VG Magdeburg

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Zitieren als:
VG Magdeburg, Urteil vom 17.03.2020 - 4 A 55/19 MD - asyl.net: M28446
https://www.asyl.net/rsdb/M28446
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für jungen Mann mit Flüchtlingsanerkennung in Griechenland:

Auch für Personen ohne besonderen Schutzbedarf ist hinsichtlich Griechenlands ein Abschiebungsverbot festzustellen, da die Lebensbedingungen eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung auch dieser Personengruppe darstellen. 

(Leitsätze der Redaktion; das Urteil setzt sich mit anderslautender Rechtsprechung und aktuellen Erkenntnissen auseinander)

Schlagwörter: Griechenland, internationaler Schutz in EU-Staat, Drittstaatenregelung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

Nach diesen Maßstäben ist bei Gesamtwürdigung der zu Griechenland vorliegenden Berichte und Stellungnahmen anzunehmen, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Griechenland eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK droht: Für ihn besteht die Gefahr, über einen längeren Zeitraum obdachlos zu werden, damit auch keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen zu haben, nicht hinreichend mit Nahrungsmitteln und vor allem auch den von ihr benötigten Medikamenten versorgt zu werden. Insbesondere ist die besondere Schutzbedürftigkeit auch von anerkannt Schutzberechtigten zu berücksichtigen, die anders als bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht auf Sprachkenntnisse und ein soziales Netz in Gestalt der (Groß-)Familie zurückgreifen können.

International anerkannte Schutzberechtigte werden vom griechischen Staat nicht mit einer Unterkunft unterstützt (PRO ASYL/RSA, Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 23.06.2017). Sie sind insoweit der einheimischen Bevölkerung gleichgestellt, der auch keine Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt werden. Die Situation für rückkehrende Schutzberechtigte ist aber schwieriger, da sie nicht über Kontakte und Beziehungen verfügen, mit denen das private Anmieten von Wohnungen ermöglicht wird. Nach der Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 26.09.2018 an das VG Schwerin) ist das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, hilfsweise Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich Vorurteile erschwert. Vor diesem Hintergrund ist der Kläger im Falle einer Überstellung nach Griechenland der erheblichen Gefahr von Obdachlosigkeit ausgesetzt.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass die vor Ort bestehenden Möglichkeiten der Erlangung eines Obdachs - selbst bei hoher Eigeninitiative - tatsächlich nicht ausreichen, um flächendeckend und für den Großteil der zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten ein solches zu gewährleisten. Dies ergibt sich schon daraus, dass zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte nach der derzeitigen Erkenntnislage zum Großteil auf der Straße oder in besetzten oder verlassenen Gebäuden leben.

Zwar werden Asylbewerbern Wohnungen zur Verfügung gestellt. International Schutzberechtigten wurde es auch gestattet, nach ihrer Anerkennung in einer Übergangsphase von sechs bis zwölf Monaten in der Unterkunft zu bleiben (Auswärtiges Amt an das VG Schwerin am 26.09.2018; PRO ASYL/RSA, Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Update vom 30.08.2018); eine gesetzliche Regelung hierzu gibt es jedoch nicht (PRO ASYL/RSA vom 30.08.2018, a.a.O.) Tatsächlich soll es noch nicht zu erzwungenen Evakuierungen gekommen sein (Auswärtiges Amt an das VG Schwerin am 26.09.2018 und an das VG Stade vom 06.12.2018). Aus der Praxis, Schutzberechtigte nicht aus Asylbewerberunterkünften zu vertreiben, lässt sich jedoch nicht darauf schließen, dass schutzberechtigten Rückkehrern die Möglichkeit gewährt wird, in Unterkünften für Asylbewerber zu leben (so aber VG Berlin, Beschluss vom 06.12.2018 - 9 L 703.18 A -, juris). Im Übrigen ist zum 01.01.2020 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, wonach alle anerkannt Schutzberechtigten unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Anerkennung die Unterkünfte für Asylbewerber verlassen sollen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 04.12.2019). Das Auswärtige Amt geht in seiner Stellungnahme vom 06.12.2018 an das VG Stade des Weiteren davon aus, dass Personen, die den zugeteilten Wohnraum verlassen und einen Zweitantrag in einem anderen EU-Staat stellen, auf die Wohnraumüberlassung verzichten. Auch aus den Erkenntnissen von PRO ASYL/RSA (Update 30.08.2018) ergibt sich, dass Rückkehrer nicht in Asylbewerberunterkünften unterkommen können. Dort wird ausgeführt, dass kein Fall einer nach Griechenland abgeschobenen Person bekannt sei, die nach der Rückkehr von den zuständigen Behörden eine Wohnung des UNHCR-Unterbringungsprogramms erhalten hat oder offiziell an ein Flüchtlingslager in der Region Attika (oder anderswo auf dem Festland) verwiesen wurde. Darüber hinaus habe kein rücküberstellter anerkannter Flüchtling Informationen über Unterbringungsmöglichkeiten oder eine Unterstützung in Form von Bargeld erhalten; in von PRO ASYL/RSA begleiteten Fällen von Rückkehrenden aus anderen europäischen Ländern nach Griechenland wurde dokumentiert, wie die Betroffenen obdachlos und unter prekären Bedingungen in besetzten Gebäuden in Athen oder in verlassenen Gebäude ohne Zugang zu Strom und Wasser leben. Auch Obdachlosenunterkünfte stehen praktisch nicht zur Verfügung. Aus den Recherchen von PRO ASYL/RSA (Update 30.08.2018) über die einzelnen Unterkünfte ergibt sich, dass alle Unterkünfte begrenzte Kapazitäten hatten und zum Zeitpunkt der Recherche entweder voll belegt waren oder Wartelisten führten. Viele Unterkünfte haben keine Personen aufgenommen, die weder Griechisch noch Englisch sprechen. Einige verlangten aktuelle Steuerbescheinigungen. PRO ASYL/RSA (a.a.O.) berichtet, dass es im Zeitpunkt der Recherche für Schutzberechtigte unmöglich gewesen wäre, auch nur zeitweise untergebracht zu werden.

Auch das UNHCR-Unterbringungsprogramm ESTIA wird dem Kläger sehr wahrscheinlich keine Unterkunftsmöglichkeit eröffnen. Das Auswärtige Amt berichtet in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Stade vom 06.12.2018, dass in diesem Programm derzeit 16.700 Asylbewerber und 4.800 anerkannt Schutzberechtigte untergebracht sind. Die Auslastungsquote liege bei 98 Prozent der bereitgestellten Kapazitäten. Sie werde sich voraussichtlich zum Winter weiter erhöhen. Laut PRO ASYL/RSA vom 30.08.2018 sind nach Griechenland abgeschobene Personen von dem Unterbringungsprogramm nicht erfasst. Die hohe Zahl von Schutzberechtigten, die im Rahmen des Programms untergebracht sind, wird darauf zurückzuführen sein, dass Personen, denen in Griechenland im Rahmen des Asylverfahrens eine Wohnung durch das ESTIA-Programm zugewiesen wurde, diese Wohnung auch nach erfolgreichem Abschluss des Verfahrens weiter nutzen können (Auswärtiges Amt an das VG Stade vom 06.12.2018). Die vom Auswärtigen Amt in der Auskunft vom 06.12.2018 an das VG Stade beabsichtigte Bereitstellung von 5.000 Wohnungsplätzen für anerkannt Schutzberechtigte ist anscheinend mit dem Start des "HELIOS 2-Programms" (Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection) durch die Europäische Kommission zum 01.06.2019 mit Unterstützung des griechischen Staates, welches für die Dauer von Juni 2019 - November 2020 ausgelegt ist, umgesetzt worden. Das Projekt zielt auf die Unterstützung der Integration von Schutzstatusinhabern, die derzeitig in Übergangsunterkünften leben, in die griechische Gesellschaft ab. Es beinhaltet Integrationskurse, Unterbringungsunterstützung, Unterstützung der Beschäftigungsfähigkeit, Integrationsüberwachung und Sensibilisierung der Gastgesellschaft. Die Zielgruppe des HELIOS-Projektes sind die nach dem 01.01.2018 anerkannten Schutzberechtigten. Das Projekt bietet dabei insbesondere finanzielle Hilfen zur Anmietung eigenen Wohnraums. Die Teilnehmer erhalten Informationen und Unterstützung bei der Wohnungssuche und eine allgemeine finanzielle Starthilfe (einmalige Auszahlung von 440 € für Alleinstehende und bis zu 1.490 € für Familien mit sechs oder mehr Personen). Das Programm beinhaltet einen monatlichen Zuschuss zu den Mietkosten von 162 € für Alleinstehende und bis zu 630 € für Familien mit sechs oder mehr Personen. Voraussetzung ist insbesondere die offizielle Registrierung und Unterbringung in einem offenen Unterbringungszentrum, Aufnahme- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel des IOM-FILOXENIA-Projekts oder des ESTIA-Programms. Erforderlich ist insbesondere die Vorlage eines über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten laufenden Mietvertrages und eines Dokuments über ein Konto bei einer griechischen Bank, ferner eines Kontoauszuges mit der IBAN des Vermieters. Das derzeitig vorgesehene Ende des Projektes ist der November 2020 ("Project regulations handbook" von HELIOS, Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection). Das HELIOS 2-Programm stellt damit Voraussetzungen auf, die zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte größtenteils nicht erfüllen können. Voraussetzung sind insbesondere die offizielle Registrierung und Unterbringung in einem offenen Unterbringungszentrum, Aufnahme- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel des IOM-FILOXENIA-Projekts oder des ESTIA-Programms. Zudem muss ein über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten laufender Mietvertrag vorgelegt werden. Diese Voraussetzungen dürften nur anerkannte Schutzberechtigte erfüllen, die in Griechenland geblieben sind, nicht aber die Zurückkehrenden. Damit ist auch die Annahme des Verwaltungsgerichts Osnabrück (Urteil vom 02.09.2019 - 5 A 326/18) "zahlreiche Nichtregierungsorganisationen unterstützten bei der Wohnungsfindung", gestützt auf Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 06.12.2018 sowie 26.09.2018, überholt. Es besteht für anerkannt Schutzberechtigte nämlich lediglich die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung zur Deckung von Mietkosten im Rahmen des oben bereits dargestellten HELIOS 2-Programms. Ob das HELIOS 2-Progamm im Übrigen genügend Auffangplätze bietet, um all jene anerkannten Schutzberechtigte zu unterstützen, welche aufgrund des neuen Asylgesetzes vom 01.11.2019 ab dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus ihre Unterkünfte verlassen müssen, ist derzeit nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes (an das Verwaltungsgericht Berlin) vom 04.12.2019 unklar.

Die Gefahr von Obdachlosigkeit besteht unabhängig davon, ob inzwischen staatliche Leistungen für Wohnkosten zur Verfügung gestellt werden. Nach der bisherigen Auskunftslage gab es solche Leistungen nicht (PRO ASYL/RSA vom 23.06.2017, Auswärtiges Amt an das VG Schwerin vom 26.09.2018). Das Auswärtige Amt (an das VG Schwerin vom 26.09.2018 und an das VG Stade vom 06.12.2018) berichtet allerdings, dass im Jahr 2017 eine staatliche Wohnungsbeihilfe von 70 € pro Person bis 210 € pro Haushalt beschlossen worden sei und zum 01.01.2019 eingeführt werden sollte. Ob es hierzu gekommen ist, ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht, bedarf aber auch keiner weiteren Aufklärung, weil der Kläger von den Leistungen nicht profitieren würde (vgl. auch AA, Auskunft an das VG Berlin vom 04.12.2019). Laut Auswärtigem Amt (Auskunft an das VG Stade vom 06.12.2018) soll Voraussetzung für den Bezugsanspruch ein fünfjähriger dauerhafter Aufenthalt in Griechenland sein, den der Kläger nicht vorweisen kann. Abgesehen davon wird der Kläger unabhängig von den ihm gewährten Sozialleistungen aufgrund der prekären Unterbringungssituation sehr wahrscheinlich nicht in der Lage sein, eine Unterkunft zu finden. Wie bereits ausgeführt, ist das private Anmieten von Wohnraum für bzw. durch anerkannte Schutzberechtigte durch das bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten und Vorurteile erschwert und wird gerade für den Kläger, der über kein Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit verfügt, besonders schwierig sein.

Es gibt in Griechenland daneben der gesamten Bevölkerung offenstehende Obdachlosenunterkünfte. Sämtliche Obdachlosenunterkünfte sind meist voll belegt oder führen Wartelisten. Die Kapazitäten der zur Verfügung stehenden Obdachlosenunterkünfte sind daher nicht ansatzweise ausreichend und die meisten Obdachlosenunterkünfte nehmen nur Personen auf, die die griechische Sprache beherrschen, so dass in der Realität hier kein Obdach zu erlangen ist (PRO ASYL/RSA, Update vom 30.08.2018, S. 6 f.).

Die letzte Möglichkeit wäre es, in verlassenen oder besetzten Gebäuden unterzukommen. Die zurückkehrenden anerkannten Schutzberechtigten hierauf zu verweisen, ist jedoch unzumutbar. Soweit das Verwaltungsgericht Osnabrück in seinem Urteil vom 02.09.2019 (Az. 5 A 326/19) oder die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Magdeburg (Urteil vom 10.12.2019 - 7 A 4/19 MD) dies ausreichen lässt, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Denn diese Art des Unterkommens ist illegal, es bestünde die jederzeitige Gefahr der Räumung oder sogar der Strafbarkeit. Es bestünde auch kein Schutz vor dem unerwarteten Eintreten Dritter, es könnten jederzeit andere Personen die "Unterkunft" betreten. Hierdurch würden die anerkannten Schutzberechtigten noch schutzloser und angreifbarer, als sie es sowieso sind. Es bestünde bei einer solchen "Unterkunft" auch kein Zugang zu Wasser oder sanitären Einrichtungen. Aufgrund des Fehlens von Wasser, der Illegalität und des fehlenden Schutzes vor Dritten ist hierbei immer noch von Obdachlosigkeit im weiteren Sinne auszugehen., Es besteht hierbei kaum ein qualitativer Unterschied, als zu einem Leben "unter der Brücke". Allein der Umstand, dass die anerkannten Schutzberechtigten hier ein Dach über dem Kopf hätten, ist nicht ausreichend. Dies wäre auch der Fall beim Übernachten unter einer Brücke oder einer Parkbank.

Soweit das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 06.12.2018 ausführt, dass Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen sei, was auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzungen innerhalb der jeweiligen Landsmannschaften zurückzuführen sei, über welche auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden könne, dürfte dies nach der Überzeugung des Gerichts lediglich darauf zurückzuführen sein, dass die Flüchtlinge illegal in verlassenen Gebäuden leben, so dass sie nicht direkt auf der Straße sichtbar sind. Hinzu kommt, dass es nach der Ankunft in Griechenland einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte, ein solches informelles Netzwerk zu finden und Kontakt hierzu aufzunehmen.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten weiter genannten Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes (vom 20.09.2019 - 3 K 1222/18). Dies nennt insbesondere keine anderslautenden Erkenntnisquellen.

Außerdem ist davon auszugehen, dass der Kläger keine ausreichende Möglichkeit haben wird, sein Existenzminimum zu sichern. Anerkannt Schutzberechtigte, die die Dauerhaftigkeit ihres legalen Aufenthalts im Inland nachweisen können, haben theoretisch gleichberechtigten Zugang zu Leistungen der im Februar 2017 neu eingeführten staatlichen Grundsicherung (sog. Soziales Solidaritätseinkommen). Dieses Leistungssystem befindet sich noch im Aufbau und soll drei Säulen umfassen: Eine Soziaigeldleistung (monatlich 200 € für einen Erwachsenen, 100 € für ein weiteres erwachsenes Haushaltsmitglied und 50 € pro Kind im Haushalt, kommunale Leistungen (z.B. Drogen-, Sucht-, Schuldnerberatung, Sachleistungen für Wohnungsausstattung und Drogeriebedarf) und die Vermittlung von Arbeit. Die zweite Säule befindet sich im Aufbau, die dritte Säule ist noch nicht umgesetzt (Auswärtiges Amt an das VG Schwerin vom 26.09.2018; PRO ASYL/RSA vom 23.06.2017). In der Praxis haben bisher nur sehr wenige anerkannte Schutzberechtigte Zugang zur Sozialhilfe. Das Auswärtige Amt begründet dies damit, dass für von staatlicher Seite untergebrachte Personen andere Leistungen im Rahmen sog. Cash-Card-Programme erbracht werden. PRO ASYL/RSA (Update vom 30.08.2018) berichtet jedoch, dass die Inanspruchnahme von Sozialleistungen für international Schutzberechtigte in der Praxis daran scheitert, dass es für sie extrem schwierig ist, alle Voraussetzungen zu erfüllen, weil u.a. die Abgabe eines aktuellen Steuerbescheides, eines Mietvertrages oder einer Bescheinigung über die Beherbergung oder eine Bescheinigung über Obdachlosigkeit bzw. einer Tagesstätte für Obdachlose sowie eine Bankverbindung gefordert werden (vgl. auch aida, a.a.O., S. 190). Für Schutzberechtigte bestehen besondere Hürden für die korrekte Registrierung bei den Steuerbehörden, weil ihnen die nötigen Nachweise über ihre Registrierung fehlen. Die meisten Finanzämter in Athen und generell die Steuerbüros auf dem Festland verweigern die Registrierung derjenigen, die nicht nachweisen können, wie sie untergebracht sind bzw. dass sie obdachlos sind. Nach der Abschiebung wird es auch praktisch nicht möglich sein, eine Obdachlosenbescheinigung zu erhalten, da das Verfahren noch nicht geregelt ist und die Behördenvertreter mangels Dolmetscher nur Personen unterstützen, die Englisch oder Griechisch sprechen. Solange die Betroffenen nicht über eine Wohnsitzbescheinigung und einen Steuerbescheid verfügen, können sie auch kein Konto eröffnen. Das Auswärtige Amt (Auskunft an das VG Stade vom 06.12.2018) führt hierzu aus, dass die Bearbeitungsdauer bei administrativen Vorgängen oft sehr lang ist und häufig die persönliche Vorsprache und ggf. einen Rechtsbeistand erfordert, um Verfahrensfragen zu klären. Auch wenn das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme an das VG Berlin vom 04.12.2019 nunmehr erklärt, dass der Zugang zu einem Bankkonto und einer Steuernummer mit Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen grundsätzlich möglich sei, geht es gleichzeitig davon aus, dass ohne eine landesweit flächendeckende Betreuung durch Nichtregierungsorganisationen eine erfolgreiche griechischsprachige Antragstellung nicht realistisch erscheint. In der bürokratischen Verfahrensweise, mit der Schutzberechtigten der Zugang zu elementaren Leistungen verwehrt wird, und dem Vorenthalten nötiger Bescheinigungen zeigt sich insgesamt eine behördliche Gleichgültigkeit, die mit Art. 3 EMRK unvereinbar ist.

Soweit das VG Berlin in seinem Urteil vom 06.12.2018 (9 L 703.18 A, juris) annimmt, die Zugangshürden seien entfallen, insbesondere seien Schutzberechtigte nicht mehr verpflichtet, einen Wohnungsnachweis vorzulegen, ergibt sich dies aus der hierfür genannten Quelle (Auswärtiges Amt vom 26.09.2018 an das VG Schwerin; bei der Angabe "VG Greifswald" in der Entscheidung dürfte es sich um einen Fehler handeln) nicht (vgl. auch OVG Bremen, Beschluss vom 02.08.2019 - 1 LA 174/19, juris, Rn.19). Der Wegfall des Wohnungsnachweises betrifft nach der Auskunft des Auswärtigen Amts den Zugang zum EU-finanzierten Unterkunftsprogramm ESTIA. Dieses Programm ermöglicht seit 2018 die Registrierung bei der Arbeitsagentur auch ohne Wohnungsnachweis (Auswärtiges Amt vom 26.09.2018 an das VG Schwerin; vgl. auch PRO ASYL/RSA vom 30.08.2018). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese Zugangserleichterung auch die Sozialhilfe betrifft. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amts vom 06.12.2018 an das VG Stade ist ein Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird, sehr wohl für den Bezug staatlicher Leistungen erforderlich. Außerdem sind nach dieser Auskunft für die Registrierung zum Bezug von Sozialleistungen die Steuernummer und die Sozialversicherungsnummer erforderlich, die wiederum jeweils den Nachweis des Wohnsitzes voraussetzen. Im Übrigen haben Rückkehrer schon deshalb erhebliche Schwierigkeiten, Sozialleistungen zu erhalten, weil Voraussetzung hierfür - wie gesagt - ein dauerhafter und legaler Aufenthalt im Inland ist, der grundsätzlich mit einer inländischen Steuererklärung des Vorjahres dokumentiert wird. Diese Voraussetzungen können Rückkehrer in der Regel nicht erfüllen (so auch VG Berlin, Beschluss vom 06.12.2018, a.a.O.).

Auch von den Leistungen aus den Cash-Card-Programmen, deren Auszahlungsbetrag etwas unterhalb des Niveaus der sozialen Grundsicherung liegt (vgl. AA vom 26.09.2018 an das VG Schwerin, sowie AA vom 04.12.2019 an das VG Berlin) wird der Kläger nicht profitieren können. Aus den Auskünften ergibt sich, dass die Cash-Card-Programme schutzbedürftigen Personen zukommen, die in Asylbewerberunterkünften leben. Anerkannt Schutzberechtigte sind von den Programmen nicht ausgeschlossen; analog zur Wohnsituation werden ihnen Leistungen innerhalb einer Übergangsfrist bis zum Eintritt der staatlichen Grundsicherung gewährt. Das bedeutet aber auch, dass diejenigen, die als Schutzberechtigte nicht übergangsweise in Asylbewerberunterkünften leben, nicht von den Cash-Card-Programmen erfasst sind. Ausdrücklich heißt es in der Auskunft des Auswärtigen Amts an das VG Stade: "Für bereits anerkannt Schutzberechtigte ist ein Neueintritt in das Cash-Card-Programm nicht möglich" bzw. in der Auskunft an das VG Berlin: "Rückkehrende mit Schutzstatus haben keinen Zugang zu Leistungen für Antragsteller".

Eine andere Bewertung der Unterbringungssituation für anerkannte international Schutzberechtigte ist nicht dadurch veranlasst, dass das griechische Ministerium für Migrationspolitik in einem Schreiben vom 08.01.2018 an die Antragsgegnerin erklärte, Griechenland habe die Anforderungen der Richtlinie 2011/95/EU umgesetzt, und darüber hinaus zusicherte, anerkannte international Schutzberechtigte würden Zugang insbesondere zu Beschäftigung und Bildung, zu notwendigen Sozialhilfeleistungen, zu einer medizinischen Versorgung sowie zu Wohnraum erhalten. Zwar ergeben sich keine Zweifel daran, dass die griechische Regierung ihr Handeln auf eine Verbesserung der Situation von Asylbewerbern und anerkannten international Schutzberechtigten auch in den gemeinsamen Projekten mit der Europäischen Union und dem UNHCR ausrichtet. Ihre Erklärung bezieht sich indes nur auf die allgemeine Einhaltung des Unionsrechts und lässt sich nicht als konkrete Zusicherung für die Zurverfügungstellung von Unterkunftsmöglichkeiten entsprechend bestimmter Kapazitäten verstehen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.06.2019 - 20 ZB 19.31553 -, juris Rn. 21). Entscheidend für die Beurteilung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK sind ohnehin die vor Ort tatsächlich feststellbaren Verhältnisse. Nach den vorstehenden Erkenntnissen ist eine entscheidende Veränderung der konkreten Unterbringungsaussichten (bisher) nicht festzustellen.

Der Kläger wird voraussichtlich auch durch Arbeitstätigkeit kein Einkommen erzielen können, mit dem er sein Existenzminimum sichern könnte. Das Auswärtige Amt (vom 26.09.2018 an das VG Schwerin) berichtet, dass die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes für Schutzberechtige gering sind. Die staatliche Arbeitsagentur hat bereits für Griechen kaum Ressourcen für die aktive Arbeitsvermittlung und noch kein Programm zur Arbeitsintegration von Flüchtlingen aufgelegt. Nach Angaben des UNHCR ist ein EU-finanziertes Beschäftigungsförderungsprogramm für 3.000 Personen geplant. Der Zeitpunkt des Programmstarts ist allerdings noch nicht bekannt. Inzwischen wird - wie bereits ausgeführt - die Registrierung von Personen, die in Lagern leben oder obdachlos sind - als arbeitssuchend grundsätzlich akzeptiert. In der Praxis stößt jedoch die Registrierung auf Schwierigkeiten, weil die Betroffenen oft keinen Steuerbescheid erhalten, keine Obdachlosenbescheinigung bekommen oder es keine zuständige Behörde gibt, die bescheinigen könnte, dass sie in einem Lager untergebracht sind (PRO ASYL/RSA vom 30.08.2018). Es existieren auch keine Maßnahmen, um eine Berufsausbildung oder eine Weiterbildung zu absolvieren. Auch nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 04.12.2019 (an das VG Berlin) erscheint es angesichts der Arbeitsmarktlage in Griechenland und ohne griechische Sprachkenntnisse nur schwer möglich, Arbeit in Griechenland zu finden. Initiativen zur Arbeitsvermittlung bestünden nur durch Nichtregierungsorganisationen, seien jedoch nicht flächendeckend lokal verfügbar und nur zum Teil erfolgreich.

Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Abschiebungsschutz mit der Begründung verneint wird, die aus Griechenland ausreisenden anerkannten Schutzberechtigten hätten sich mit ihrer Ausreise freiwillig und bewusst ihres Unterkunfts- und Sozialleistungsanspruchs begeben (vgl. u.a. VG Osnabrück, a.a.O.), steht dies zur Überzeugung des Gerichts der Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht entgegen. Denn das Gericht hat nach § 77 Abs. 1 AsylG auf die Lage im Zielstaat der Abschiebung im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen. Bestehen nach der Erkenntnislage für das Gericht in diesem Zeitpunkt für rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte Anhaltspunkte dafür, dass sie - wie aufgezeigt - einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt wären, ist nicht darauf abzustellen, ob bzw. dass ihre Lage eine andere wäre, wenn sie in dem Aufnahmestaat geblieben wären. Denn die Regelungen des gemeinsamen europäischen Asylsystems sowie Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GRCh sehen nicht vor, das anti-konzeptionelle Weiterwandern der Schutzberechtigten in einen anderen Mitgliedstaat durch einen solchen (anderen) Entscheidungsmaßstab zu sanktionieren. Hinzu kommt, dass dieses Argument nur auf solche Schutzberechtigte zutreffen kann, die in Griechenland vor ihrer Ausreise einen Unterkunfts- oder Sozialleistungsanspruch hatten, denen also nicht vor ihrer Ausreise mitgeteilt wurde, dass sie ihre Unterkunft demnächst räumen müssen oder die bereits ihre Unterkunft verlassen mussten.

Hinsichtlich der Gesundheitsversorgung ist ebenfalls festzustellen, dass anerkannte Flüchtlinge in der Praxis großen Schwierigkeiten ausgesetzt sind, so dass sich ihre medizinische Versorgung als lückenhaft darstellt (vgl. dazu ausführlich VG Berlin, Beschluss vom 08.10.2018 - 23 L 598.18 A -. juris Rn. 18). Es besteht zwar ein Anspruch auf weitgehend kostenlose Krankenbehandlung in Krankenhäusern. Auch ist der effektive Zugang, insbesondere zur Notfallversorgung, gewährleistet. Es können jedoch Kosten bei Medikamenten im ambulanten Bereich anfallen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.09.2018; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 06.12.2018; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 04.12.2019).

Soweit die Beklagte letztlich ausführt, der Kläger sei hinsichtlich der Teilhabe an Rechten griechischen Staatsangehörigen gleichgestellt, rechtfertigt dies keine andere rechtliche Beurteilung. Zwar mag den anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland nach der nationalen Gesetzeslage ein Anspruch auf Gleichbehandlung zustehen. Dieser erweist sich indes unter Berücksichtigung der dargestellten Erkenntnislage als faktisch nicht bzw. nicht in zumutbarer Zeit durchsetzbar. Dies wird insbesondere an den Zugangsvoraussetzungen zu Sozialleistungen sichtbar hinsichtlich der Forderung eines mehrjährigen legalen Aufenthalts in Griechenland. Nach Griechenland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte können sich auch nicht - so wie die meisten Griechen - auf ein Netzwerk von Familie, Freunden oder Bekannten verlassen, welches ihnen in einer Notlage zur Seite stehen würde. Hinzu kommt die Sprachbarriere, die die Erlangung von Informationen erschwert. [...]