OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 16.01.2003 - 13 ME 28/03 - asyl.net: M3208
https://www.asyl.net/rsdb/M3208
Leitsatz:

Die Berücksichtigung der ehelichen Lebensgemeinschaft als dauerhaftes Abschiebungshindernis begegnet grundlegenden dogmatischen Bedenken, da eine Duldung nur die zeitweise Aussetzung der Abschiebung bedeutet; ein Abschiebungshindernis setzt zumindest zusätzliche besondere Umstände voraus, die selbst eine vorübergehende Trennung als unzumutbar erscheinen lassen.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Duldung, Deutschverheiratung, Familienzusammenführung, Abschiebung, Sperrwirkung, Nachträgliche Befristung, Illegale Einreise, Visumspflicht, Schutz von Ehe und Familie, Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, Vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren)
Normen: AuslG § 55 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 1; AuslG § 8 Abs. 2 S. 2; VwGO § 123
Auszüge:

Für das Rechtsschutzverfahren ist davon auszugehen, dass der ausländische Antragsteller mit einer Deutschen verheiratet ist und diese Ehe im Bundesgebiet am Wohnort seiner Ehefrau führen will. Dafür sieht das Ausländergesetz einen Anspruch des Ausländers auf eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 AuslG vor.

Im Falle des Antragstellers liegt der besondere Versagungsgrund des § 8 Abs. 2 S. 2 AuslG vor. Er ist nämlich im ... in seine Heimat abgeschoben worden, ungeachtet der Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 S. 1 AuslG bereits drei Monate später erneut in das Bundesgebiet und zwar unerlaubt eingereist und hält sich hier seitdem ohne Erlaubnis auf.

Angesichts dieser Rechtslage hat das Verwaltungsgericht infolge der vom Antragsteller mit einer Deutschen geschlossenen Ehe die Unmöglichkeit seiner Abschiebung aus rechtlichen Gründen im Sinne des § 55 Abs. 2 AuslG angenommen und deshalb einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung bejaht. Dem foIgt der Senat nicht. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts steht nicht im Einklang mit der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BverfGE 51, 386, 396 f.; 80, 81, 93) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 98, 31, 46; 105,35, 39 m.w.N.) gewähren weder Art. 6 GG, noch Art. 8 EMRK unmittelbar einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den ausländischen Ehegatten. Die entscheidende Behörde hat allerdings die familiären Bindungen eines Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten - insbesondere also Deutsche -, bei der Anwendung offener Tatbestände und bei der Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen.

Diese angemessene Berücksichtigung der familiären Bindungen des Ausländers erfordern indessen nicht, dass einer Wahrung der Familieneinheit in der Bundesrepublik Deutschland im Ergebnis in jedem Falle - wie offenbar das Verwaltungsgericht meint - der Vorrang einzuräumen wäre, notfalls unter Inanspruchnahme rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten, die diesem Zweck ersichtlich nicht dienen. So verfährt mittlerweile nicht selten aber die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, indem sie in einer Gefährdung der familiären Lebensgemeinschaft und der Ehe generell ein inlandsbezogenes, einem Vollzug der Abschiebung entgegenstehendes Hindernis erblickt, das einen Anspruch auf Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG begründet (vgl. Hailbronner, aaO, § 55 AuslG, Rdnr. 16). Da die Duldung indessen die zeitweise Aussetzung der Abschiebung bedeutet (§ 55 Abs. 1 AuslG), sie insbesondere nach der Neuregelung des Ausländerrechts durch das Ausländergesetz 1990 nicht mehr als zweitrangiges Aufenthaltsrecht dienen sollte, kann der Duldung nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zugebilligt werden (BVerwGE 105,35,43 m.w.N.). Dies gilt umso mehr, als die Duldung nicht einen aufenthaltsrechtlichen Status vermittelt, der dem Anliegen des Familiennachzugs gerecht würde (BVerwG, aaO).

Die obergerichtliche Rechtsprechung setzt sich teilweise über derartige dogmatische Bedenken hinweg und bejaht einen Anspruch des Ausländers auf Erteilung einer Duldung jedenfalls in den Fällen, in denen über den bloßen Bestand der Ehe bzw. der familiären Lebensgemeinschaft hinaus besondere Umstände ersichtlich sind, die selbst eine vorübergehende Trennung der Familienangehörigen als unzumutbar erscheinen lassen (VGH BW, Beschl. vom 19.4.2001-13 S555/01 - InfAuslR 2001, 381; VGH BW, Beschl. vom 9.7.2002 S. 2240/01 -; VGH BW, Beschl. vom 5.7.1999- 13 S1101/99 - InfAuslR 1999, 495). Derartige besondere Umstände bejahen die genannten Entscheidungen im Verhältnis von Eltern und kleinen Kindern, bei Ehegatten aufgrund individueller Besonderheiten, etwa Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder psychischer Not und bei der Angewiesenheit auf Lebenshilfe aufgrund besonderer Umstände.

Im Falle des Antragstellers bestehen keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme besonderer Umstände, die selbst eine vorübergehende Trennung der Eheleute unzumutbar erscheinen lassen. Sie sind vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht worden.