OVG Berlin

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Zitieren als:
OVG Berlin, Urteil vom 31.01.2003 - OVG 3 B 4.02 - asyl.net: M4200
https://www.asyl.net/rsdb/M4200
Leitsatz:

Eine außergewöhnliche Härte i.S.d. § 22 S. 1 AuslG ist nicht bereits dann in jedem Fall zu bejahen, wenn der Vormund oder sonstige Sorgeberechtigte des Familienangehörigen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls; die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis zur Familienzusammenführung ist auf zwingend gebotene Fälle beschränkt; bestätigt die Auslandsvertretung nach Remonstration des Betroffenen die Ablehnung eines Visumsbescheides, ist der Betroffene nur noch durch den Remonstrationsbescheid, nicht mehr durch die ursprüngliche Ablehnung beschwert.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Mazedonier, Minderjährige, Sonstige Familienangehörige, Aufenthaltserlaubnis, Visum, Familienzusammenführung, Großeltern, Vormundschaft, Außergewöhnliche Härte, Schutz von Ehe und Familie, Aufenthaltsbefugnis, Dringende humanitäre Gründe, Klage, Beklagter, Passivlegitimation, Auswärtiges Amt, Auslandsvertretung, Zulässigkeit, Remonstrationsbescheid, Beschwer
Normen: AuslG § 22 S. 1; AuslG § 17 Abs. 2; AuslG § 30 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Bescheid der Deutschen Botschaft in Skopje vom 8. Juni 2000 richtet. Durch diesen Bescheid sind die Kläger nicht (mehr) beschwert. Denn die Botschaft hat auf den hiergegen von den Klägern erhobenen außerrechtlichen Rechtsbehelf der Remonstration die Visumsanträge erneut geprüft und nach dem Ergebnis dieser Prüfung einen neuen, nunmehr mit Rechtsmittelbelehrung versehenen, Bescheid erlassen. Durch diesen Zweitbescheid hat sie zu erkennen gegeben, dass allein maßgebliche Entscheidung über die Visumsanträge der Remonstrationsbescheid sein soll. Dieses (Remonstrations-)Verfahren entspricht der gerichtsbekannten ständigen Übung der Auslandsvertretungen der Beklagten. Auf diesem Wege erhalten die erfolglos gebliebenen Visumsbewerber, denen nach § 66 Abs. 2 AuslG die Gründe für die Versagung nicht mitgeteilt werden müssen, Informationen über die für die Antragsablehnung maßgeblichen Erwägungen. Da dies auf der Grundlage einer erneuten Prüfung unter Einbeziehung der mit der Remonstration vorgetragenen Gründe geschieht, tritt insoweit der Remonstrationsbescheid an die Stelle des ursprünglichen Ablehnungsbescheides. Letzterer entfaltet damit keine den Ausländer belastenden Wirkungen mehr.

Den Klägern steht ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Visa zum Zwecke des Familiennachzuges zu ihren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Großeltern nach § 22 Satz 1 AuslG nicht zu. Nach dieser Vorschrift kann einem "sonstigen Familienangehörigen" - um einen solchen handelt es sich im Verhältnis von Enkeln zu ihren Großeltern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. April 1997, InfAuslR 1997, 351) - nach Maßgabe des § 17 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist.

Im Unterschied zu § 16 Abs. 2 Satz 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG dient

§ 22 AuslG der Vermeidung nicht nur einer besonderen, sondern einer außergewöhnlichen Härte. Die mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten für den Erhalt der Familiengemeinschaft müssen folglich nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass im Hinblick auf den Zweck der Nachzugsvorschriften, die Herstellung und Wahrung der Familieneinheit zu schützen, die Ablehnung der Erlaubnis schlechthin unvertretbar erscheint (BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1997, a.a.O.; OVG Berlin, Beschluss,vom 16. Mai 2002, a.a.O.; Hailbronner, a.a.O.) Das setzt grundsätzlich voraus, dass der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende Familienangehörige allein ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung von familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und dass diese Hilfe zumutbarerweise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1989, NJW 1990 , 895; Beschluss vom 1. August 1996, NVwZ 1997, 479; BVerwG, a.a.O.; OVG Berlin, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29. März 1997, InfAuslR 1997 24, 28).

Für die Beurteilung, ob eine außergewöhnliche Härte vorliegt, ist im Rahmen der von den Klägern erhobenen Verpflichtungsklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung abzustellen (OVG Münster, Urteil vom 24. Februar 19999, a.a.O. 345; Welte, a.a.O, Rdnr. 14; so im Grundsatz auch Igstadt in GK-AuslR, Stand Juni 2000, RdNr. 66 zu § 22 AuslG).

Eine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 22 Satz 1 AuslG ist nicht bereits dann gewissermaßen automatisch zu bejahen, wenn der Vormund oder sonstige Sorgeberechtigte des Familienangehörigen sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Zwar ist, wie das angefochtene Urteil unter Hinweis auf eine Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschluss vom 26. März 1998, InfAuslR 1998, 438, 439) zutreffend ausführt, eine ausländische Sorgerechtsentscheidung über die bloße Tatsache ihrer Existenz auch für die Ausländerbehörden verbindlich, sofern sie nich gegen den ordre public verstößt (§ 16 a Nr. 4 FGG; Artikel 16 des Minderjährigenschutzabkommens). § 22 Satz 1 AuslG stellt jedoch nicht auf das Vorliegen von Sorgerechtsentscheidungen bzw. auf den Wohnsitz des Sorgeberechtigten ab. Zwar mag in dem Fall minderjähriger Kinder, deren Eltern nachweislich auf Dauer nicht mehr in der Lage sind, die Personensorge auszuüben und für die ein sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhaltender Verwandter zum Vormund bestellt ist, eine außergewöhnliche Härte in Betracht kommen (vgl. Igstadt, a.a.O., RdNr. 76 zu § 22 AuslG; Welte, a.a.O, Stand November 2001, RdNr. 21 a zu § 22 AuslG), doch gebietet auch ein soIcher Sachverhalt die Anwendung des § 22 Satz 1 AuslG nicht zwingend. Die Beurteilung, ob eine außergewöhnliche Härte vorliegt, entzieht sich der schematischen Betrachtungsweise. Maßgebend sind vielmehr immer die besonderen Umstände des Einzelfalles (so auch Welte, a.a.O., RdNr. 16 zu § 22 AuslG).

Eine außergewöhnliche Härte vermag der Senat im Falle der Kläger nicht anzunehmen.

Dabei kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Entscheidungen des Amtsgerichtes (...) und des Sozialamtes (...) rechtskräftig sind, inhaltlich zutreffen und auch im Einklang mit den einschlägigen mazedonischen Vorschriften erlassen worden sind. Der Senat geht dennoch nicht davon aus, dass die erforderliche begleitende, anleitende und Werte vermittelnde Betreuung und Erziehung der Kläger sowie ihre Versorgung mit Wohnraum, Nahrungsmitteln und Kleidung nur durch die Großeltern und nur in der Bundesrepublik Deutschland erbracht werden kann.

Die Kläger sind mittlerweile über (...) Jahre alt, so dass die tägliche Betreuung für sie typischerweise nicht mehr das gleiche Gewicht hat wie für jüngere Kinder (vgl. zu diesem Aspekt BVerwG, Urteil vom 18. Nov mber 1997, a.a.O.). Ihre Großmutter hält sich etwa fünf Monate im Jah in Bogovinje auf und kümmert sich während dieser Zeit um sie. Auch ihr Vormund ist, nachdem er nicht mehr berufstätig ist, jederzeit in der Lage, die Kläger in ihrem Heimatland aufzusuchen. In den Zeiten, in denen ihre GroßeItern nicht anwesend sind, werden sie von ihrem - wenn auch entfernteren - Verwandten, der im Nachbarhause wohnt und den die Kläge als "Onkel" ansehen, sowie dessen Familie versorgt. Dass ihre gedeihliche Entwicklung gleichwohl gefährdet wäre, ist nicht ersichtlich und insbesondere durch die unsubstanziierte Behauptung, ihre Verwahrlosung drohe, nicht dargetan. Dem steht der Umstand entgegen, dass sie trotz ihrer - bereits seit dem Jahre (...) bestehenden - schwierigen familiären Situation gute schulische Leistungen erbringen, wie sie selbst gegenüber der Deutschen Botschaft in Skopje im April 2001 angegeben haben. Dass xxx zu einer weiteren Betreuung der Kläger nicht mehr willens und in der Lage wäre, vermag der Senat allein aufgrund der erstmals in der Berufungsverhandlung geäußerten dahingehenden Behauptung nicht anzunehmen. Diese Behauptung widerspricht auch der in dem Kulturkreis der Kläger üblichen und in ihrem Fall seit dem Jahre (...) praktizierten Beistandsgemeinschaft in der Großfamilie; im Übrigen können, wie bereits erwähnt, Erziehungs- und Unterstützungsbeiträge im Heimatland der Kläger nunmehr auch durch ihren Vormund persönlich erbracht werden.

Der Senat kann weiter auch im Hinblick darauf, dass noch mehrere Verwandte aus der Familie ihrer Mutter, nämlich ihre Großmutter so zwei Tanten - und ein Onkel, in Mazedonien leben, nicht erkennen, dass die Kläger zwingend auf die Erbringung von Lebenshilfe in der Bundesrepublik Deutschland - angewiesen sind. Dass diese Verwandten, bei denen sie auch vor den - ohne nähere Angaben - behaupteten Aggressionen ihrer Eltern geschützt wären, zur Betreuung der Kläger nicht in der Lage sind, haben die Kläger nicht über zeugend dargelegt.

Da somit schon keine außergewöhnliche Härte vorliegt, kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 AuslG gegeben sind, insbesondere, ob der Lebensunterhalt der Kläger in Deutschland gesichert wäre.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Erteilung einer - insoweit allein noch in Betracht zu ziehenden - Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 1 AuslG in der Form des Sichtvermerkes.

Zwar kommt der Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 1 AuslG insbesondere für Fälle dringender humanitärer Gründe eine Funktion zu, die einer Härteklausel vergleichbar ist, doch hat sie gegenüber der Aufenthaltserlaubnis nur subsidiären Charakter. Zutreffend führt das Oberverwaltungsgericht Münster in dem bereits mehrfach erwähnten Urteil vom 24. Februar 1999 (a.a.O., S. 349), aus, durch § 30 bs. 1 AuslG dürften anderweitige spezialgesetzliche Regelungen nicht in dem Sinne unterlaufen werden, subsidiäre Aufenthaltsrechte verfügbar zu haIten, wenn die speziellen gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht gegeben sind. Danach könne die Aufenthaltsbefugnis in den Fällen, in denen es um den Daueraufenthalt zum Zwecke des Familiennachzuges gehe, nicht als allgemeine Auffangnorm herangezogen werden, wenn die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an einer der in §§ 17 ff. AuslG normierten Voraussetzungen scheitere. Vielmehr beschränke sich die Anwendbarkeit von § 30 AuslG in diesen Fällen darauf, dass die Gewährung eines Aufenthaltsrechtes aus verfassungsrechtlichen Gründen trotz des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zwingend geboten ist. Nur dann komme der Aufenthaltsbefugnis eine Ausgleichsfunktion im Einzelfall zu. Diesen Ausführungen, die im Übrigen auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes stehen (vgl. etwa Urteil vom 4. Juni 1997, DVBI. 1997, 394 ff.), schließt sich der Senat an. Danach scheidet die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis an die Kläger aus, denn ihr Aufenthalt im Bundesgebiet ist nicht zur Schutzgewährung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG zwingend geboten, wie sich aus den Ausführungen zur außergewöhnlichen Härte ergibt.