OVG Sachsen-Anhalt

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Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.02.2002 - A 3 S 673/98 - asyl.net: M3012
https://www.asyl.net/rsdb/M3012
Leitsatz:

Keine mittelbar staatliche Verfolgung von ethnischen Minderheiten im Kosovo.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Jugoslawien, Kosovo, Albaner, Ashkali, Politische Entwicklung, Gebietsgewalt, KFOR-Truppen, UNMIK, Gruppenverfolgung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Krankheit, Ulcus duodeni, Migräne, Allergie, Medizinische Versorgung, Sicherheitslage, Übergriffe, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Zurechenbarkeit, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Extreme Gefahrenlage, Erlasslage
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6
Auszüge:

Die Kläger sind - sollte es sich bei ihnen um Albaner handeln - im Kosovo vor individueller und/oder gruppengerichteter Verfolgung hinreichend sicher. Ihnen steht deshalb in diesem Landesteil (Rest-)Jugoslawiens eine inländische Fluchtalternative offen. Der Senat hat zur Lage der Albaner im Kosovo im Urteil vom 29. März 2000 - A 3 S 559/98 - die folgenden Feststellungen getroffen: ...

In den tatsächlichen Verhältnissen im Kosovo sind seit dem Urteil des Senats keine wesentlichen Änderungen zu Lasten der albanischen Bevölkerung eingetreten. Vielmehr zeigen die Bemühungen der Staatengemeinschaft zur Stabilisierung der Lage zunehmend Erfolge (Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht v. 4.9.2001). Die Behauptung der Kläger, serbische Paramilitärs hätten bereits ein Fünftel des Kosovo wieder zurückerobert (Schriftsatz 4.2.2000, S. 3), findet in den vorliegenden Erkenntnismitteln keine Bestätigung. Es wird lediglich berichtet, daß die Versuche der UNMIK, Albaner im Norden der Stadt Mitrovica anzusiedeln, von Serben mit Gewalt unterbunden worden seien (Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht v. 4.9.2001, S. 6). Die Sicherheit der Kläger, die selbst nicht aus Mitrovica stammen, ist hierdurch nicht berührt. Die Befürchtung der Kläger, die KFOR- Truppen könnten nach Ablauf des bisherigen UN-Mandats im Juni 2000 abziehen, hat sich ebenfalls nicht bewahrheitet. Im Kosovo sind weiterhin ca. 41.700 KFOR-Soldaten stationiert (Auswärtiges Amt, a. a. O., S. 3). Soweit es nach dem Abzug der serbischen Armee nunmehr zu Übergriffen der Albaner auf die verbliebenen Serben oder andere Minderheiten im Kosovo kommt (dazu AA, a.a.O.), berührt dies die Sicherheit der Albaner selbst nicht.

Wegen des Zustands der medizinischen Versorgung und der von Minen und anderen Sprengkörpern ausgehenden Gefahren kann auf die Ausführungen im Urteil des Senats vom 29. März 2000 Bezug genommen werden. Die von den Klägern unter Hinweis auf das Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. November 1999 bezeichneten Mängel sind nach wie vor nicht völlig beseitigt. Es ist jedoch eine andere Frage, ob albanischen Flüchtlingen wegen dieser Mängel die Rückkehr in den Kosovo unzumutbar ist. Dies war und ist auch aus heutiger Sicht zu verneinen, ohne daß es hierzu einer weiteren Beweiserhebung bedarf. Die Kläger legen keine neuen Erkenntnismittel vor, die eine vom Urteil des Senats vom 29. März 2000 abweichende Beurteilung der Lage im Kosovo rechtfertigen können. An der Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse im Kosovo im Urteil vom 29. März 2000 ist daher festzuhalten.

Das Asylrecht des Art. 16 a GG steht den Klägern nach allem nicht zu. Eine politische Verfolgung gem. § 16 a GG setzt die Gefahr von asylerheblichen Eingriffen in Leib, Leben oder die persönliche Freiheit voraus. Diese Gefahr besteht für die Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht. Ihnen kann aus diesem Grunde auch kein Abschiebungsschutz gem. § 51 Abs. 1 AuslG gewährt werden.

Von der Abschiebung der Kläger kann auch nicht gem. § 53 Abs. 6 AuslG abgesehen werden.

Die Klägerin zu 1. leidet nach dem hausärztlichen Attest vom 27. Januar 2002 an Ulcus duodeni, Migräne und Verwachsungsbeschwerden im Bauchraum. Diese Beschwerden bedürfen nach dem hausärztlichen Attest der medikamentösen und diätetischen Behandlung. Der Senat geht davon aus, daß es ohne Therapie zu einer Verschlimmerung dieser Beschwerden kommen würde. Der Senat sieht jedoch keine Anhaltspunkte, daß die Beschwerden mit den im Kosovo vorhandenen medizinischen Möglichkeiten nicht ausreichend behandelt werden können. Die Basisversorgung der Bevölkerung ist - wie im Urteil des Senats vom 29. März 2000 ausgeführt - wieder gewährleistet. Einschränkungen sind noch bei Operationen und komplizierten Behandlungen zu machen (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 4.9.2001; UNHCR, Auskunft an VG Karlsruhe v. 7.3.2000). Die Klägerin zu 1. muß sich keiner Operation unterziehen. Eine medikamentöse Behandlung gehört auch nicht zu den komplizierten Behandlungsmethoden. Konkrete Hinweise darauf, daß gerade die von der Klägerin zu 1. benötigten Medikamente (Säureblocker, Spasmoanalgetika) trotz der sich weiter verbessernden Versorgungslage nicht erhältlich sind, gibt es nicht. Wenn in den letzten Monaten seitens der UNMIK zahlreiche Apotheken wegen mangelnder Ausbildung "selbsternannter Apotheker" geschlossen wurden, besagt dies nicht, daß die Klägerin zu 1. sich nicht über die verbleibenden Apotheker versorgen kann, zumal ihr eine gewisse Vorratshaltung der Medikamente zuzumuten ist. So dürfte es auch keine Schwierigkeiten bereiten, nach ärztlicher Verordnung einen größeren Medikamentenbestand aus Deutschland in den Kosovo mitzunehmen, um damit zeitweilige Versorgungsengpässe zu überbrücken.

Für den Kläger zu 3., der lt. hausärztlichem Attest vom 27. Januar 2002 an einer Allergie unklarer Genese leidet, die mit Depotkortison und Antihistamenika behandelt werden muß, gilt nichts anderes. Der Senat sieht auch bei dieser Erkrankung im Hinblick auf die gesicherte Basisversorgung und die sich weiter verbessernde Versorgungslage keine Anhaltspunkte für fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo.

Das Asylbegehren der Kläger bliebe auch dann erfolglos, wenn sie der Volksgruppe der Ashkali zuzurechnen wären.

Es entspricht der einhelligen Rechtsprechung aller mit dieser Frage befassten Obergerichte, daß die Ashkali im Kosovo jetzt und in absehbarer Zeit nicht von politischer Verfolgung in Form einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung betroffen sind. Die staatliche Gewalt im Kosovo wird von den KFOR-Truppen sowie der UN-Verwaltung unter Achtung der Menschenrechte der Bevölkerung ausgeübt. Die ehemalige UCK oder deren Nachfolgeorganisationen üben keine quasi-staatliche Gebietsgewalt aus (VGH Baden- Württemb., Urt. v. 30.3.2000 - A 14 S 431/98 -; OVG Lüneburg, Urt. v. 12.6.2001 - 8 L 516/97 -, Urt. v. 10.1.2001 - 12 LA 323/01 -; OVG NRW, Beschl. v. 4.5.2000 - 13 A 307/00.A -; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.10.2001 - 7 A 11967/98.0VG -; zur Stellung der UCK vgl. auch AA, ad-hoc-Bericht v. 4.9.2001).

Die Situation der Ashkali als ethnische Minderheit ist allerdings anders als die der albanisch-stämmigen Mehrheit durch zahlreiche, gewalttätige Übergriffe von Zivilisten gekennzeichnet. Das Verhältnis der verschiedenen ethnischen Gruppen untereinander ist als Folge der Kriegsgräuel sehr gespannt. Die Lage der Minderheiten wird als prekär bezeichnet. Ihre Sicherheit kann selbst in ethnischen Enklaven nicht immer zuverlässig gewährleistet werden (AA, ad-hoc-Bericht v. 4.9.2001).

Eine den staatlichen Organen zuzurechnende mittelbare staatliche Verfolgung wäre darin aber nur zu sehen, wenn diese solche Übergriffe tatenlos hinnähmen und es damit unterließen, den Betroffenen den erforderlichen Schutz mit den ihnen an sich zur Verfügung stehenden Mitteln zu gewähren oder wenn sie sich hierzu im konkreten Fall gegenüber Verfolgungsmaßnahmen bestimmter Dritter nicht in der Lage sähen (BVerfGE 80, 315, 336). Dies läßt sich anhand der dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel nicht feststellen.

Insbesondere vermag der Senat nicht festzustellen, daß die Zivilverwaltung und die KFOR-Truppen den im Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. November 1999 angesprochenen Tendenzen zur systematischen Vertreibung von Roma und Ashkali aus dem Kosovo durch frühere UCK-Kämpfer oder albanische Zivilisten prinzipiell nicht Einhalt gebieten können.

Die von den Albanern ausgehenden Übergriffe auf die Ashkali rechtfertigen es auch nicht, den Angehörigen dieser Volksgruppe den Abschiebungsschutz des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zuzubilligen. Eine auf die Person der Kläger zu beziehende konkrete Gefahrenlage läßt sich bei einer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ashkali nicht feststellen. Ob für die Ashkali im Hinblick auf diese Übergriffe eine extreme allgemeine Gefahrenlage besteht, die es bei verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG gebietet, dem Ausländer trotz Fehlens einer Entscheidung der obersten Landesbehörde gem. § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG i.V.m. § 54 AuslG den Schutz des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zuzubilligen, kann auf sich beruhen (verneinend OVG Lüneburg, Urt. v. 12.6.2001 - 8 L 516/97 -, S. 26 UA). Sollte eine derartige Gefahrenlage anzunehmen sein, würde Verfassungsrecht einen über die einfach-gesetzliche Regelung des § 53 Abs. 6 AuslG hinausgehenden Abschiebungsschutz nur gebieten, wenn der Ausländer anderenfalls gänzlich schutzlos bliebe. Nur in diesem Fall bedürfte es einer auf Art. 1, 2 GG gründenden verfassungsrechtlichen Korrektur der einfach-gesetzlichen Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG (VGH Baden-Württemb., Urt. v. 20.9.2001 - A 14 S 2130/00 -, S. 12 UA; BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 2.01 -).

Nach der Erlaßlage im Lande Sachsen-Anhalt besteht hierfür kein Anlaß. Der Erlaß des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom 15. November 2001 - 4231-12231 - 72.2 - sieht vor, daß den Angehörigen von Minderheiten, insbesondere den Ashkali im Hinblick auf ihre fortbestehende Gefährdung Duldungen bis (vorerst) 31. Mai 2002 zu erteilen bzw. zu erneuern sind. Es handelt sich bei dieser Regelung nicht um eine solche gem. § 54 AuslG, da - soweit erkennbar - das Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern nicht hergestellt wurde. Die landesgesetzliche Erlaßlage besteht aber im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und ist anwendbar. Damit besteht ein vergleichbar wirksamer Abschiebungsschutz wie bei einer Entscheidung gem. § 54 AuslG.