OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 09.12.2002 - 2 L 3490/96 - asyl.net: M3210
https://www.asyl.net/rsdb/M3210
Leitsatz:

Familienasyl nur bei im Herkunftsstaat anerkannter Ehe; Verweigerung der Anerkennung der Ehe keine politische Verfolgung.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Jesiden, Staatenlose, Familienasyl, Religiöse Eheschließung, Eheschließung, Auszug aus dem Zivilregister, Beweismittel, Urkundenfälschung, Religiös motivierte Verfolgung, Religiöses Existenzminimum, Nachfluchtgründe, Objektive Nachfluchtgründe, Sippenhaft, Einreiseverweigerung, Verfolgungsbegriff
Normen: AsylVfG § 26
Auszüge:

 

Der Klägerin kann entgegen der in dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts vertretenen Auffassung nicht nach § 26 AsylVfG (Familienasyl) die Rechtsstellung einer Asylberechtigten verliehen werden.

Die Gewährung von Familienasyl an die Klägerin muss hier deshalb ausscheiden, weil sie mangels wirksamer, staatlich anerkannter Ehe i.S. des § 26 AsylVfG nicht "Ehegatte" des als Asylberechtigten anerkannten ist.Ein Anspruch auf die Gewährung von Familienasyl nach § 26 AsylVfG, der nicht als Grundrecht gewährleistet ist (BVerfG, 1. Kammer des Zweiten Senats, Beschl. v. 20.8.1998- 2 BvR 10/98 -, NVwZ-Beil. Nr. 12/1998, 115), setzt eine Eheschließung bereits im Herkunftsstaat - hier also Syrien - voraus.

Ist aber auf den Herkunftsstaat für das Vorliegen einer Ehe i.S. des § 26 AsylVfG abzustellen, so hat dies zur Folge, dass für die Frage der Wirksamkeit einer Verbindung zwischen Mann und Frau, die auch nach § 26 AsylVfG als Ehe den Anspruch auf Gewährung von Familienasyl vermitteln kann, nicht das deutsche Eherecht, sondern das Eherecht des Herkunftsstaates maßgeblich ist (Marx, aaO, RdNr. 9 zu § 26; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, RdNr. 12 zu § 26 AsylVfG; Schnäbele, aaO, RdNr., 60 zu § 26). Dies gebieten auch die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik durch die Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, v. 28.7,1951, zugestimmt und veröffentlicht durch Gesetz v. 1.9.1953, BGBl. II S. 559 - GK -) eingegangen ist.

Kommt damit dem Eherecht des Herkunftstaates die entscheidende Bedeutung zu, so ist es andererseits für die Bejahung eines Anspruchs auf Familienasyl nach § 26 AsylVfG nicht angängig, die Anforderungen, die das Eherecht des Herkunftsstaates an die Wirksamkeit einer Eheschließung stellt, dadurch zu umgehen, dass im Wege einer "großzügigen Interpretation" (Koisser/Nicolaus, ZAR 1991, 31 (34) - zu § 7 a Abs. 3 AsylVfG a.F.) des § 26 AsylVfG diese Anforderungen mit asylrechtlichen Erwägungen wie etwa der "Zumutbarkeit" (so das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil v. 24:2.1994) ganz oder teilweise für gegenstandslos erklärt werden. Dem Sinn und Zweck des § 26 AsylVfG widerspricht eine derartige ausufernde Interpretation der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift, namentlich des Ehebegriffs, denn die Vorschrift des § 26 AsylVfG soll wie ihre Vorgängervorschrift, der § 7 a Abs. 3 AsylVfG a.F., dazu dienen, Familienangehörigen (Ehegatte und minderjährige Kinder) eines (anerkannten) politischen Verfolgten in einem vereinfachten Verfahren, und zwar ohne (aufwendige) Prüfung eigener Verfolgungsgründe auch die Rechtsstellung eines Asylberechtigten zu verleihen (vgl. BT-Drucks. 11/6960, S. 29f., wonach die Regelung des Familienasyls - dort noch der, soweit hier von Interesse mit § 26 Abs. 1 AsylVfG wortgleiche § 7 a Abs. 3 AsylVfG a.F.- zur "Entlastung des Bundesamtes ... und der Verwaltungsgerichtsbarkeit...die Möglichkeit eröffnet, von einer u.U. schwierigen Prüfung eigener Verfolgungsgründe der Familienangehörigen eines Asylberechtigten abzusehen"). Mit dieser Zielrichtung wäre es aber nicht zu vereinbaren, im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs nach § 26 AsylVfG in einem aufwendigen Verfahren, das ggf. der Prüfung eigener Asylgründe des Familienangehörigen gleichkommt, festzustellen, ob der Familienangehörige in unzumutbarer, u.U. asylrechtlich bedeutsamer Weise daran gehindert worden ist, die Voraussetzungen zu erfüllen, die die Rechtsordnung seines Herkunftsstaates für die Wirksamkeit einer Eheschließung vorsieht. Hinzu kommt, dass bei einer derartigen erweiterten Prüfung und der Einbeziehung einer auch von dem Herkunftssaat nicht anerkannten Eheschließung in den Ehebegriff des § 26 AsylVfG (in diesem Sinne aber: Marx, aaO, RdNr. 9 zu § 26; Hailbronner, aaO, RdNr. 20 zu § 26 AsylVfG; Schnäbele, aaO, RdNr. 62 zu §26) die einzuhaltende Grenzlinie zwischen dem Anspruch auf Familienasyl und dem materiellen Asylanspruch überschritten würde. Die im Rahmen einer "großzügigen Interpretation" (Koisser/Nicolaus, aaO) erforderlich werdende Prüfung liefe nämlich in Wahrheit auf die Prüfung eigener Asylgründe des Famillenangehörigen hinaus, die nach dem Willen des Gesetzgebers bei § 26 AsylVfG aber gerade zu unterbleiben hat.

Unter Beachtung dieser Grundsätze kann die Klägerin nicht nach § 26 AsylVfG die Rechtsstellung einer Asylberechtigten beanspruchen, weil die nach dem Eherecht ihres Herkunftsstaates Syrien für eine Wirksamkeit erforderliche staatliche Anerkennung der zwischen ihr und ... in Syrien geschlossenen Ehe nicht glaubhaft gemacht worden ist.

Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin unterstellen wollte - dies stellt eine selbständig tragende Erwägung dieses Urteils dar -, ihre Eheschließung mit ... sei im syrischen Zivilregister eingetragen worden, wäre dies nicht geeignet, den geltend gemachten Anspruch aus § 26 AsylVfG zu begründen; denn auch dann läge keine nach § 26 AsylVfG beachtliche Ehe vor, weil nach syrischem Eherecht die bloße Eintragung einer Heirat in das Zivilregister für eine staatliche Anerkennung der Eheschließung nicht konstitutiv ist.

Die Klägerin kann auch nicht aus eigenem Recht gem. Art. 16 a Abs. 1 GG als Asylberechtigte anerkannt werden. Die Klägerin hat geltend gemacht, es sei ihr als staatenloser Kurdin yezidischer Religionszugehörigkeit, nicht möglich gewesen, für ihre nach yezidischem Ritus geschlossene Ehe eine staatliche Anerkennung dieser Eheschließung in Syrien zu erlangen, staatenlose Kurden - seien sie registriert oder seien sie nicht registriert - könnten nämlich in Syrien nicht wirksam standesamtlich heiraten. Es bestehen schon Zweifel, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, registrierten (oder nicht registrierten) staatenlosen Kurden sei es in Syrien nicht möglich, eine staatliche Anerkennung einer nach yezidischem Ritus geschlossenen Ehe zu erhalten; denn sowohl in dem in diesem Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 3. Juli 2000 (S. 4f.) als auch im jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Oktober 2002 (S. 13) wird es als möglich bezeichnet, dass Yeziden für eine nach yezidischem Ritus geschlossene Ehe eine staatliche Anerkennung erlangen können und dass diese Eheschließung auch in das syrische Zivilregister eingetragen wird. Der Senat hat diese Zweifel aber zurückgestellt und zu Gunsten der Klägerin als wahr unterstellt, dass sie als im Jahre 1962 ausgebürgerte und seitdem in Syrien als staatenlos registrierte Kurdin - so ihr durchgängiger Vortrag in diesem Asylverfahren - eine staatliche Anerkennung ihrer mit ... geschlossenen Ehe in Syrien nicht erlangen konnte; denn auch in diesem Falle kann die Klägerin die Gewährung von Asyl, nicht beanspruchen.

Auch wenn es der Klägerin in Syrien nicht möglich gewesen ist, für ihre mit ... geschlossene Ehe dort eine staatliche Anerkennung zu erlangen, kann hierin nach der Überzeugung des Senats eine asylrechtlich bedeutsame Maßnahme nicht gesehen werden; denn hierdurch wurde der asylrechtlich nur geschützte Kernbereich der religiösen Betätigung, das sog. religiöse Existenzminimum (s. dazu BVerfG, Beschl.v. 1.7.1997 - 2 BvR 478, 962/86 - BVerfGE 76, 143 (158) = NVwZ 1988, 237 u. Marx, aaO, RdNr. 24 zu § 1) nicht betroffen.

Wie der Senat unter Auswertung des hierzu vorliegenden Erkenntnismaterials in seinem Urteil vom 22. Juni 1999 - 2 L 670/98 - , das in der Erkenntnismittelverfügung vom 8. November 2002 ausdrücklich erwähnt wird und auf dessen Begründungen zur Vermeidung von Wiederholungen in diesem Zusammenhang Bezug genommen wird, bereits festgestellt hat, wird durch den syrischen Staat der Kernbereich der Religionsausübung, das forum internum, bei den in Syrien lebenden Yeziden nicht tangiert. Der syrische Staat greift nämlich in das religiöse Existenzminimum der Yeziden, d. h. die Religionsausübung im häuslich-privaten Bereich, das Gebet, den Gottesdienst mit anderen Gläubigen sowie das Glaubensgespräch und das Glaubensbekenntnis im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich (BVerfG, Beschl. v. 1.7.1987, aaO, S. 158f.; BVerwG, Urt. v. 25.10.1988 - BVerwG 9 C 37.88 -, NVwZ 1989, 477(478); Göbel-Zimmermann, aaO. RdNr. 96) nicht ein. Auch der - als wahr unterstellte - Umstand, dass staatenlose (registrierte oder nicht-registrierte) yezidische Kurden in Syrien nicht eine staatliche Anerkennung ihrer nur nach religiösem Ritus geschlossenen Ehe erhalten können, stellt sich nicht als Eingriff in das forum internum dar. Den betreffenden Yeziden wird lediglich die staatliche Anerkennung ihres ehelichen Zusammenlebens verweigert, ihre Religionsausübung wird hierdurch zumindest in dem als religiöses Existenzminimum beschriebenen Bereich (s.o.) nicht betroffen.

Auch soweit die Klägerin geltend macht, sie würde, müsste sie nach Syrien zurückkehren, stellvertretend in Art einer sippenhaftähnlichen Inanspruchnahme für ihren Ehemann, der von den syrischen Stellen als gefährlicher Regimegegner eingeschätzt werde, verfolgt werden, kann dies nicht zu ihrer Anerkennung als Asylberechtigte führen. Nach der Rechtsprechung des Senats (s. etwa das schon erwähnte Urteil v. 22.6: 1999 -2 L 670/98 -) praktiziert der syrische Staat gegenüber nahen Angehörigen Verfolgter nicht generell Sippenhaft oder sippenhaftähnliche Maßnahmen, es sei denn, der Verfolgte wird vom syrischen Regime als gefährlicher Regimegegner eingestuft. Ob dies beim ,Ehemann der Klägerin (noch) der Fall ist, könnte trotz der hierzu von dem Verwaltungsgericht Hannover in seinem Urteil vom 2. Mai 1988 - 11 (Hi) VG A 41/81 getroffenen Feststellungen zweifelhaft sein, weil seit diesen Feststellungen und der Ausreise des Ehemannes bereits 14 1/2 bzw. sogar 23 Jahre vergangen sind, so dass fraglich ist, ob der syrische Staat auch heute noch an dem Ehemann der Klägerin ein so großes Interesse hat, dass die Gefahr besteht, dass der syrische Staat gegenüber der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien sippenhaftähnliche Maßnahmen praktizieren würde, um so den Ehemann zu einer Rückkehr nach Syrien zu bewegen.

Aber auch diese Frage kann der Senat offen lassen; denn auf etwaige, der Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien möglicherweise drohende Gefahren kommt es für einen Anspruch der Klägerin aus Art. 16 a Abs. 1 GG nicht an, weil es sich bei der Klägerin um eine staatenlose Kurdin handelt, der der syrische Staat eine Wiedereinreise nicht gestattet, so dass nach dem Staatenlosenübereinkommen (Überkommen v. 28.9.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen, BGBl. II 473 u. BGBl. II 1997, 235) und der Genfer Konvention für die Frage der politischen Verfolgung Staatenloser nicht mehr auf den ursprünglichen Herkunftsstaat Syrien, sondern auf die Bundesrepublik Deutschland als dem Land des gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin abzustellen ist.