BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 26.02.2003 - 1 B 218.02 - asyl.net: M3348
https://www.asyl.net/rsdb/M3348
Leitsatz:

Zur persönlichen Anhörung durch das Berufungsgericht.(Leitsatz der Redaktion)

 

Schlagwörter: Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, Verfahrensmangel, Sachaufklärungspflicht, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, Vereinfachtes Berufungsverfahren, Anhörung, Glaubwürdigkeit, Berufungsverfahren
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 86 Abs. 1; VwGO § 96; VwGO § 130a
Auszüge:

 

Die Beschwerde der Klägerin zu 1 hat mit einer Verfahrens-rüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der angefochtene Beschluss verletzt die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO [...]

Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu 1 ihr Vorbringen zu diesem Vorfluchtgeschehen in dem im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO ergangenen Beschluss nicht geglaubt und u.a. deshalb eine Rückkehrgefährdung im Gebiet der inländischen Fluchtalternative Nordirak ausgeschlossen. Die Beschwerde rügt insoweit der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht diesen Schluss nicht hätte ziehen dürfen, ohne sich zuvor durch persönliche Anhörung der Klägerin zu 1 ein eigenes Bild von ihrer Glaubwürdigkeit gemacht zu haben. Ob darin zugleich - wie die Beschwerde geltend macht - eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt, kann offen bleiben.

Zwar hat sich das Berufungsgericht mit seiner tatrichterlichen Bewertung nicht in Widerspruch zu einer etwa entgegenstehenden Würdigung der Glaubwürdigkeit der Klägerin zu 1 durch das Verwaltungsgericht gesetzt (dazu, dass dies unzulässig wäre, vgl. Beschluss vom 28. April 2000 - BVerwG 9 B 137.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 235). Denn dieses hatte ohne mündliche Verhandlung entschieden, weil es eine Verfolgungsgefahr für die Klägerin zu 1 schon wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit und Herkunft aus Sulaimaniya bejahte. Das Berufungsgericht hat die Klägerin zu 1 auch nicht lediglich unter Übernahme einer entsprechenden Würdigung des Bundesamtes für unglaubwürdig gehalten (dazu, dass dies unzulässig gewesen wäre, vgl. Beschluss vom 10. Mai 2002 - BVerwG 1 B 392.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = InfAuslR 2003, 28). Es hat aber aus ihrer protokollierten Aussage vor dem Bundesamt Ungereimtheiten und Widersprüche abgeleitet, ohne die Klägerin zu 1 persönlich anzuhören. Dass dies hier ausnahmsweise verfahrensrechtlich zulässig war, lässt sich der Berufungsentscheidung nicht entnehmen.

Von der persönlichen Anhörung der Klägerin zu 1 hätte das Berufungsgericht nach der Rechtsprechung des Senats nur absehen dürfen, wenn es in der protokollierten Aussage der Klägerin zu 1 solche Widersprüche, Ungereimtheiten oder Unvereinbarkeiten zwischen ihrem Vorbringen und seinen gesicherten Erkenntnissen aufgezeigt hätte, die die Wahrheit der behaupteten Tatsachen auch ohne den persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Klägerin zu 1 von vornherein ausschlössen (vgl. Beschluss vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 B 37.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 260). Das ist hier jedoch nicht der Fall. So genügt es nicht, wenn das Gericht den Vortrag der Klägerin zu 1 zur Bedrohung durch Islamisten im Krankenhaus von (...) als "lebensfremd" ansieht (BA S. 9). Die Beschwerde wendet dagegen zutreffend ein, dass sie bei einer Anhörung hierzu hätte im Einzelnen bezeichnete - Angaben machen können, die die Zweifel des Gerichts hätten ausräumen können (Beschwerdebegründung S. 2). Auch die vom Berufungsgericht im angefochtenen Beschluss angestellten Erwägungen zur Unglaubhaftigkeit des Vortrags zu einem Attentat auf die Klägerin zu 1 und ihre älteste Tochter (BA S. 10 f.) ergeben nicht, dass eine persönliche Anhörung der Klägerin zu 1 entbehrlich gewesen ist. Auch hierzu beruft sich die Beschwerde schlüssig auf erhebliches ergänzendes Vorbringen bei einer persönlichen Anhörung (Beschwerdebegründung S. 2/3). [...]