VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Urteil vom 08.06.2020 - 4 K 2002/19.WI - asyl.net: M28566
https://www.asyl.net/rsdb/M28566
Leitsatz:

Zur Unzumutbarkeit der Passbeschaffung eritreischer Staatsangehöriger mit subsidiärem Schutzstatus:

Die Zahlung einer Aufbausteuer, um einen eritreischen Pass zu erhalten, ist nicht per se unzumutbar, wohl aber die Unterzeichnung einer Reueerklärung, da diese einem Schuldeingeständnis gleichkäme.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eritrea, subsidiärer Schutz, Passpflicht, Passbeschaffung, Zumutbarkeit, Reiseausweis für Ausländer, Unzumutbarkeit, Qualifikationsrichtlinie, Nationalpass, Aufbausteuer, ernsthafter Schaden, Reueerklärung,
Normen: AufenthV § 5 Abs. 1, RL 2011/95/EU Art. 25
Auszüge:

[...]

Das Gericht geht ferner auch nicht davon aus, dass sich eine Unzumutbarkeit daraus ergibt, dass das vom Kläger in Eritrea erlittene Unrecht von staatlicher Stelle ausging und deshalb im Kern mit der Verfolgung eines Flüchtlings vergleichbar wäre. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Schaden, den ein subsidiär Schutzberechtigter erlitten hat, im Ergebnis mit dem eines Flüchtlings vergleichbar sein kann, insbesondere wenn der Schaden von staatlichen Stellen zugefügt wurde, und dies unter Umständen eine Unzumutbarkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 AufenthV begründen kann (vgl. VG Köln, Urteil vom 04.12.2019, 5 K 7317/18, juris Rn. 31; VGH München, Beschluss vom 17.10.2018, 19 ZB 15.428, juris Rn. 12 m.w.N.). Allerdings unterscheidet sich die Flüchtlingseigenschaft von der Zuerkennung subsidiären Schutzes gerade dadurch, dass im Rahmen des § 3 AsylG eine Verfolgung aufgrund eines bestimmten Merkmals wie Rasse, Geschlecht oder politischer Überzeugung vorliegen muss. Dies ist im Rahmen des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG gerade nicht der Fall. Hierfür reichen auch willkürliche Maßnahmen aus, die nicht an ein Verfolgungsmerkmal anknüpfen. Insofern ist nicht jede staatliche Behandlung, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führt, im Kern mit der Verfolgung eines Flüchtlings vergleichbar.

Der Kläger wurde nach seinen Angaben im Asylverfahren in Eritrea zufällig bei einer Razzia festgenommen, weil er keinen Ausweis bei sich trug. Infolgedessen wurde er inhaftiert und während der Haft misshandelt. Zuvor war der Kläger nicht politisch aktiv und bis dahin auch nicht in Konflikt mit staatlichen Behörden geraten. Insofern mögen die Misshandlungen, die der Kläger während seiner Inhaftierung erlitten hat, gravierend gewesen sein. Jedoch lag gerade keine gezielte Verfolgung des Klägers durch staatliche Stellen vor, er wurde vielmehr durch Zufall aufgegriffen. Insofern ist im Ergebnis keine Vergleichbarkeit mit dem Verfolgungsschicksal eines Flüchtlings gegeben.

Auch aus einer vom Kläger zu zahlenden sogenannten "Aufbausteuer" in Höhe von 2 des Nettoeinkommens ergibt sich keine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung. Geflüchtete Eritreer erhalten im Ausland in der Regel nur dann problemlos einen Pass ausgestellt, wenn sie bereit sind, die Aufbausteuer an den eritreischen Staat zu zahlen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.01.2020, Asylfact Dok.Nr. 294629, S. 23f.). Dass schon die Erhebung dieser Steuer an sich unzulässig und deren Zahlung für den Kläger daher unzumutbar wäre, ist für das Gericht nicht ersichtlich (vgl. insb. VG Gießen, a.a.O., Rn. 23 f. m.w.N.). Insbesondere kann kein Verstoß gegen deutsches oder Völkerrecht festgestellt werden, da die eritreische Botschaft zugesichert hat, die Steuer in ihren Vertretungen in Deutschland nicht mehr zu erheben (Antwort der Bundesregierung vom 15.04.2015 auf eine kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucksache 18/4609). In der Praxis wird die Steuer vermutlich durch Verwandte vor Ort in Eritrea bezahlt und bei einem Nachweis hierüber der Pass bei der Auslandsvertretung erteilt. Es ist für das Gericht nicht erkennbar, dass die Steuer auf deutschem Boden mit Gewalt oder durch Erpressung oder Ausübung sonstigen Drucks eingetrieben würde. Zwar mag es nach dem Vortrag des Klägers so sein, dass es eine starke eritreische Gemeinschaft in Deutschland gibt, die Kontakte zur eritreischen Regierung pflegt und möglicherweise auch Informationen über Auslandseritreer weitergibt. Dass diese aber auch unlautere Mittel zur Steuereintreibung verwenden würde, ist nicht nachgewiesen. Zu welchem Zweck der eritreische Staat die eingenommenen Steuern verwendet, insbesondere ob er sie zu verbotenen Zwecken einsetzt, ist nicht überprüfbar. Insofern kann nicht von einer allgemeinen Unzumutbarkeit der Zahlung der Aufbausteuer ausgegangen werden. Es kann hier deshalb dahinstehen, ob es sich bei der Aufbausteuer um eine Gebühr im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 4 AufenthV handelt, deren Zahlung grundsätzlich als zumutbar gilt, oder ob diese Steuer darüber hinausgeht.

Eine Unzumutbarkeit könnte sich allenfalls aus der Höhe der zu zahlenden Steuer im Einzelfall ergeben. Dies ist jedoch nicht dargetan. [...]

Allerdings ergibt sich die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung für den Kläger aus der Tatsache, dass bei der Beantragung eines Passes für die Inanspruchnahme der konsularischen Leistungen die Abgabe einer sogenannten "Reueerklärung" verlangt wird. In dieser muss der eritreische Staatsangehörige sich schuldig bekennen, durch das unerlaubte Verlassen des Landes und die Nichtableistung des Nationaldienstes eine Straftat begangen zu haben und dafür die noch festzusetzende Strafe akzeptieren (vgl. EASO National Service, exit and return, Asylfact Dok.Nr. 294381, S. 55 ff., 60). Die Abgabe dieser Erklärung kommt einem Schuldanerkenntnis gleich, unabhängig davon, ob die betroffene Person tatsächlich unerlaubt das Land verlassen hat oder nicht.

Eine solche Erklärung geht über die zumutbare Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 AufenthV hinaus.

Insbesondere sind aber die mit dieser Erklärung verbundenen Konsequenzen für den Kläger unzumutbar. Für den Unterzeichner der Reueerklärung ist nicht absehbar, welche konkreten Strafen ihm für die illegale Ausreise drohen. Bei Unterzeichnung der Erklärung kann er das ihm drohende Strafmaß nicht erkennen und nicht abschätzen, ob dieses hinnehmbar ist. Insbesondere werden diese Strafen willkürlich nach freiem Ermessen der jeweils handelnden Behörde festgelegt (vgl. SFH Eritrea: Reflexverfolgung, Rückkehr und Diaspora-Steuer, Asylfact Dok.Nr. 284045, S. 9 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 10.10.2017, Asylfact Dok.Nr. 276976, S. 2). Hinzu kommt, dass der Unterzeichner je nach Schwere seines Falls zusätzlich mit willkürlicher Verhaftung und militärischem Straflager rechnen muss (SFH, a.a.O., S. 8f.). Zwar ist der Kläger als subsidiär Schutzberechtigter in Deutschland anerkannt, jedoch kann dieser Status auch widerrufen bzw. zurückgenommen werden oder bei einer Auslandsreise eine Abschiebung in das Heimatland drohen. Insofern sind die mit der Reueerklärung verbundenen Konsequenzen für den Kläger nicht bloß theoretischer Natur. Insbesondere im Hinblick darauf, dass der Kläger in Eritrea bereits inhaftiert war und Misshandlungen erlitten hat, ist die Unterzeichnung der Reueerklärung mit den geschilderten Konsequenzen als unzumutbar i.S.v. § 5 Abs. 1 AufenthV zu bewerten. [...]