufverbot und das Bleiberecht erfassen mithin auch den Zeitraum, in dem ein Rechtsmittel noch nicht eingelegt ist, und stehen für diesen dem Lauf der behördlich zu setzenden Ausreisefrist entgegen; Rechtsmittelfrist und Ausreisefrist dürfen nicht gleichzeitig laufen. Damit nicht vereinbar ist, dass der angefochtene Bescheid für den Fristlauf ausdrücklich auf die Bekanntgabe abstellt, und zwar erkennbar im Einklang mit der Systematik des § 36 AsylG. Zwar regelt § 36 Abs. 1 AsylG den Beginn der zu setzenden Wochenfrist nicht ausdrücklich. § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylG setzt aber eindeutig voraus, dass die Ausreisefrist (§ 36 Abs. 1 AsylG) vor der Rechtsbehelfsfrist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) nicht nur anläuft, sondern auch während des gerichtlichen Verfahrens ablaufen kann.
38 3.2.4 Bei dieser Sachlage ist nicht zu entscheiden, ob das Vollstreckungsverbot aus § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG, das einer Verlassenspflicht entgegensteht, den unionsrechtlichen Anforderungen an ein Bleiberecht genügt. Für die volle Wirksamkeit des Rechtsbehelfs genügt es zwar nicht, dass der betreffende Mitgliedstaat (faktisch) davon absieht, die Rückkehrentscheidung zwangsweise umzusetzen (EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - Rn. 62). Der Schutz, den § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG für die Dauer des Verfahrens über ein vorläufiges Bleiberecht vor einer Abschiebung gewährt, geht jedoch über ein bloß faktisches Absehen von einer zwangsweisen Umsetzung der Rückkehrentscheidung hinaus; denn er vermittelt einen kraft Gesetzes entstehenden, normativ verbindlichen Vollstreckungsschutz.
39 Gleichwohl bleiben Zweifel, dass dies auch für die unionsrechtlich geforderte - hier auf die Dauer des Verfahrens über ein vorläufiges Bleiberecht begrenzte - Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung ausreicht. Der Wortlaut des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG, nach dem bei rechtzeitiger Antragstellung lediglich die Abschiebung nicht zulässig ist, weist klar auf eine bloße Vollstreckungs- bzw. Vollzugshemmung, also einen Sonderfall einer gesetzesunmittelbaren Duldung, welche die Vollziehbarkeit des Bescheides und damit auch der Abschiebungsandrohung unberührt lässt (s. etwa Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 36 AsylG Rn. 15, Stand März 2019; Wittkopp, ZAR 2018, 325 <328>; s. bereits - zu §§ 10, 11 AsylVfG <a.F.> - BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1986 - 1 C 16.85 - Buchholz 402.25 § 11 AsylVfG Nr. 2 S. 5 ff.). Die ausdrückliche Regelung in § 36 Abs. 3 Satz 11 AsylG, die sich nach dem Wortlaut ("hiervon"), der systematischen Stellung und der Entstehungsgeschichte (BR-Drs. 446/15 S. 43 f. <zu Nr. 11>) nur auf die von dem neu eingefügten Satz 10 erfassten Fälle bezieht, bestätigt aber die aus dem Wortlaut des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG folgende Auslegung. Sie wird systematisch zudem durch § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylG bekräftigt; der dort vorausgesetzte Ablauf der Ausreisefrist ist mit der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen erweiternden Auslegung des Vollstreckungsverbots des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG als Vollziehungsaussetzung nicht vereinbar. Sie widerspricht zudem dem klar erkennbaren Beschleunigungswillen des nationalen Gesetzgebers, nach dem durch Satz 8 lediglich sichergestellt werden sollte, "daß ein Ausländer nicht vor der gerichtlichen Entscheidung abgeschoben wird" (BT-Drs. 12/4450 S. 24) bzw. "das Bleiberecht des Ausländers bis zum Abschluß des gerichtlichen Eilverfahrens weiterhin gesichert" ist (BT-Drs. 12/2062 S. 33 <zu § 36 Abs. 2 Satz 5 AsylVfG 1992>). Nur bei einer Auslegung als Vollzugshemmung wird auch nachvollziehbar, dass nach nationalem Recht mit der ablehnenden Entscheidung des Gerichts über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO keine erneute Fristsetzung vorgegeben und nach der vorherrschenden Ansicht auch nicht erforderlich ist (Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 36 AsylG Rn. 15, 48, Stand März 2019). Die bloße Aussetzung der Abschiebung wird auch nicht von § 59 Abs. 1 Satz 6 und 7 AufenthG erfasst, der auf den Wegfall der "Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung" abstellt; nach diesem Wortlaut reicht die bloße Vollstreckungshemmung gerade nicht aus.
40 3.2.5 Eine bloße Aussetzung der Vollstreckung der Abschiebung für die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens bei fortbestehender Vollziehbarkeit von Ausreisepflicht und Abschiebungsandrohung stellt auch die unionsrechtlich gebotene Fortgeltung der Rechte als Asylbewerber nach der RL 2003/9/EG bzw. der RL 2013/33/EU in Frage. Ausländer, deren Asylantrag abgelehnt worden ist und die nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltsgestattung sind, sind zwar nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt, wenn sie sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten; nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG gilt dies bei vollziehbarer Ausreisepflicht auch dann, wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG unterliegen indes bei Hinzutreten weiterer Voraussetzungen nach den in § 1a AsylbLG getroffenen Regelungen teils weitreichenden Leistungseinschränkungen. Die Regelungen des § 1a AsylbLG, deren Unions- und Verfassungskonformität im Übrigen unterstellt werden kann, sehen jedenfalls keine ausdrückliche Rückausnahme von jeweils vorgeschriebenen Leistungsabsenkungen für Leistungsberechtigte vor, über deren Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO noch nicht nach Maßgabe von § 36 Abs. 3 AsylG entschieden ist. Auch sonst ist nicht gewährleistet, dass für die Dauer des Verfahrens über diesen Antrag alle leistungsrechtlichen Wirkungen der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet ausgeschlossen sind. Dann aber ist nicht zu vertiefen, ob bzw. in welchem Umfang die Regelungen der RL 2003/9/EG bzw. der RL 2013/33/EU für diesen Zeitraum Absenkungen bei der Leistungsgewährung zulassen oder die abgesenkten Leistungen in vollem Umfang die für die Dauer des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens unionsrechtlich gewährleisteten Rechte wahren.
41 3.2.6 Bei einer vollziehbaren Abschiebungsandrohung, deren Vollstreckung durch Abschiebung lediglich gehemmt ist, ist es auch fraglich, ob eine Anordnung von Abschiebungshaft mit der gebotenen unionsrechtlichen Gewissheit ausgeschlossen ist. § 62 AufenthG erfordert zwar auch in der Fassung, welche die Regelung im Laufe des Revisionsverfahrens erhalten hat (Art. 1 Nr. 21 Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15. August 2019, BGBl. I S. 1294), - jedenfalls bei einer verfassungskonformen Auslegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - eine vollziehbare Ausreisepflicht. Diese ist indes nach Ablauf der Ausreisefrist auch dann gegeben, wenn über den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffend die Abschiebungsandrohung noch nicht entschieden ist. [...]
43 Mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) ist indes die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass eine auf die Dauer des Eilverfahrens begrenzte Aussetzung aller Rechtswirkungen der Abschiebungsandrohung durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 36 Abs. 3 AsylG, insbesondere von dessen Satz 8, zu bewirken ist. Diese "Harmonisierung" von nationaler Gesetzeslage und unionsrechtlichen Anforderungen an eine Verknüpfung von Asyl- und Rückkehrentscheidung überschreitet die Grenzen, die einer unionsrechtskonformen Auslegung der heranzuziehenden Regelungen gezogen sind (4.1). Der stets zu beachtende Anwendungsvorrang des Unionsrechts rechtfertigt keine andere Beurteilung (4.2).
44 4.1 Dass eine nationale Rechtslage, die sich für die Dauer des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes auf eine bloße Vollzugshemmung beschränkt, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, rechtfertigt oder gebietet für sich allein keine unionsrechtskonforme Ersetzung der entgegenstehenden Gesetzeslage durch eine unionsrechtskonforme Gesetzeslage im Wege einer gerichtlichen Auslegung. Diese Korrektur ist zuvörderst dem Gesetzgeber vorbehalten.
45Ungeachtet des gesondert zu prüfenden, stets zu beachtenden Anwendungsvorranges des Unionsrechts (dazu 4.2) findet die unionsrechtskonforme Auslegung ihre Grenze in dem Wortlaut des Gesetzes und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers (BVerwG, Urteile vom 25. November 2004 - 2 C 49.03 - BVerwGE 122, 244 <249> und vom 17. Juli 2019 - 5 C 8.18 - NJW 2020, 82 Rn. 25; EuGH, Urteile vom 14. Juli 1994 - C-91/92 [ECLI:EU:C:1994:292] - Rn. 26 f. und vom 16. Juni 2005 - C-105/03 [ECLI:EU:C:2005:386] - Rn. 47; s.a. Kühling, JuS 2014, 481 <485>).
46 Diese Grenzen werden überschritten, wenn die nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG klar auf die Vollstreckbarkeit der Abschiebungsandrohung begrenzte Wirkung "ausgelegt" wird als eine zwar befristete, aber doch umfassende Aussetzung aller Wirkungen der Abschiebungsandrohung. Soweit hierdurch die Vereinbarkeit der erlassenen Abschiebungsandrohung mit den unionsrechtlichen Vorgaben hergestellt wird, entspricht dies zwar dem gesetzlichen Anliegen des § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG, die (ablehnende) Asylentscheidung mit der Rückkehrentscheidung zu verbinden. Zwischen dem Gesetzesbefehl des § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG und der Ausgestaltung des Rechtsschutzes in Fällen einer Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet besteht aber ein allein durch Auslegung des § 36 Abs. 3 AsylG nicht auflösbares Spannungsverhältnis. Will der nationale Gesetzgeber von der unionsrechtlich eröffneten Möglichkeit einer Verknüpfung von ablehnender Asylentscheidung und Rückkehrentscheidung Gebrauch machen, muss er das nationale Recht so ausgestalten, dass die unionsrechtlichen Voraussetzungen hierfür auch erfüllt werden. § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG ordnet jedenfalls nicht an, dass der dort für den Regelfall vorgeschriebenen Verknüpfung entgegenstehendes nationales Recht nicht oder nur teilweise anzuwenden sei. De lege lata ist das Spannungsverhältnis nur so aufzulösen, dass das Bundesamt von einer Verknüpfung abzusehen hat, wenn und solange die unionsrechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht durch den Gesetzgeber selbst oder eine behördliche Entscheidung gewährleistet sind.
47 4.2 Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist zwar grundsätzlich bestimmt und geeignet, die Anwendung unionsrechtswidrigen nationalen Rechts auszuschließen (4.2.1). Er greift hier indes schon deswegen nicht, weil Art. 6 Abs. 6 RL 2008/115/EG eine Verknüpfung von ablehnender Asylentscheidung und Rückkehrentscheidung unionsrechtlich nicht zwingend gebietet. Die Mitgliedstaaten sind lediglich an einer solchen Verknüpfung "entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien" nicht gehindert (4.2.2). Die hohe Bedeutung, die das Unionsrecht der effektiven Durchsetzung einer bestehenden Rückkehrverpflichtung beimisst, führt ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung, weil auch dann, wenn und solange der zuvörderst zu einer Anpassung der rechtlichen Vorgaben an die unionsrechtlichen Vorgaben berufene Gesetzgeber nicht tätig wird, es das Bundesamt durch eine zeitlich begrenzte Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung in der Hand hat, die Voraussetzungen für eine unionsrechtskonforme Verbindung der ablehnenden Asylentscheidung mit einer Rückkehrentscheidung zu gewährleisten (4.2.3). [...]
59 5. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist indes im Ergebnis zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn die im Zeitpunkt ihres Erlasses objektiv rechtswidrige Abschiebungsandrohung entspricht in dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch den an eine Verbindung zu stellenden unionsrechtlichen Anforderungen, weil die Beklagte nach § 80 Abs. 4 VwGO mit Bescheid vom 5. April 2019 die Vollziehung der Abschiebungsandrohung in dem Bescheid vom 20. Juli 2018 ausgesetzt hat, und zwar nicht nur für die Dauer des (bereits erfolglos) beendeten Eilverfahrens, sondern bis zum unanfechtbaren Abschluss des gegen diesen Bescheid anhängigen Klageverfahrens.
60 Das Bundesamt war zu einer solchen Aussetzung grundsätzlich befugt (s. vorstehend II 4.2.3). Die behördliche Aussetzung ist auch noch nach Ablauf der ursprünglich gesetzten Ausreisefrist möglich; der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. September 2018, durch den der Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt worden ist, entfaltet keine Sperrwirkung. Die Entscheidung des Bundesamtes zur Aussetzung lässt keine Ermessensfehler erkennen; dass die Aussetzung bis zum unanfechtbaren Abschluss des anhängigen Klageverfahrens erfolgt ist, macht diese nicht unwirksam und verletzt den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten.
61 Durch diese Aussetzung ist die zunächst festgesetzte Ausreisefrist kraft Gesetzes (§ 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG) ersetzt worden durch eine Wochenfrist, deren Lauf (erneut) mit dem unanfechtbaren Abschluss des Klageverfahrens beginnt. Diese verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit der Aussetzung der Vollziehbarkeit sind auch sonst die Wirkungen der Abschiebungsandrohung ex tunc ausgesetzt, so dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrages auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet (dazu eingehend Senat, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 1.19 -).
62 6. Die Abschiebungsandrohung ist auch nicht mit Blick darauf aufzuheben, dass der Kläger nicht durch das Bundesamt über die zu seinen Gunsten geltenden Verfahrensgarantien unterrichtet worden ist.
63 Unionsrechtlich muss bei einer Verbindung der Rückkehrentscheidung mit der ablehnenden Asylentscheidung der Schutzsuchende zwar über seine fortbestehenden Rechte informiert werden (unionsrechtliche Informationspflicht) (6.1). Die hier jedenfalls nicht vollständige Erfüllung dieser Informationspflicht führt indes nicht zur (teilweisen) Rechtswidrigkeit der Rückkehrentscheidung (6.2). [...]