OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 30.03.2020 - 2 LB 452/18 - asyl.net: M28434
https://www.asyl.net/rsdb/M28434
Leitsatz:

Persönliche Anhörung Minderjähriger im Asylverfahren:

"1. Die Vorschriften des AsylG regeln nicht, wann Minderjährige von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anzuhören sind.

2. § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG regelt lediglich, dass in dem dort genannten Fall eine Anhörung der Eltern des minderjährigen Kindes entbehrlich ist.

3. Da es auch in der Richtlinie 2013/32/EU an einer Vorgabe fehlt, hat die Beklagte ihre Entscheidung, ob sie eine Anhörung des Minderjährigen durchführt, an der ihr obliegenden Aufklärungspflicht (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auszurichten."

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylverfahren, Asylverfahrensrecht, Anhörung, minderjährig, Syrien, Upgrade-Klage, Wehrdienstentziehung, Sippenhaft, persönliche Anhörung
Normen: AsylG § 24 Abs. 1 S. 6, AsylG § 25, AsylG § 12,
Auszüge:

[...]

22 Die Vorschriften des AsylG regeln nicht, wann Minderjährige - die Klägerin war im Jahr 2016 noch nicht volljährig - anzuhören sind. § 12 AsylG trifft lediglich eine Regelung zur Handlungsfähigkeit, nicht aber zur Anhörung. Die §§ 24, 25 AsylG enthalten dazu ebenfalls keine Aussage. § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG sieht zwar vor, dass das Bundesamt den Ausländer persönlich anzuhören hat. Die Vorschrift geht jedoch – wie § 25 AsylG zeigt – grundsätzlich von einem handlungsfähigen Ausländer aus; Minderjährige werden im Asylgesetz insgesamt als Teil der Familie behandelt (vgl. § 14a AsylG). § 24 Abs. 1 Satz 6 AsylG regelt lediglich, dass von der Anhörung abzusehen ist, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Hiermit ist aber gemeint, dass eine Anhörung (nicht dieses Kindes, sondern) der Eltern entbehrlich ist, die ansonsten bei minderjährigen Kindern im Regelfall – je nach Alter der Kinder – an deren Stelle anzuhören oder in deren Anhörung einzubinden sind. Unmittelbare Rückschlüsse auf die Frage, wann minderjährige Kinder anzuhören sind, ergeben sich hieraus nicht.

23 Auch aus europäischem Recht lässt sich nicht ableiten, dass die Klägerin vom Bundesamt vor einer Entscheidung hätte angehört werden müssen. Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 3 und 4 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes sieht vor: "Hat eine Person internationalen Schutz für von ihr abhängige Personen förmlich beantragt, so muss jedem abhängigen Volljährigen Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben werden. Die Mitgliedstaaten können in den nationalen Rechtsvorschriften festlegen, in welchen Fällen einem Minderjährigen Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung gegeben wird."

24 Fehlt es danach an einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorgabe zu dieser Frage, hat die Beklagte ihre Entscheidungen an der ihr obliegenden Aufklärungspflicht (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auszurichten. Dabei liegt es nahe, zwischen Fällen von unbegleiteten und begleiteten Minderjährigen zu differenzieren, da in den letztgenannten Fällen eine persönliche Anhörung des Minderjährigen vielfach unter dem Gesichtspunkt der Sachverhaltsaufklärung nicht angezeigt sein wird, wenn für ihn von seinen Eltern keine besonderen Gründe geltend gemacht werden. So liegt der Fall auch hier, da die Eltern der Klägerin den Asylantrag für sie gestellt und dabei geltend gemacht haben, für ihre Kinder lägen keine gesonderten Asylgründe vor und es sich der Beklagten auch nicht aufdrängen musste, dass das bezogen auf die Klägerin anders zu beurteilen sein könnte. Dementsprechend hat die Klägerin auch im gesamten Verfahren nichts vorgetragen, was über das Vorbringen ihrer Eltern hinausginge.

25 Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid das Absehen von der Anhörung nicht nur mit dem Hinweis darauf begründet hat, dass die Mutter der Klägerin für sie keine eigenen Asylgründe geltend gemacht habe, sondern darüber hinaus auf § 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG verwiesen hat. Diese Begründung ist - abgesehen davon, dass sie rechtlich nicht tragbar sein dürfte, wenn auf einen Antrag auf internationalen Schutz nur subsidiärer Schutz gewährt, der Antrag also gerade teilweise abgelehnt wird - ersichtlich nicht das Motiv für das Absehen von der Anhörung gewesen, sondern, wie die Aktenvermerke in den Verwaltungsvorgängen des Bundesamts zeigen, die Annahme, dass der die Klägerin betreffende Sachverhalt aufgrund der Anhörung ihrer Eltern geklärt war. [...]