VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.05.2003 - A 2 S 711/01 - asyl.net: M3702
https://www.asyl.net/rsdb/M3702
Leitsatz:

Die Sorgerechtsregelung der sunnitischen Gemeinschaft im Libanon nach Trennung der Eltern verletzt nicht den absolut geschützten Kern des Familienlebens; keine extreme allgemeine Gefährdungslage gem. § 53 Abs. 6 AuslG in verfassungskonformer Anwendung für staatenlose Palästinenser, insbesondere auch nicht in den Palästinenserlagern.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Libanon, Folgeantrag, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Prüfungskompetenz, Bundesamt, Scheidung, Sorgerecht, Sunniten, religiöse Gerichtsbarkeit, Familienleben, EMRK, ordre public, Kindeswohl, Hadanah, Wilaya, Frauen, Diskriminierungsverbot, menschenrechtswidrige Behandlung, Drei-Monats-Frist, Staatenlose, Palästinenser, alleinstehende Frauen, alleinerziehende Frauen, Existenzminimum, Versorgungslage, allgemeine Gefahr, extreme Gefahrenlage, UNRWA
Normen: AsylVfG § 24 Abs. 2; AuslG § 53 Abs. 6; AuslG § 53 Abs. 4; EMRK Art. 3; EMRK Art. 8; EMRK Art. 14; VwVfG § 51 Abs. 3; AsylVfG § 71 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Berufung der Klägerinnen hat keinen Erfolg. [...]

1. Auch wenn ein Asylfolgeantrag - wie hier vom Verwaltungsgericht rechtskräftig entschieden - die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht erfüllt (sog. unerheblicher Folgeantrag), ist das Bundesamt - und nicht die Ausländerbehörde - für die Prüfung und Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG zuständig (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77). Dies ergibt sich in erster Linie aus § 5 Abs. 1 S. 2 und § 24 Abs. 2 AsylVfG. Gemäß § 24 Abs. 2 AsylVfG obliegt dem Bundesamt nach Stellung eines Asylantrags auch die Entscheidung, ob Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen. [...]

II. Die Überprüfung des Vorbringens der Klägerinnen im Berufungsverfahren ergibt allerdings, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Im Einzelnen:

1. Der Vortrag der Klägerin Ziff. 1, die von einem religiösen Richter im Libanon im Zusammenhang mit der ausgesprochenen Scheidung getroffene Sorgerechtsregelung zugunsten ihres geschiedenen Ehemanns begründe ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verb. mit Art. 8 EMRK, erfolgte innerhalb der Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG und legt einen Wiederaufgreifensgrund ausreichend substantiiert dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.12.1989, NVwZ 1990, 359; Urteil vom 30.8.1988, Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG a.F. Nr. 8).

Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob die von der Klägerin Ziff. 1 vorgelegten Kopien der angeblichen Scheidungs- und Personenstandsurkunden auf einer echten Urkunde beruhen. Denn unabhängig davon stellt sich die Rechtslage im Libanon so dar, dass in der sunnitischen Gerichtsbarkeit - der sowohl die Klägerin Ziff. 1 als auch ihr (Ex-) Ehemann unstreitig unterfallen - im Falle der Scheidung dem Vater für die Tochter ab dem neunten Lebensjahr und für Söhne ab dem siebten Lebensjahr das Sorgerecht zugesprochen wird (AA vom 22.5.2000 an VG Saarlouis; Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand 15.12.2002, Libanon, S. 32). Die Entscheidung der religiösen Gerichtsbarkeit ist in der multikonfessionellen Gesellschaft Libanons für die staatlichen Stellen auch bindend, da Personenstandsangelegenheiten, wie Heirat, Scheidung, Erb- und Eigentumsfragen, durch die Gerichtsbarkeit der 18 anerkannten Religionsgemeinschaften geregelt werden (AA, Lagebericht vom 6.6.2002, S. 4). Vor diesem Hintergrund steht bei einer Rückkehr in den Libanon für die über neun Jahre alte Klägerin Ziff. 2 und ihren über sieben Jahre alten Bruder das Sorgerecht - unabhängig von der behaupteten Entscheidung des religiösen Richters im Juni 1997 - nicht der Klägerin Ziff. 1, sondern dem Ehemann/Vater zu.

Die Auswirkungen der dargestellten Sorgerechtsregelung im Libanon stellen für die Klägerinnen kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verb. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Schutz vor der Abschiebung in einen Nicht-Vertragsstaat nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verbindung mit der EMRK kommt nicht schon dann in Betracht, wenn der hohe Menschenrechtsstandard, zu dessen Einhaltung sich die Vertragsstaaten und Mitglieder des Europarats verpflichtet haben, im Zielstaat der Abschiebung außerhalb des Konventionsgebiets nicht oder nicht in vollem Umfang gewährleistet erscheint (BVerwG, Urt. v. 24.5. 2000 - 9 C 34.99 -, NVwZ 2000, 1302). Der EGMR hat vielmehr seine Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Auslieferung, Ausweisung oder Abschiebung in einen Nicht-Vertragsstaat bisher nur auf Art. 3 EMRK gestützt, weil das darin enthaltene - ohne Ausnahmen und auch in Notstandsfällen ohne Einschränkungen gewährleistete - absolute Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung "einen der grundlegendsten Werte der demokratischen Gesellschaften bildet, die sich im Europarat zusammengeschlossen haben" (vgl. das Soering-Urteil des EGMR vom 7. Juli 1989, EuGRZ 1989, 315). Dieses Verbot enthalte, wie vergleichbare Regelungen in anderen internationalen Übereinkünften zeigten, den heute international anerkannten "Standard"; dessen Missachtung wäre nicht nur unvereinbar mit den der Konvention zugrunde liegenden Werten, sondern auch "mit dem 'gemeinsamen Erbe an geistigen Gütern, politischen Überlieferungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaft des Gesetzes', auf die sich die Präambel bezieht" (EGMR aaO). [...]

Die Abschiebung eines Ausländers in Nicht-Vertragsstaaten ist jedoch nicht nur unzulässig, wenn ihm dort unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht; ein Abschiebungsverbot kommt auch dann in Betracht, wenn im Einzelfall andere in der EMRK verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (BVerwG, Urt. v. 24.5. 2000, aaO). Die in der Soering-Entscheidung des EGMR vom 7. Juli 1989, aaO, hervorgehobenen, für die demokratischen Mitgliedstaaten des Europarats und der EMRK schlechthin konstituierenden "Grundwerte", zu denen über Art. 3 EMRK hinaus ein Kernbestand weiterer spezieller menschenrechtlicher Garantien der EMRK gehört, verkörpern einen "menschenrechtlichen ordre public" aller Signatarstaaten der EMRK (vgl. Isensee in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band V, 2. Aufl. 2000, § 115, Rn. 99). Dessen Beachtung kann die Abschiebung eines Ausländers in solche Nicht-Vertragsstaaten verbieten, in denen ihm Maßnahmen drohen, die einen äußersten menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreiten. Auch bei Eingriffen in den Kernbereich solcher anderen, speziellen Konventionsgarantien - wie der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK - ist eine Abschiebung allerdings ebenfalls nur in krassen Fällen unzulässig, wenn nämlich die drohenden Beeinträchtigungen von ihrer Schwere her dem vergleichbar sind, was nach der bisherigen Rechtsprechung wegen menschenunwürdiger Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK geführt hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Konventionsrechte einen absolut geschützten Menschenrechtskern aufweisen müssen und dass der absolut geschützte Kern einzelner Menschenrechte regelmäßig enger ist als deren Schutzbereich. Was schon nicht den Tatbestand einer einfachen Konventionsverletzung im Konventionsgebiet erfüllen würde, kann erst recht keinen qualifizierten Eingriff in den von der Konvention absolut geschützten menschenrechtlichen Mindeststandard darstellen. Für die in Art. 9 EMRK geschützte Religionsfreiheit hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass zu dem menschenrechtlichen Mindeststandard, dessen Missachtung in einem Nicht-Vertragsstaat eine Abschiebung dorthin unzulässig machen kann, auch ein unveräußerlicher - nach Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht beschränkbarer - Kern der Religionsfreiheit (sog. forum internum) gehört, der für die personale Würde und Entfaltung eines Menschen unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 24.5.2000, aaO).

Ausgehend von diesen Grundsätzen führt nach Ansicht des Senats die von den Klägerinnen gerügte Sorgerechtsregelung nicht zur Unterschreitung des äußersten menschenrechtlichen Mindeststandards und verletzt damit nicht den Kernbestand des "menschenrechtlichen ordre public" aller Signatarstaaten der EMRK. Dies gilt zunächst in Bezug auf den hier in erster Linie in Betracht kommenden Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK. Die Europäische Kommission für Menschenrechte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben anerkannt, dass die Regelung des Sorgerechts nach dem Scheitern einer Ehe an Art. 8 Abs. 2 EMRK zu messen ist. Dabei verbleibt dem nationalen Gesetzgeber und den Gerichten ein erheblicher Spielraum. Jede Entscheidung, die auf Grund einer genauen Abwägung des Kindeswohls ergeht, wird unter Art. 8 Abs. 2 EMRK zu rechtfertigen sein (Frohwein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., S. 353). In die gleiche Richtung weist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Fällen, in denen es um eine Sorgerechtsentscheidung nach ausländischen Rechtsordnungen auf deutschem Boden geht; danach ist es bei einem Sorgerechtsstreit zwischen ausländischen Ehepartnern, die in Deutschland leben, mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts und damit dem deutschen "ordre public" unvereinbar, wenn ein deutsches Gericht, das auch bei der Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm deutsche Staatsgewalt ausübt, eine Entscheidung zur elterlichen Sorge trifft, die das Kindeswohl nicht konkret berücksichtigt (BGH, Beschluss vom 14.10.1992, BGHZ 120, 29; Beschluss vom 18.6.1970, BGHZ 54, 132). Diese Rechtsprechung, die in Fällen einer ausreichenden Inlandsbeziehung bzw. für konventionsgebundene Staaten entwickelt wurde, kann allerdings nicht unbesehen auf nichtkonventionsgebundene Zielstaaten einer Abschiebung übertragen werden. Es bedarf vielmehr einer zusätzlichen Prüfung, ob der drohende Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK von seiner Schwere her dem vergleichbar ist, was nach der bisherigen Rechtsprechung wegen menschenunwürdiger Behandlung zu einem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK geführt hat. Eine solche Schwere der Rechtsgutsbeeinträchtigung kann indes im vorliegenden Fall nicht angenommen werden. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Auch wenn sich die Regelung des Sorgerechts durch die sunnitische Gemeinschaft im Libanon nicht am konkreten Kindeswohl des jeweiligen Einzelfalls orientiert, kann ihr gleichwohl eine Ausrichtung an einem eher abstrakten Kindeswohl - unter Berücksichtigung der dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse - nicht abgesprochen werden. Bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres, bei Söhnen und bis zur Vollendung des neunten Lebensjahres bei Mädchen steht der Mutter das Recht der "Hadanah" zu, die der Mutter auch nach der Auflösung der Ehe das Recht gibt, ihrem Kind die in seinem kindlichen Alter erforderliche mütterliche Sorge zu geben; es handelt sich dabei um einen Teilausschnitt des Personensorgerechts und betrifft die tatsächliche Sorge. Nach Ablauf der "Hadanah" bekommt der Vater das Kind, vorausgesetzt, er ist zur Ausübung der Sorge in der Lage, sonst behält die Mutter das Kind bei sich. Der Vater ist ferner, ungeachtet seiner finanziellen Lage, der Vormund seiner minderjährigen Kinder beider Geschlechter (sog. "Wilaya"); die Vormundschaft erstreckt sich sowohl auf die Person als auch auf das Vermögen, auch wenn die Kinder noch unter der "Hadanah" der Mutter stehen (vgl. zum Ganzen: Bergmann/Ferid/Henrich, aaO, Libanon, S. 32, 41, 42). Auf der Grundlage der dargestellten Rechtslage ist einmal die unmittelbare Betreuung der Kinder in ihrer frühkindlichen Phase durch die Mutter sichergestellt. Auch findet der Übergang der Kinder von der Mutter auf den Vater und damit das Auswechseln der Bezugsperson erst im fortgeschrittenen Kindesalter statt und steht zudem unter der Bedingung, dass der Vater zur Ausübung der Sorge auch tatsächlich in der Lage ist. Vor dem Hintergrund dieser differenzierten Regelung des Sorgerechts wird nach Auffassung des Senats der menschenrechtliche Mindeststandard jedenfalls nicht unterschritten. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass die dargestellte Regelung des Sorgerechts nicht nur im Libanon, sondern in weiten Teilen der islamischen Welt - in gleicher oder ähnlicher Form - geltendes Recht ist (vgl. z.B. für Ägypten: Bergmann/Ferid/Henrich, aaO, Ägypten, S. 71 bis 74). Angesichts des Standes der Gesetzgebung und der öffentlichen Mei-nung in der gesamten heutigen Kulturwelt - einschließlich der islamischen Staaten - lässt sich mithin die Feststellung nicht treffen, die dargestellte Regelung des Sorgerechts - einschließlich der Bevorzugung des Vaters - sei mit dem heute erreichten Stand der Zivilisation absolut unverträglich. Bei der Prüfung, ob der absolut geschützte Menschenrechtskern in Art. 8 EMRK verletzt ist, müssen zudem auch die bisherigen Lebensumstände und das soziale Umfeld der Klägerin Ziff. 1 und ihres Ehemanns in den Blick genommen werden. Beide sind libanesische Staatsangehörige und im Libanon entsprechend den dortigen Traditionen aufgewachsen. Ferner wirkt sich die getroffene Sorgerechtsentscheidung nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern im Libanon aus, wo die Klägerin Ziff. 1 wieder in die sunnitische Gemeinschaft und das dortige soziale Umfeld eingebunden sein wird. Gleiches gilt für die Klägerin Ziff. 2.

Steht - wie dargestellt - hinter der Regelung des Sorgerechts, wie sie sich in der islamischen Welt darstellt, die Erwartung, dass die gesetzliche Zuordnung der elterlichen Gewalt in der Regel dem Kindeswohl - abstraktes Kindeswohl - entsprechen wird, scheidet eine Verletzung von Art. 3 EMRK ebenfalls aus. Die Sorgerechtsregelung stellt weder für die Klägerin Ziff. 1 noch für die Klägerin Ziff. 2 eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar; die von ihnen geltend gemachte "Schlechtbehandlung" erreicht jedenfalls nicht die "Schwere", um eine Verletzung des Schutzbereichs von Art. 3 EMRK zu rechtfertigen.

Die dargestellte Sorgerechtsregelung einschließlich der damit verbundenen diskriminierenden Wirkung für die Frau begründet für die Klägerin Ziff. 1 ebenfalls kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG in Verb. mit Art. 14 EMRK. Das in Art. 14 EMRK enthaltene Diskriminierungsverbot - hier bezogen auf das Geschlecht - stellt typischerweise ein inlandsbezogenes Recht dar. Auch hier gilt, dass die EMRK über § 53 Abs. 4 AuslG nicht weltweit den hohen konventionsinternen materiellen Standard garantiert und die Rechtsordnungen der Zielstaaten sich nicht durchgehend an diesem Schutzniveau messen lassen müssen. In Ansehung von Art. 14 EMRK kommt ein Abschiebungsverbot nur bei einer diskriminierenden Behandlung in Betracht, die nach Art und Ausmaß als besonders krasse Verletzung von Menschenrechten zu bewerten ist. Auf der Grundlage der sozialen und religiösen Traditionen im Heimatland der Klägerin Ziff. 1 kann jedenfalls eine solche Schwere der Beeinträchtigung ausgeschlossen werden.

2. Der weitere Vortrag der Klägerinnen, über die dargestellte Sorgerechtsregelung hinaus drohe ihnen im Libanon eine vollständige Trennung auf Dauer ohne Umgangsrecht und damit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK, genügt bereits nicht den Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag im Folgeverfahren. Zur erforderlichen Schlüssigkeit führt allein ein substantiierter und widerspruchsfreier Vortrag von Tatsachen, mithin von konkreten Umständen. Dies setzt ein Mindestmaß an Klarheit, Überschaubarkeit und Verständlichkeit voraus, was ohne eine gewisse Strukturierung und inhaltliche Aufbereitung des Vorbringens nicht gelingen kann (vgl. GK-AsylVfG, § 71 Rdnr. 82.1). Daran fehlt es hier, weil dem Vortrag der Klägerinnen kein konkreter Sachverhalt bzw. keine konkreten Umstände zu entnehmen sind, aus denen sich ihre Befürchtung, sie würden im Libanon auf Dauer ohne Umgangsrecht getrennt, ableiten ließe. Es werden insbesondere keine Angaben dazu gemacht, welche in der Person des Ehemanns/Vaters liegenden Umstände bzw. Besonderheiten die behauptete Befürchtung rechtfertigen könnten. Allein der pauschale Vortrag, der Ehemann habe der Klägerin Ziff. 1 mehrfach eröffnet, er werde ihr die Kinder wegnehmen, reicht für eine Substantiierung nicht aus. Mit diesem Vorbringen wird zwar das Einfordern des Sorgerechts durch den Vater untermauert, aber nicht das befürchtete vollständige Kontaktverbot zwischen der Mutter und den Kindern. [...]

4. Schließlich haben die Klägerinnen keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf den sinngemäßen Vortrag, die Klägerin Ziff. 1 sei als staatenlose Palästinenserin und alleinstehende Frau mit zwei Kindern im Libanon nicht in der Lage, das Existenzminimum zu erwirtschaften. Vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Feststellung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im ersten Asylverfahren, die Lebensumstände im Libanon begründeten kein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG, wurde im vorliegenden Asylfolgeverfahren im Sinne eines Wiederaufgreifensgrundes nach § 51 Abs. 1 VwVfG in erster Linie auf die Staatenlosigkeit der Klägerin Ziff. 1 und den Umstand abgestellt, dass sie inzwischen als alleinstehende Frau für die Kinder zu sorgen habe. Letzterem Gesichtspunkt steht bereits nach eigenem Vortrag der Klägerin Ziff. 1 - sie lebe von ihrem Ehemann seit fünf Monaten dauernd getrennt - die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen. [...]

Ausgehend von der geltend gemachten fehlenden Existenzgrundlage im Libanon haben die Klägerinnen im Hinblick auf eine etwa drohende Verletzung elementarer Menschenrechte ebenfalls keinen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung im Sinne der §§ 51 Abs. 5, 49 VwVfG. Auch insoweit sind die Klägerinnen nicht nach § 53 Abs. 6 AuslG vor Abschiebung geschützt.

Zunächst scheidet im Hinblick auf die geltend gemachten existenzbedrohenden Verhältnisse im Libanon ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG aus. Individuelle Gefährdungen für Leib, Leben oder Freiheit eines Ausländers, die sich aus einer allgemeinen Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG ergeben, können selbst dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG berücksichtigt werden, wenn sie "auch" durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77; BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, aaO). [...]

Angesichts der dargestellten eindeutigen Gesetzeslage kommt eine einschränkende Auslegung des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG nur insoweit in Betracht, als es um die Gewährung des nach Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unabdingbar gebotenen Abschiebungsschutzes geht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dieser Fall ausnahmsweise beim Vorliegen einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahrenlage gegeben, bei der der einzelne Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit im Falle seiner Abschiebung in deren unmittelbarem Zusammenhang "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würde (BVerwG, Urteil vom 12.7.2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1; Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249; Urteil vom 17.10.1005, aaO). [...]

Ausgehend hiervon fehlt jede Grundlage für eine den Klägerinnen drohende Extremgefahr im dargestellten Sinne. Dies gilt auch, wenn man unterstellt, die Klägerinnen müssten - wie behauptet - bei einer Rückkehr in den Libanon ihren Wohnsitz in einem der 12 über den ganzen Libanon verstreuten Palästinenserlagern nehmen (vgl. dazu AA, Lagebericht vom 6.6.2002, S. 16, 17, 22). Zwar bestehen für Palästinenser im Libanon im Allgemeinen äußerst schlechte Lebensbedingungen, zumal sie am wirtschaftlichen Aufbau des Landes nicht teilnehmen. Die meisten bürgerlichen Berufe sind ihnen verschlossen, viele Palästinenser sind sozial und ökonomisch ausgegrenzt und deshalb auf fremde Unterstützung angewiesen (vgl. dazu AA, Lageberichte vom 6.6.2002, 27.6.2001 und 7.4.2000; ai vom 10.3.1999 an VG Stuttgart; DOI vom 5.11.2002 an VG Kassel). Dennoch wird das wirtschaftliche Existenzminimum in den 12 Palästinenserlagern durch Hilfsprogramme der Sozialdienste des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA) gewährleistet. Die Hilfe schließt generell die tägliche Versorgung sowie medizinische und schulische Dienstleistungen ein; auch wird innerhalb eines Flüchtlingslagers - wenn notwendig - eine Unterkunft mit Strom und Wasserversorgung seitens der UNRWA zur Verfügung gestellt (vgl. dazu AA, Lageberichte vom 6.6.2002, 27.6.2001 und 7.4.2000; AA vom 20.7.1999 an VG Sigmaringen und vom 6.3.1998 ebenfalls an VG Sigmaringen; DOI vom 5.11.2002 an VG Kassel und vom 30.4.1999 an VG Saarlouis; Dänische Einwanderungsbehörde, Bericht über Untersuchungsmission vom 1. bis zum 18.5.1998, Juni 1998). Vor dem Hintergrund der zitierten Stellungnahmen stellt sich die Situation für die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon so dar, dass - ungeachtet der trostlosen wirtschaftlichen Verhältnisse - existenznotwendige Leistungen, d.h. Nahrungshilfe, Unterkunft und kostenlose medizinische Betreuung, von den Sozialdiensten des Palästinenserhilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA) sichergestellt werden; dagegen ergibt sich aus keiner der dem Gericht vorliegenden Stellungnahmen das Fehlen des Existenzminimums in Bezug auf diese Grundbedürfnisse. [...]