VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2020 - A 10 K 930/19 - asyl.net: M29127
https://www.asyl.net/rsdb/M29127
Leitsatz:

Abschiebungsverbot wegen fehlender medizinischer Versorgung in Gambia:

Das Medikament Tenovir, das zur Behandlung einer chronischen Hepatitis B- und D-Koinfektion benötigt wird, ist in Gambia nur gegen Zahlung hoher Kosten erhältlich (900 € monatlich). Infolge der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Gambia durch die Corona-Pandemie ist es kaum möglich, diesen Betrag durch eine Erwerbstätigkeit aufzubringen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Gambia, Hepatitis B, Hepatitis D, medizinische Versorgung, Corona-Virus, Behandlungskosten, Abschiebungsverbot,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...)

Der Kläger leidet ausweislich der zahlreichen zur Akte des Bundesamtes und zur Gerichtsakte gereichten ärztlichen Atteste sowie ausweislich des medizinischen Sachverständigengutachtens der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. ... vom 12.08.2019 an einer chronischen Hepatitis B und D-Koinfektion.  Er hat aufgrund dieser seit Jahren anhaltenden Erkrankung ein Leben lang einmal täglich 245 mg Tenofovir beziehungsweise ein Generikum zu nehmen. Bei Absetzung der Behandlung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Flair der Hepatitis B und einer deutlichen Verschlechterung der Leberfunktion innerhalb eines Jahres zu rechnen. 2015 wäre der Kläger ohne die Behandlung aufgrund seines damaligen akuten Leberversagens gestorben.

Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Gambia Zugang zu den benötigten Medikamenten hätte. Die medizinische Versorgung ist in Gambia mangelhaft. Eine allgemeine Krankenversicherung existiert nicht. Staatliche Krankenhäuser bieten zwar eine quasi kostenlose Versorgung, diese ist jedoch aufgrund mangelnder Ärzte, Apparaturen und Medikamente unzureichend (Auswärtiges Amt, Lagebericht Gambia vom 12.07.2020, S. 12). Das vom Kläger benötigte Medikament Tenovir ist in Gambia grundsätzlich nicht erhältlich. Es kann lediglich über spezialisierte Apotheken aus dem Ausland importiert werden, wobei eine Monatsdosis etwa 900 Euro kostet (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 22.09.2020). Dass der Kläger sich derartige regelmäßige Bestellungen aus dem Ausland auf eigene Kosten leisten könnte, erscheint ausgeschlossen. Die Eltern des Klägers sind nach dessen Angaben im Asylerstverfahren verstorben. Das Gericht hat keinen Anlass, diese Erklärung anzuzweifeln. Der Kläger könnte im Falle seiner Rückkehr - auch mit Blick auf die infolge der weltweiten Corona-Pandemie noch schlimmer gewordenen Lage Gambias - mit Gelegenheitsarbeiten wohl allenfalls sein Existenzminimum erwirtschaften, nicht aber ein derart hohes Einkommen erzielen, dass er sich die dringend benötigte medizinische Behandlung leisten könnte. [...]