LG Limburg

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Zitieren als:
LG Limburg, Beschluss vom 27.08.2020 - 7 T 35/20 - asyl.net: M28822
https://www.asyl.net/rsdb/M28822
Leitsatz:

Haftanordnung zur Dublin-Überstellung muss sich auf Art. 28 Dublin-III-Verordnung und geltende Fassung des AufenthG stützen:

1. Eine Haftanordnung zum Zwecke der Dublin-Überstellung ist rechtswidrig, wenn sie sich entgegen dem Haftantrag der Behörde nicht auf Haft zum Zwecke der Überstellung nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung stützt, sondern ausschließlich auf Haft zur Sicherung der Abschiebung nach § 62 Abs. 3 AufenthG.

2. Eine Haftanordnung ist zudem rechtswidrig, wenn sie sich auf Haftgründe einer in dieser Form nicht mehr anwendbaren Norm stützt. Bei der zum 21.08.2019 wirksamen Änderung der Haftgründe nach § 62 Abs. 3, Abs. 3a und Abs. 3b AufenthG handelt es sich nicht um eine nur unwesentliche redaktionelle Änderung.

3.  Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG zur Abschiebung bei laufenden Klage- oder Ermittlungsverfahren ist keine essentielle Haftvoraussetzung. Ergibt sich aus dem Haftantrag oder den ihm beigefügten Unterlagen, dass ein nicht offensichtlich zustimmungsfreies Ermittlungsverfahren läuft, muss das Haftgericht dennoch prüfen, ob das Einvernehmen noch (rechtzeitig) erteilt werden wird. Fehlt es an dieser Prüfung, ist die Haft rechtswidrig.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Einvernehmen der Staatsanwaltschaft zur Abschiebung, Haftgründe, Haftantrag, Änderung der Rechtslage, Überstellungshaft,
Normen: AufenthG § 62 Abs. 3, AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1, VO 604/2013 Art. 28, FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5,
Auszüge:

[...]

Die Haftanordnung des Amtsgerichts entspricht bereits nicht dem Haftantrag der Behörde, so dass der nach § 417 Abs. 1 FamFG erforderliche Antrag fehlt. [...]

Die vom Amtsgericht erlassene Anordnung von Haft "zur Sicherung der Abschiebung" entsprach nicht dem Antrag der beteiligten Behörde, die ausdrücklich Haft "zum Zwecke der Überstellung" beantragt hat. Diese Abweichung ist erheblich, da es um ein Überstellungsverfahren nach der Dublin-III-VO (VO (EU) Nr. 604/2013) geht. [...]

2. Darüber hinaus ist die Haftanordnung auch deshalb rechtswidrig, weil das Amtsgericht die angenommenen Haftgründe einer in der Form nicht mehr anwendbaren Norm entnommen hat. Auf die Haftentscheidung vom 14.11.2019 wäre das AufenthG i.d. seit dem 21.08.2019 geltenden Fassung anzuwenden gewesen. Tatsächlich hat das Amtsgericht seine Entscheidung indes auf die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Nr. 1 und 3 AufenthG in der bis zum 20.08.2019 geltenden Fassung gestützt. Zwar findet sich § 82 Abo. 38. 1 Nr. 1 AufenthG a.F. wortgleich in § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AufenthG n.F. Die Regelung des § 62 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG a.F. wurde in der neuen Gesetzesfassung indes nicht wortgleich übernommen, insbesondere entspricht ihr nicht § 62 Abs. 3a Nr. 2 AufenthG n.F. Da es sich insofern auch nicht um eine nur unwesentliche redaktionelle Änderung handelt, kann die fehlerhafte Zitierung der Norm auch nicht als unschädlich bewertet werden.

3. Schließlich ist die Haftanordnung auch deshalb rechtswidrig, weil das gemäß § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht erteilt wurde. Dieses muss auch im Anwendungsbereich der Dublin-III-VO grundsätzlich vorliegen (vgl. BGH, Beschl. v. 19.07.2018, Az. V ZB 179/15. EZAR NF 57 Nr. 70). Dazu enthält die Haftanordnung selbst keinerlei Angaben. [...]

Dass das Fehlen des Einvernehmens vorliegend nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung führen würde, ergibt sich entgegen der Auffassung der beteiligten Behörde nicht aus der mit der Entscheidung vom 12.02.2020, Az. XIII ZB 15/19, geänderten Rechtsprechung des BGH. Denn auch wenn das Einvernehmen danach nicht mehr als essentielle Haftvoraussetzung einzuordnen ist, behält § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG den Entscheidungsgründen nach Bedeutung, wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen ohne weiteres ein laufendes und nicht offensichtlich zustimmungsfreies Ermittlungsverfahren ergibt. In dem Fall muss nämlich der Haftrichter auf Grund der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) erwarten, dass die Behörde den Betroffenen nicht ohne das erforderliche Einvernehmen abschiebt. Der Haftantrag ist dann im Hinblick auf die von § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG geforderten Darlegungen zu den Voraussetzungen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung nur zulässig, wenn die Behörde dieses mögliche Abschiebehindernis ausräumt. Dafür genügt es in der Regel, wenn die Behörde darlegt, das Einvernehmen liege vor, sei entbehrlich oder werde bis zum vorgesehenen Abschiebetermin voraussichtlich vorliegen oder entbehrlich geworden sein. Vorliegend hat die Behörde in dem Haftantrag zwar angegeben, die erforderlichen Einvernehmen seien erteilt. Dadurch dürfte der Haftantrag selbst zwar zulässig sein. Die Haftanordnung durch das Amtsgericht hätte jedoch ohne Prüfung, ob das Einvernehmen auch tatsächlich vorliegt, nicht ergehen dürfen, da das Einvernehmen nicht offensichtlich entbehrlich war (s.o.). Bei dieser Prüfung hätte das Amtsgericht festgestellt, dass das Einvernehmen nicht erteilt worden ist. Haft hätte nur angeordnet werden dürfen, wenn das Einvernehmen noch erteilt worden wäre, dessen Entbehrlichkeit festgestellt worden wäre oder die Behörde erklärt hätte, dass es bis zum Überstellungstermin noch vorliegen werde. [...]