VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 23.09.2002 - 24 B 02.153 - asyl.net: M3357
https://www.asyl.net/rsdb/M3357
Leitsatz:

Zur Ausweisung eines Asylberechtigten wegen einer Straftat.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Iraner, Asylberechtigte, Straftäter, Verkehrsdelikte, Drogendelikte, Freiheitsstrafe, Ausweisung, Ist-Ausweisung, Regelausweisung, Besonderer Ausweisungsschutz, Ermessensausweisung, Gesamtstrafe, Spezialprävention, Generalprävention
Normen: AuslG § 47 Abs. 1 Nr. 2; AuslG § 47 Abs. 2 Nr. 2; AuslG § 48 Abs. 1; StGB § 53 Abs. 1; StGB § 55 Abs. 1
Auszüge:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Oktober 2001 ist zu Recht ergangen.

Die Ausweisung eines Asylberechtigten wegen einer Straftat ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch nach der des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 7.3.2001 - 2 BvR 1459/99, NVwZ Beilage Nr. I 6/2001 zu Heft 7/2001, 57/58; Beschluss vom 27.12.2000 - 2 BvR 2205/99, NVwZ Beilage Nr. I 3/2001 zu Heft 4/2001, 27/28; BVerwG - Urteil vom 5.5.1998 - 1 C 17.97, InfAuslR 9/98, 383 f.) grundsätzlich nicht ausgeschlossen.

Eine Ausweisung ist allerdings nur zulässig, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus, durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (Generalprävention). Bei spezialpräventiver Ausweisung muss dem Ausweisungsanlass besonderes Gewicht zukommen, welches sich bei Straftaten vor allem aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Hinzu kommen müssen Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Entfernte Möglichkeiten neuer Störungen genügen nicht. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität sind die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen (BVerwG 1 B 221.94 - Beschluss vom 10.2.1995 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 5).

Die Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland wurde im angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2001 richtigerweise auf § 47 Abs. 1 Nr.2 AuslG gestützt. Der Auffassung der Klägerseite, dass vorliegend § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG einschlägig ist mit der Folge, dass die Ausweisung des Klägers nur im Ermessenswege möglich gewesen wäre, kann nicht gefolgt werden.

Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG wird ein Ausländer u.a. ausgewiesen, wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Der Kläger wurde mit rechtskräftigem Urteil (Rechtskraft seit 30.6.2000) des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. Dezember 1999 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Als Einzelstrafen für das unerlaubte Handeltreiben wurde eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren festgesetzt und als Einzelstrafe für den unerlaubten Besitz eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten. Damit ist der Tatbestand von § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt. Erforderlich ist, dass die Strafe gerade wegen des Betäubungsmitteldelikts in dieser Höhe verhängt worden ist. Auch wenn der Kläger wegen verschiedener in Tatmehrheit begangener Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden ist, ist der Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt. Wie Fälle zu beurteilen sind, wenn neben Betäubungsmitteldelikten noch andere Straftaten zur Last gelegt worden sind, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, weil sich wegen des Deliktscharakters der vom Kläger begangenen Straftaten keine Konsequenzen auf die Anwendbarkeit der Vorschrift ergeben. Das Gesetz geht von einer besonderen Gefährlichkeit des Ausländers aus, wenn er wegen einer der in § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG bezeichneten Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist, so dass seine Ausweisung grundsätzlich zwingend geboten ist. Nur soweit bei einer Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht erfüllt sind, ist zu prüfen, ob § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zur Anwendung kommt.

Auf die Frage, ob die Einzelstrafen von 2 Jahren und 1 Jahr und 3 Monaten, aus denen die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten gebildet worden ist, im Falle des Klägers zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an, weil der Kläger insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden ist und nicht zu zwei Freiheitsstrafen. Auf eine Gesamtstrafe wird gemäß § 53 Abs. 1 StGB erkannt, wenn jemand mehrere Straftaten begangen hat, die gleichzeitig abgeurteilt werden und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt sind. In diesem Fall ist die Gesamtstrafenbildung zwingend. Das Wesen der Gesamtstrafenbildung besteht darin, dass die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf (§ 54 Abs. 2 Satz 1 StGB) und sie durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe und Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten gebildet wird (§ 54 Abs. 1 Satz 2, 3 StGB). Die Einzelstrafen gehen somit in der Bildung der Gesamtstrafe auf, so dass gegen den Verurteilten nur eine Strafe verhängt wird. Der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, sein Mandant werde bei dieser Betrachtungsweise gegenüber einem Straftäter benachteiligt, dessen Straftaten getrennt verhandelt und abgeurteilt worden sind, überzeugt nicht, weil die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe im Gesetz auch für die Fälle vorgesehen ist, wenn ein bereits rechtskräftig Verurteilter wegen einer anderen Straftat verurteilt wird (vgl. § 55 Abs. 1 StGB).

Die Ausweisung des Klägers läuft entgegen der Auffassung seines Bevollmächtigten vorliegend auch nicht ins Leere. Der Gesetzgeber geht selbst davon aus, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann (§ 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG). Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG vor (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG). In Ergänzung dazu ergibt sich aus § 68 Abs. 2 AsylVfG, dass dem unanfechtbar als Asylberechtigten anerkannten Ausländer keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist. Die Tatsache, dass der Kläger derzeit nicht in sein Heimatland Iran abgeschoben werden kann, führt nicht zwangsläufig zu der Annahme, seine Ausweisung laufe ins Leere und sei damit rechtswidrig, weil weder spezial- noch generalpräventive Gesichtspunkte bei seiner Ausweisung zum Tragen kämen.