OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 18.05.2020 - 5 A 389/18.A - asyl.net: M28615
https://www.asyl.net/rsdb/M28615
Leitsatz:

Keine Ablehnung als "unzulässig" bei fehlender Existenzgrundlage in Bulgarien für international Schutzberechtigte:

"Der in Deutschland gestellte Asylantrag von Antragstellern, denen zuvor bereits in Bulgarien internationaler Schutz gewährt wurde, darf nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden, wenn die Antragsteller nicht arbeitsfähig sind und in Bulgarien weder familiäre Unterstützung noch eine Rente erhalten. Denn in diesem Fall drohte den Antragstellern bei einer Rückkehr nach Bulgarien eine gegen Art. 4 der Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung im Sinne eines von ihrem Willen unabhängigen "Automatismus der Verelendung"."

(Amtlicher Leitsätze)

Schlagwörter: Bulgarien, internationaler Schutz in EU-Staat, besonders schutzbedürftig, ältere Person, erwerbsfähig, arbeitsfähig,
Normen: AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, GR-Charta Art. 4, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

24 c) Nach diesen Maßstäben droht den Klägern bei einer Rückkehr nach Bulgarien eine gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung im Sinne eines von ihrem Willen unabhängigen "Automatismus der Verelendung". Denn sie sind nicht arbeitsfähig und können sich somit das zu ihrem Unterhalt erforderliche Einkommen nicht selbst verdienen. Sie würden in Bulgarien auch weder eine Rente, noch familiäre Unterstützung noch Sozialleistungen erhalten.

25 Der Kläger zu 1 ist 68 Jahre alt und damit nicht mehr in einem arbeitsfähigen Alter. Die Klägerin zu 2 ist 63 Jahre alt. Damit hat sie zwar unter Berücksichtigung einer am Rentenrecht orientierten normativen Betrachtung grundsätzlich das Erwerbsalter noch nicht überschritten. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Klägerin zu 2 weder einen Beruf erlernt hat noch berufstätig war, da sie Hausfrau war. Unter diesen Umständen ist es - auch unter Berücksichtigung einer mittelfristigen zeitlichen Perspektive - auszuschließen, dass es der Klägerin zu 2 möglich sein wird, durch Arbeit ein Familieneinkommen zu erwirtschaften, das sie und den Kläger zu 1 nicht der ernsthaften Gefahr aussetzen würde, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK zu erfahren.

26 Mangels Rente oder familiärer Unterstützung wäre damit der Lebensunterhalt der Kläger nur im Falle einer realistischen Chance auf Gewährung von Sozialhilfe gesichert. Die Voraussetzungen für den Bezug von Sozialhilfeleistungen sind jedoch - wie auch für bulgarische Staatsangehörige - kaum zu erfüllen, weshalb der Lebensunterhalt in der Regel nur durch Erwerbstätigkeit gesichert werden kann (so Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Trier vom 26. April 2018; vgl. auch OVG Hamburg, Urt. v. 18. Dezember 2019 - 1 Bf 132/17.A -, juris Rn. 62).

27 Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe liegen zu der hier maßgeblichen Konstellation eines "Rentnerehepaares" nicht vor. [...]