BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 14.02.2003 - BVerwG 1 B 273.02 - asyl.net: M3370
https://www.asyl.net/rsdb/M3370
Leitsatz:

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen allgemein Abschiebungsschutz bei einer extremen allgemeinen Gefahrenlage gewährt werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, Grundsätzliche Bedeutung, Rechtliches Gehör, Beweiswürdigung, Widersprüchlichkeit, Darlegungserfordernis, Überraschungsentscheidung, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Infektionsrisiko, Malaria, Semi-Immunität, Medizinische Versorgung, Finanzierbarkeit, allgemeine Gefahr, Extreme Gefahrenlage
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3; VwGO § 108 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 6 S. 1
Auszüge:

Unter welchen Voraussetzungen allgemein Abschiebungsschutz bei einer extremen allgemeinen Gefahrenlage gewährt werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt (vgl. zuletzt etwa Urteile vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2. 01 - und - BVerwG 1 C 5. 01 - BVerwGE 114, 379 382>; 115, 1 7> m. w. N.), darauf hat sich das Oberverwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung zutreffend bezogen. Die Beschwerde zeigt nicht ansatzweise auf, inwiefern die hierzu aufgestellten Rechtsgrundsätze erneuter oder weiterreichender Klärung anhand des vorliegenden Falles bedürften. Das ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass das Oberverwaltungsgericht den Prüfungsmaßstab verkannt haben soll, was im Übrigen nicht zutrifft.

Soweit die Beschwerde, wie bereits die Fragestellung selbst erkennen lässt, die Subsumtion vom Oberverwaltungsgericht festgestellter Sachverhaltselemente unter § 53 Abs. 6 AuslG für klärungsbedürftig hält, führt auch dies nicht auf eine grundsätzliche Rechtsfrage, sondern betrifft den vorliegenden Einzelfall. Ob eine extreme Gefahrenlage für aus Europa zurückkehrende kongolesische Asylbewerber wegen fehlenden oder mangelhaften Immunschutzes gegen eine Malaria-Erkrankung besteht, ist außerdem in erster Linie eine Tatsachen- und keine Rechtsfrage. Dies gilt ebenso für die von der Beschwerde damit verknüpfte Frage, ob eine notwendige medizinische Behandlung in der Demokratischen Republik Kongo tatsächlich erlangbar ist (vgl. dazu Beschluss vom 29. April 2002 - BVerwG 1 B 59. 02 - Buchholz 402. 240 § 53 AuslG Nr. 60; Urteil vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 1 C 1. 02 - <zur Veröffentlichung in Buchholz 402. 240 § 53 AuslG vorgesehen>). Entsprechendes gilt für die weiter angesprochene Erwägung des Berufungsgerichts zu den Folgen einer nicht sofort erkannten Malaria-Erkrankung und einer Obliegenheit der Rückkehrer, auf ihren fehlenden Immunschutz im Falle einer Erkrankung selbst hinzuweisen. Die tatricherliche Prognose einer extremen Gefahrenlage ist im Übrigen unter keinem der genannten Gesichtspunkte aus Rechtsgründen vorgegeben. Wie das Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach betont hat, erfordert die Prognose einer extremen Allgemeingefahr im Einzelfall - wie hier für die Kläger bei einer Rückkehr nach Kinshasa - eine den Tatsachengerichten vorenthaltene wertende Gesamtschau aller Gefährdungsmerkmale im Einzelfall und entzieht sich im Übrigen einer rechtsgrundsätzlichen Klärung (vgl. Beschluss vom 23. März 1999 - BVerwG 9 B 866. 98 - Buchholz 402. 240 § 53 AuslG Nr. 17; Beschluss vom 25. Februar 2000 - BVerwG 9 B 77. 00 - Buchholz 402. 240 § 53 AuslG Nr. 31).

Die weitere als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage, "ob bei einer Sterblichkeitswahrscheinlichkeit von 25 % bei einem sehr hohen Erkrankungsrisiko aufgrund fehlenden Immunschutz und fehlendem Zugang zu medizinischer Behandlung ein Abschiebehindernis gemäß § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG noch verneint werden kann, oder ob bei einem derart quantifizierbaren Risiko nicht von einer Rückkehr "sehenden Auges in den Tod" auszugehen ist", rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung einer Grundsatzrevision.

Die Beschwerde setzt sich auch insoweit weder mit den Gründen des angefochtenen Urteils noch mit der vom Oberverwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung zur Auslegung des § 53 Abs. 6 AuslG auseinander und zeigt demgemäß auch nicht auf, inwiefern in Bezug auf die behauptete Quantifizierbarkeit des Risikos ein erneuter oder weiterer Klärungsbedarf hinsichtlich der in der Rechtsprechung hierzu erarbeiteten Rechtsgrundsätze bestehen soll. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine umfassende Bewertung der gesamten Gefährdungslage im Einzelfall vorzunehmen ist, ohne dabei in eine "mathematische" oder "statistische" Betrachtungsweise zu verfallen (UA S: 10 unter Hinweis auf den Beschluss vom 23. März 1999 - BVerwG 9 B 866. 98 - a. a. O.).

Der ferner behauptete Gehörsverstoß ist nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerde meint insoweit, die "These des Oberverwaltungsgerichts, die finanziellen Mittel für die notwendigen Medikamente <zur Behandlung einer Malaria-Erkrankung im Kongo> könnten aufgebracht werden bzw. würden von Dritten, also wohl von karitativen Organisationen zur Verfügung gestellt", sei "falsch" und " durch die Auskunftslage nicht gedeckt". Die insoweit herangezogene Auskunft der Deutschen Botschaft vom 18. Mai 2001 sage "genau das Gegenteil". Dort heiße es nämlich, dass eine kostenfreie Behandlung gerade nicht gewährleistet sei.

Mit diesem Vortrag greift die Beschwerde in erster Linie die tatrichterliche Beweiswürdigung als fehlerhaft an; damit lässt sich indessen ein Verfahrensmangel regelmäßig - und so auch hier - nicht begründen (vgl. Beschluss vom 02. November 1995 - BVerwG 9 B 710. 94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = DVBI 1996, 108).

Es trifft allerdings zu, dass das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass "die Kosten für die notwendigen Medikamente zur Behandlung einer Malaria-Erkrankung" entweder "aufgebracht werden können" oder "bei einer absoluten Mittellosigkeit von anderen Stellen aus ethischen Gründen zur Verfügung gestellt werden" (UA S. 22). Eine der Auskunftslage - und insbesondere der Auskunft der Deutschen Botschaft vom 18. Mai 2001 - widersprechende Tatsachenfeststellung liegt darin jedoch nicht. Bei seinen Ausführungen setzt sich das Oberverwaltungsgericht mit der Auskunft der Deutschen Botschaft vom 18. Mai 2001 schon deshalb nicht in Widerspruch, weil aus der wiedergegebenen Urteilspassage (UA S. 22) ohne weiteres erkennbar ist, dass das Oberverwaltungsgericht diese Auskunft an dieser Stelle nur zu den Kosten für die notwendigen Medikamente einer Malaria-Erkrankung zitiert. Weder hat das Oberverwaltungsgericht diese Auskunft - wie die Beschwerde mehrfach zu unterstellen scheint - als Beleg für eine (allgemein) kostenlose Abgabe von Medikamenten noch als Beleg dafür angeführt, dass die Behandlungskosten von Rückkehrern aufgebracht werden können oder bei Mittellosigkeit von anderen Stellen aus ethischen Gründen zur Verfügung gestellt werden (vgl. aber die Beschwerdebegründung S. 2 vorletzter Absatz). Die letztere, von der Beschwerde vor allem als falsch bekämpfte Einschätzung zur Erlangbarkeit notwendiger Medikamente auch für Mittellose hat das Gericht mittelbar - unter Bezugnahme auf die oben ebenfalls wiedergegebenen früheren Ausführungen im angefochtenen Urteil (UA S. 18) - auf eine andere Auskunft der Deutschen Botschaft in Kinshasa (vom 24. Oktober 2001) gestützt. Die dem zugrunde liegende tatrichterliche Überzeugungsbildung ist ferner nicht etwa unvereinbar mit dem von der Beschwerde noch angeführten Lagebericht; sie lässt sich im Übrigen noch vertretbar auf die insoweit herangezogene Auskunft vom 24. Oktober 2001 stützen (vgl. dazu auch den gleichzeitig ergehenden Beschluss im Verfahren - BVerwG 1 B 322. 02 -, an dem die Prozessbevollmächtigten der Kläger ebenfalls beteiligt sind).

Eine Rüge hinsichtlich weiterer Aufklärung zur Finanzierbarkeit der notwendigen Behandlung einer Malaria-Erkrankung in der Demokratischen Republik Kongo enthält die Beschwerde nicht; sie teilt auch nicht mit, ob und ggf. wie die Kläger hierauf hingewirkt haben.