Anspruch auf angepasste höhere Regelbedarfe nach dem AsylbLG:
1. Bei der Leistungsgewährung ist die in § 3 Abs. 4 S. 1 und 2 AsylbLG alte Fassung vorgesehene jährliche Anpassung der Regelbedarfe zu berücksichtigen.
2. Die angepassten Beträge müssen durch die Leistungsbehörde berücksichtigt werden, auch wenn eine vorherige Bekanntgabe der Beträge durch das Bundesarbeitsministerium (§ 3 Abs. 4 S. 3 AsylbLG alte Fassung) oder eine gesetzgeberische Neufestsetzung (§ 3 Abs. 5 AsylbLG alte Fassung) nicht erfolgt sind.
3. Bei fehlender Berücksichtigung der Anpassung sind die Fehlbeträge nachzuzahlen.
(Leitsätze der Redaktion; anschließend an LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.05.2019 - L 8 AY 49/18 - asyl.net: M27347)
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Die Kläger erfüllen die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen nach § 1 AsylbLG und sind hilfebedürftig. Sie haben einen Anspruch auf Anpassung der Regelbedarfe nach § 3 Abs. 4 AsylbLG (a.F.). Danach werden zum 1 Januar eines Jahres die Leistungen der entsprechenden Veränderungsrate nach dem SGB XII angepasst. Die sich dabei ergebenden Beträge sind zu runden.
In der Rechtsprechung und der Literatur ist derzeit umstritten, ob eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG (a.F.) möglich ist, sobald eine neue EVS vorliegt, ob eine Fortschreibung eine zwangsweise Bekanntgabe voraussetzt und ob die Behörden bzw. Gerichte selbst zur Fortschreibung berechtigt sind. Dabei haben sich drei Meinungen herausgebildet. Es wird vertreten, dass § 3 Abs. 5 AsylbLG (a.F.) bei einer neuen Einkommens- und Verbrauchstichprobe (EVS) eine zwangsweise Umsetzung dieser im Rahmen einer Neufestsetzung vorsehe. Ohne eine solche Neufestsetzung scheide auch eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG (a.F.) aus (BMAS, Schreiben vom 29.01.2019 und 20.09.2019, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages - WD 6 - 3000 - 007/19). Diese Auffassung hat zur Folge, dass es bei den festgesetzten Bedarfen aus dem Jahr 2016 verbleibe.
Des Weiteren wird vertreten, dass § 3 Abs. 4 AsylbLG (a.F.) unabhängig von einer neuen EVS und deren Umsetzung nach § 3 Abs. 5 AsylbLG (a.F.) jedenfalls die zwangsweise Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt vorsehe. Dabei handele es sich um ein konstitutives Element, so dass eine Leistungsanpassung ohne Veröffentlichung ausscheide (SG Hamburg v. 08.07.2019 - 28 AY 48/19 ER; SG Detmold v. 27.06.2019 - 16 AY 16/19 ER; Hohm, ZFSH SGB 2019, 68-72; ADL., juris-PR-SozR 19/2019 Anm. 1). Diese Auffassung hat zur Folge, dass es bei den festgesetzten Bedarfen aus dem Jahr 2016 verbleibe.
Zudem wird vertreten, dass § 3 Abs. 5 AsylbLG (a.F.) bei einer neuen EVS eine Neufestsetzung der Bedarfe vorsehen. Solange der Gesetzgeber dieser Pflicht nicht nachkomme, sei die starre Fortschreibungsregelung des § 3 Abs. 4 AsylblG (a.F.) anzuwenden. Diese sehe zwar eine Bekanntgabe im Bundesgesetzblatt vor, dabei handele es sich jedoch um ein deklaratorisches Element (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, juris-PK - SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung Rn. 179; Cantzler, AsylbLG, 1. Aufl. 2019, § 3 Rn. 98). Die Bekanntgabe diene ausschließlich der Vereinheitlichung der Bedarfe und der Vereinfachung der Verwaltungstätigkeit. Nach dieser Auffassung sind die Bedarfe nach § 3 Abs. 4 AsylblG (a.F.) seit 2017 fortzuschreiben (SG Bremen v. 15.04.2019 - 40 AY 23/19 ER, SG Stade v. 13.11.2018 - 19 AY 15/18, LSG Niedersachsen-Bremen v. 23.05.2019 - 8 AY 49/18). [...].
Die Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Die Regelbedarfshöhe im AsylbLG ist an die Erhöhung der Regelbedarf nach dem SGB XII gekoppelt. Soweit die Leistungsveränderungen nach dem SGB XII feststehen, sind die Leistungen nach § 3 AsylbLG (a.F.) entsprechend anzupassen. Die Fortschreibung der Regelbedarfe dient der Dynamisierung der Leistungen, um ein jahrelanges statisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen zu vermeiden (Wahrendorf, AsylbLG, Kommentar 2017, § 3 Rn. 67). Der Leistungsbezieher hat daher einen einklagbaren Anspruch auf Leistungen in angepasster Höhe. Eine vorherige Entscheidung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber ist nicht notwendig, da die Norm die Berechnung vorgibt und somit keine wesentliche Entscheidung zu treffen ist.
Aus § 3 Abs. 4 S. 3 AsylbLG (a.F.) folgt nicht, dass vor der Anpassung der Leistungshöhe eine Entscheidung des BMAS erfolgen muss. Das BMAS hat nur die Höhe der Bedarfe im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben. Die Bekanntgabe trifft insoweit kein förmliches oder sonst materielles Gesetz, so dass ihr lediglich ein informatorischer Charakter zukommt (SG Stade. a.a.O.). Eine unterlassene Bekanntgabe führt daher nicht dazu, dass die durch Gesetz vorgeschriebene Anpassung unterbleibt (LSG Niedersachsen-Bremen v. 23.05.2019 - L 8 AY 49/18). Die Bekanntgabe ist nicht verbindlich, sondern dient der Transparenz und einheitlichen Gesetzesanwendung (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 179). Sinn und Zweck der Bekanntgabe durch das BMAS ist daher lediglich die Sicherstellung einer einheitlichen Leistungsberechnung. Zweck der Vorschrift ist dagegen nicht, dass bei einer unterlassenen Bekanntgabe die gesetzlich vorgeschriebene Leistungserhöhung ausbleibt. Kommt das BMAS seiner Pflicht zur Bekanntgabe der höheren Leistungssätze nicht nach, kann der Zweck einer bundeseinheitlichen Leistungsgewährung eventuell nicht sofort erfüllt werden. In diesem Fall sind alle Leistungsträger dazu verpflichtet, die Leistungsberechnung unter Berücksichtigung der zwingenden gesetzlichen Anpassungsvorschriften selbst vorzunehmen. Die unterlassene Rechtsanwendung des BMAS kann nicht zulasten der Leistungsempfänger gehen.
Soweit § 3 Abs. 5 AsylbLG (a.F.) vorschreibt, dass bei einer neuen bundesweiteri Einkommens- und Verbrauchsstichprobe der notwendige persönliche Bedarf (§ 3 Abs. 1 AsylbLG (a.F.) und die Höhe des notwendigen Bedarfs (§ 3 Abs. 2 AsylbLG (a.F.) neu festgesetzt werden, führt dies nicht dazu, dass bei einer Unterlassung dieser Neufestsetzung keine Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG (a.F.) zu erfolgen hat. Bis zu einer tatsächlichen Neufestsetzung durch den Gesetzgeber ist weiterhin die gesetzlich vorgeschriebene Erhöhung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG (a.F.) durchzuführen.
Dieser Gesetzesauslegung stehen auch nicht die Ausführungen des BMAS in den Stellungnahmen vom 29.01.2019 und 20.09.2019 entgegen. Insoweit nimmt das BMAS lediglich Bezug auf § 3 Abs. 5 AsylbLG (a.F.) und stellt ohne jegliche Begründung die Behauptung auf, dass mangels Neufestsetzung nach § 3 Abs. 5 AsylbLG (a.F.) auch eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG (a.F.) ausscheidet. [...]