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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 19.05.2020 - XIII ZB 82/19 - asyl.net: M28614
https://www.asyl.net/rsdb/M28614
Leitsatz:

Rechtswidrige Zurückweisung eines Aufhebungsantrag durch Person des Vertrauens:

"a) Im Freiheitsentziehungsverfahren ist grundsätzlich derjenige Person des Vertrauens, um dessen Beteiligung der Betroffene bittet.

b) Den Antrag auf Haftaufhebung nach § 426 FamFG kann die von dem Betroffenen als Person seines Vertrauens benannte Person unabhängig von einer förmlichen Beteiligung durch das Gericht stellen.

c) Geht der Haftaufhebungsantrag vor Eintritt der Rechtskraft bei Gericht ein, kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der angeordneten Haft nach § 62 FamFG ab Antragseingang beantragt werden"

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Vertrauensperson, Person des Vertrauens, Antragsbefugnis, Beschwerdebefugnis, Feststellungsantrag
Normen: FamFG § 62, FamFG 418 Abs. 3, FamFG 426,
Auszüge:

[...]

(1) Unter welchen Voraussetzungen jemand zur Vertrauensperson des Betroffenen wird, ist umstritten. Teilweise wird unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/6308 S. 291 mit S. 273 [§ 315 Abs. 4] und S. 266 [§ 274 Abs. 4]) die Auffassung vertreten, Vertrauensperson könne nur jemand sein, der in einem Näheverhältnis oder wenigstens in einer nachvollziehbar dargelegten persönlichen Beziehung zu dem Betroffenen stehe und sich auf ein daraus folgendes ideelles Interesse am Ausgang des Verfahrens berufen könne (LG Kleve, NJW-RR 2013, 1339 f.; Haußleiter/Heidebach, FamFG, 2, Aufl., § 418 Rn. 6; MüKoFamG/Wendtland, 3. Aufl., § 418 Rn. 9). Nach der Gegenauffassung reicht es aus, dass der Betroffene ein nicht objektiv, sondern subjektiv zu bestimmendes Interesse an der Beteiligung der betreffenden Person hat (Schulte-Bunert/Weinreich/Dodegge, FamFG, 6. Aufl., § 418 Rn. 8, 14; Stahmann in MLS, 6. Aufl., Kapitel F § 418 Rn. 8). In diesem Sinne wird ein durch ein Beratungsgespräch entstandenes Vertrauensverhältnis (LG Düsseldorf, InfAuslR 2015, 147; Keidel/Göbel, FarnFG, 20. Aufl., § 418 Rn. 5) oder die Vertrauensstellung an sich (Grotkopp in: Bahrenfuss [Hrsg.], FamFG, 3. Aufl., § 418 Rn. 13) für ausreichend gehalten. Der Bundesgerichtshof hat jedenfalls im Haftaufhebungsverfahren nach § 426 Abs. 2 FamFG die Benennung als Person des Vertrauens durch den Betroffenen ausreichen lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 2012 - V ZB 26/12, juris Rn. 2 und vom 29. November 2012 - V ZB 115/12, InfAuslR 2013, 158 Rn. 3). Veranlassung zu einer Änderung dieser Rechtsprechung besteht nicht.

Der heutige § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG findet in den Regelungen des Gesetzes über das Verfahren bei Freiheitsentziehungen (vom 29. Juni 1956, BGBl. I S. 599), die durch die §§ 415 ff. FamFG abgelöst worden sind, kein legislatives Vorbild. In dem früheren § 5 Abs. 3 FreihEntzG war einerseits die Anhörung des Ehegatten des Betroffenen zwingend vorgeschrieben, eine Beteiligung von Personen des Vertrauens aber gar nicht vorgesehen. Dafür bestimmte das Gesetz auf Grund einer Präzisierungsempfehlung der Bundestagsausschüsse (BT-Drucks. 11/2322 S. 11 zu § 7 FreihEntzG-E) in dem früheren § 6 Abs. 2 Buchstabe c FreihEntzG, dass die Entscheidung einer Person bekanntzumachen ist, die das Vertrauen des Unterzubringenden genießt, sofern die Entscheidung nicht bereits nach Buchstabe b der Vorschrift einem Angehörigen bekanntzumachen ist. Diese Beschreibung hat der Gesetzgeber bei Schaffung des § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG und der parallelen Vorschrift für das Unterbringungsrecht in § 330 Satz 1 FamFG mit dem Begriff Person des Vertrauens übernommen. Beide Begriffe gehen auf Art. 104 Abs. 4 GG zurück, wonach von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist. Dieser Begriff wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dem Sinne subjektiv verstanden, dass es darauf ankommt, wem der Festzuhaltende Vertrauen entgegenbringt. Danach ist selbst ein beigeordneter Pflichtverteidiger als Person des Vertrauens des Festzuhaltenden anzusehen, wenn der Betroffene um die Beiordnung dieses Verteidigers gebeten hatte (BVerfGE 16, 119, 124; 38, 32, 34). Im Freiheitsentziehungsverfahren liegt es nicht anders. Auch hier ist grundsätzlich derjenige Person des Vertrauens, um dessen Beteiligung der Betroffene bittet. So hat es der Gesetzgeber auch in der parallelen Vorschrift für das Unterbringungsverfahren in § 315 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FamFG formuliert, ohne damit inhaltliche Unterschiede zu den abweichend formulierten Regelungen des gleichen Sachverhalts in § 274 Abs. 4 Nr. 1 und § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG zum Ausdruck bringen zu wollen (BT-Drucks. 16/6308 S. 266, 273, 291). [...]

III. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann danach keinen Bestand haben. Der Senat hat nach § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst zu entscheiden, da sie entscheidungsreif ist. Der Betroffene ist durch die Zurückweisung des Antrags seiner Vertrauensperson, die Haft aufzuheben, in dem Zeitraum vom 26. Dezember 2018 bis zum 7. Februar 2019 in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlt. [...]

3. Die Vertrauensperson des Betroffenen durfte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegen den Betroffenen vollzogenen Haft auch vom 26. Dezember 2018 an beantragen. Zwar darf mit einem Antrag nach § 62 FamFG nach Erledigung der Hauptsache eines Haftaufhebungsverfahrens nach § 426 FamFG die Rechtskraft der Haftanordnung nicht unterlaufen und deshalb die Feststellung der Rechtswidrigkeit erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht beantragt werden (BGH, Beschlüsse vom 29. November 2012 - V ZB 170/12, InfAuslR 2013, 157 Rn. 7, vom 1. Juni 2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rn. 7 und vom 20. September 2017 - V ZB 180/16, InfAuslR 2018, 63 Rn. 5). Die Feststellung der Rechtswidrigkeit darf aber auch dann von dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht an beantragt werden, wenn der Antrag - wie hier - vor Eintritt der Rechtskraft der Haftanordnung bei dem Amtsgericht eingegangen ist. Dadurch wird die Rechtskraft nicht unterlaufen. Der Gesetzgeber hat sich nämlich mit der Regelung in § 426 Abs. 1 FamFG, nicht anders als mit der Vorgängerregelung in § 10 Abs. 1 FreihEntzG, dafür entschieden, dem Amtsgericht unabhängig von der Einlegung einer Beschwerde und der hiervon abhängigen Möglichkeit der Abhilfe nach § 68 Abs. 1 FamFG die Pflicht aufzuerlegen, die Haftanordnung wieder aufzuheben, wenn die Gründe hierfür weggefallen sind oder nie bestanden haben. Desgleichen hat er den Beteiligten mit der Regelung in § 426 Abs. 2 FamFG ebenso wie mit der inhaltsgleichen Regelung in § 10 Abs. 2 FreihEntzG die Möglichkeit eingeräumt, unabhängig von einer Beschwerde gegen die Haftanordnung deren Aufhebung zu beantragen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 129/08, NJW 2009, 299 Rn. 13; BTDrucks. 11/169 S. 12 zu § 11 FreihEntzG-E). Folge dieser Entscheidung ist, dass der Betroffene statt Beschwerde einzulegen, schon vor Eintritt der Rechtskraft die Aufhebung der Haft beantragen kann. Geht der Haftaufhebungsantrag vor Eintritt der Rechtskraft bei Gericht ein, kann die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der angeordneten Haft dementsprechend nach § 62 FamFG ab diesem Zeitpunkt beantragt werden. [...]