VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Urteil vom 15.05.2003 - 12 N 02.2189 - asyl.net: M4227
https://www.asyl.net/rsdb/M4227
Leitsatz:

Zur Rechtmäßigkeit der Pauschalierung im Rahmen eines Modellversuches bei der Leistungsgewährung nach dem BSHG. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Sozialhilfe, Hilfe zum Lebensunterhalt, Einmalige Leistungen, Pauschalierung, Ausführungsbestimmungen, Rechtsnorm, Allgemeine Verwaltungsvorschriften, Normenkontrollverfahren, Gesetzesvorbehalt, Bedarfsdeckungsgrundsatz, Härtefallregelung, Bestimmtheitsgebot
Normen: VwGO § 47 Abs. 1 Nr. 2; BSHG § 101a; BSHG § 21 Abs. 1
Auszüge:

Der zulässige Normenkontrollantrag ist nicht begründet.

Der Normenkontrollantrag ist statthaft und auch im übrigen zulässig.

Nach § 47 Abs. 1 Nr.2 VwGO entscheidet der Verwaltungsgerichtshof über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften sofern das Landesrecht das bestimmt. Eine solche Regelung hat der Landesgesetzgeber in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO - in der Fassung des § 5 des Gesetzes vom 27.12.1999 (GVBl S. 542) - getroffen. Da hiernach die Normenkontrolle nur gegen Rechtsvorschriften im Range unter dem Landesgesetz statthaft ist, setzt die Zulässigkeit des vorliegenden Antrags voraus, dass es sich bei den von der Vollversammlung des Stadtrats der Antragsgegnerin beschlossenen Ausführungsbestimmungen zur Ausgestaltung des Modellversuchs zur Pauschalierung der Hilfe zum Lebensunterhalt um eine Rechtsvorschrift im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO handelt. Das ist zu bejahen.

Allerdings hat die Antragsgegnerin die angegriffenen Ausführungsbestimmungen nicht in der für derartige Rechtsvorschriften wie Rechtsverordnungen oder Satzungen vorgesehenen Form der Verkündung im Amtsblatt erlassen; sie wurden lediglich in der Vollversammlung des Stadtrats beschlossen. Das schließt aber ihren Rechtsnormcharakter nicht aus. Nach ihrem Inhalt enthalten sie wie ein förmlich erlassenes Gesetz (oder eine Rechtsverordnung) generell-abstrakte Regelungen mit rechtlicher Außenwirkung für den Bürger (vgl. dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 24). Damit unterliegen sie einer Überprüfung im Verfahren nach § 47 VwGO.

Der Antrag ist nicht begründet. Die angegriffenen Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.

Die Ausführungsbestimmungen sind im Hinblick auf ihr Zustandekommen nicht mangelhaft; sie konnten insbesondere in der Form allgemeiner Verwaltungsvorschriften erlassen werden.

Das Bundessozialhilfegesetz sieht in der Experimentierklausel des § 101 a BSHG ausdrücklich vor, dass zur Weiterentwicklung der Sozialhilfe die Pauschalierung weiterer Leistungen nach diesem Gesetz (also auch die Pauschalierung einmaliger Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt) im Rahmen der Sätze 2 bis 6 der Vorschrift erprobt werden soll (§ 101 a Satz 1 BSHG). Zu diesem Zweck können die Landesregierungen die Träger der Sozialhilfe durch Rechtsverordnung ermächtigen, in Modellvorhaben solche Leistungen der Sozialhilfe pauschaliert zu erbringen, für die Beträge nicht schon durch dieses Gesetz oder auf Grund dieses Gesetzes festzusetzen sind (§ 101 a Satz 2 BSHG). Auf Grund des § 101 a BSHG hat die Bayerische Staatsregierung die Verordnung zur Durchführung von Modellvorhaben zur Pauschalierung der Sozialhilfe vom 10. Januar 2000 - PauschVO - (GVBI S. 21) erlassen. In dieser Verordnung ist gemäß § 101 a Satz 6 BSHG Näheres über Dauer und Ausgestaltung der Modellvorhaben, über die Bemessung der Pauschalbeträge für Einzelne oder für Haushalte im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG, über die Voraussetzungen für die Teilnahme von Hilfeberechtigten und über die Auswertung der Modellvorhaben festgelegt. § 1 Abs. 1 PauschVO ermächtigt die Träger der Sozialhilfe, in Modellvorhaben die Pauschalierung von Sozialhilfeleistungen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich der Kosten der Unterkunft und im Rahmen der Hilfe in besonderen Lebenslagen zu erproben, soweit das Bundessozialhilfegesetz solche Pauschalierungen nicht bereits vorsieht oder enthält.

Vorweg sei festgehalten, dass die Ermächtigung des § 101 a BSHG mit dem aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip abgeleiteten und auch im Recht der sozialen Leistungen geltenden Grundsatz vereinbar ist, wonach in grundrechtsrelevanten Bereichen die wesentlichen Entscheidungen durch den Gesetzgeber selbst zu treffen sind und nicht der Verwaltung überlassen werden dürfen (sog. Gesetzesvorbehalt, vgl. dazu BVerfG vom 9.5.1972 BVerfGE 33,125/158 f).

Ebensowenig ist zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Pauschalierung der einmaligen Leistungen nicht durch förmlich verkündete Norm geregelt hat.

Einmalige Leistungspauschalen für den Lebensunterhalt dürfen auch außerhalb des Katalogs des § 21 Abs. 1 a BSHG durch Rechtsverordnung der Länder aufgrund von § 101 a Satz 2 und 6 BSHG, hier durch die Verordnung der Bayerischen Staatsregierung, vorgesehen werden.

Schließlich ist die Antragsgegnerin auch dem Beteiligungserfordernis nach § 114 Abs. 1 BSHG gerecht geworden. Vor der Beschlussfassung in der Vollversammlung hat der Sozialhilfeausschuss wiederholt über die Ausführungsbestimmungen beraten und diese sodann der Vollversammlung zur Beschlussfassung vorgelegt.

Auch der Inhalt der angegriffenen Ausführungsbestimmungen ist nicht zu beanstanden.

Der im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach § 47 VwGO zugrunde zu legende Kontrollmaßstab geht grundsätzlich auf eine Vollprüfung der Pauschalierungsvorschrift. Die materielle Inhaltskontrolle erstreckt sich dabei insbesondere auf die Prüfung, ob die Antragsgegnerin die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Kriterien der Zulässigkeit von Pauschalierung, Generalisierung und Typisierung beachtet hat. Die pauschalierten Leistungen müssen so bemessen sein, dass sie den typischer Weise auftretenden Bedarf decken. Für die Bemessung der Leistungen bedeutet das, dass die für die Bemessung der Regelsätze geltenden Regeln zu beachten sind.

Die Ausführungsbestimmungen werden dem Grundsatz der Bedarfsdeckung, einem "Strukturprinzip" der Sozialhilfe, gerecht. § 101 a Satz 3 BSHG und § 3 Abs. 1 Satz 4 PauschVO bestimmen ausdrücklich, dass die Pauschalbeträge dem Grundsatz der Bedarfsdeckung gerecht werden müssen. Das bedeutet, dass auch im Falle der Pauschalierung von einmaligen Leistungen ausdrücklich am Bedarfsdeckungsprinzip festgehalten wird. Die Pauschalbeträge müssen ausreichen, um in Durchschnittsfällen den jeweiligen sozialhilferechtlich berücksichtigungsfähigen Bedarf zu decken, ohne im einzelnen Fall Leistungen bei Bedarf in Sondersituationen auszuschließen (vgl. Dauber, a.a.O., RdNr.6 zu § 101 a).

Ist eine objektiv atypische Lebenssituation gegeben, ist das über eine Regulierung der Pauschale zu berücksichtigen, z.B. bei Sondergrößen bei Bekleidung, Verlust von Hausrat, Wohnungsbrand oder Wasserschäden, krankheits- oder behinderungsbedingte Sonderausstattung (Dauber, a.a.O., RdNr. 29 zu § 101 a; Armborst, a.a.O., RdNr. 7 zu § 101 a). Hierfür sehen die Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin in Nummer 11 Härtefallregelungen vor (vgl. auch Nr. 6.1, AHB- Info 22/2002, Nr. 6, AHB-lnfo 43/2002).

Im Regelfall wird dem Grundsatz, dass der Bedarf zeitnah zu decken ist, allerdings nur eingeschränkt Rechnung getragen. Die Antragsgegnerin hat in den Ausführungsbestimmungen nicht nur eine Gesamtpauschale für mehrere Bedarfe festgesetzt, was nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PauschVO zulässig ist, sondern sie gewährt die Pauschalbeträge als Monatsbeträge.

Ansparpauschalen - auch wenn sie auf einen bestimmten Bedarfsgegenstand bezogen sind durchbrechen den Bedarfsdeckungsgrundsatz in der Gestalt des Gegenwärtigkeits- und des Faktizitätsprinzips. Diese inhaltliche Änderung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes ist nicht nur in § 3 Abs. 1 Satz 2 PauschVO vorgesehen, sondern auch vom Gesetzgeber selbst gewollt. § 101 a Satz 6 Halbsatz 2 BSHG sieht vor, dass die von den Landesregierungen nach Satz 2 der Vorschrift zu erlassenden Rechtsverordnungen für die jeweiligen Teilnehmer der Modellvorhaben die Vermögensgrenzen nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG in Verbindung mit der dazu ergangenen Rechtsverordnung von bis zu 80 vom Hundert erhöhen können. Von dieser Ermächtigung hat die Bayerische Staatsregierung in § 7 PauschVO Gebrauch gemacht. Nach Satz 2 der Vorschrift können die Sozialhilfeträger eine Staffelung nach dem Ausmaß und der bisherigen Dauer der Pauschalierung im Einzelfall vornehmen. Dieser auch in den angegriffenen Ausführungsbestimmungen vorgesehenen Erhöhung der Vermögensgrenzen liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Pauschalierung auch das Ansparen von Beträgen für größere Ausgaben wie z.B. für eine Wohnungsrenovierung zulassen muss, was bei ihrer gleichzeitigen Anrechnung auf die Leistungen nicht möglich wäre (so BT- Drs 14/820, S.8, Bericht der Abgeordneten Dr. Thea Dückert). Der Gesetzgeber wollte somit selbst eine Einschränkung des strikten Gegenwärtigkeitsprinzips, um damit neben größerer Dispositionsfreiheit und Selbstständigkeit bei den Hilfeempfängern auch erhebliche Vereinfachungen und dadurch Einsparungen bei der Verwaltung zu ermöglichen, weil mit den im Bundessozialhilfegesetz bereits verankerten Pauschalen, wie den Regelsätzen, Mehrbedarfszuschlägen, dem Pflegegeld oder den Pflegesätzen in Einrichtungen solche Erfahrungen in langjähriger Praxis. gemacht wurden (vgl. BT -Drs. 14/820 S. 7). Damit wird dem Ziel des Gesetzes Rechnung getragen, wonach die Sozialhilfe nicht nur dem besonderen Bedarf des einzelnen Hilfeempfängers zu entsprechen hat, sondern ihn auch zur Selbsthilfe befähigt, die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht und die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichert (§ 9 SGB I; § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG). Dem trägt die Gewährung der Pauschalbeträge als Monatsbeträge Rechnung, weil durch das "Ansparmodell" die Eigenverantwortlichkeit gestärkt, die Selbsthilfekräfte angeregt und die Abhängigkeit von Einzelfallentscheidungen des Trägers der Sozialhilfe gemindert werden. Andererseits ist aber auch gesichert, dass der notwendige Bedarf der von den Ausführungsbestimmungen erfassten Hilfeempfänger tatsächlich in vollem Umfang befriedigt werden kann auch wenn der Hilfeempfänger noch keine bedarfsdeckenden Beträge ansparen konnte oder wollte. Denn zum einen sind nach der bereits genannten Härteregelung der Ausführungsbestimmungen individuelle Leistungen bei unerwartet auftretendem unabweisbarem Bedarf auch dann möglich, wenn für den gleichen Zweck bereits Pauschalen geleistet wurden. Zum anderen sieht bereits § 4 Satz 2 PauschVO vor, ausnahmsweise Vorausleistungen auf die Pauschale zu gewähren und mit dieser entsprechend § 25 a Abs. 1 BSHG aufzurechnen, wenn die Pauschale zur Deckung eines nachgewiesenen und unaufschiebbaren Bedarfs nicht ausreicht.

Die Ausführungsbestimmungen entsprechen dem Bestimmtheitsgrundsatz.

Nach § 101 a Satz 3 BSHG sind die Pauschalbeträge für "einen bestimmten Bedarf" festzusetzen. § 3 Satz 3 PauschVO bestimmt, dass die durch einen Pauschalbetrag gedeckten Bedarfe beschrieben und von den Bedarfen, die damit nicht gedeckt werden sollen, abgegrenzt sein müssen. Diesen Anforderungen werden die Ausführungsbestimmungen gerecht. Die von der Antragsgegnerin monatlich ausgezahlte Pauschale stellt sich nur rechnerisch nicht jedoch strukturell als Gesamtpauschale dar, weil die bestimmten Bedarfe sehr wohl voneinander abgegrenzt sind im Sinne von § 101 a BSHG i. V. mit § 3 Abs. 1 Satz 1 PauschVO. Die Pauschale setzt sich aus dem Bedarf für Bekleidung, Wohnen und Schule zusammen (Nr.5 der Ausführungsbestimmungen; vgl. auch Nr.4 AHB-lnfo 43/2002). In jeder Kategorie wurden die konkreten Preise für die einzelnen, sozialhilfe rechtlich anerkannten Gegenstände ermittelt und durch die Gebrauchsdauer (Anzahl der Monate) geteilt. Die sich dabei errechnenden Beträge wurden in jeder Kategorie addiert und dann wiederum die Ergebnisse der einzelnen Kategorien in einer Summe zusammengefasst (vgl. Nr. 5 des Beschlusses vom 13.6.2002; Nr. 5 der Anlage zum Beschluss vom 29.11.2001). Das ist im Rahmen des § 101 a BSHG erlaubt und stellt keine Gesamtpauschale dar.

Auch die in den Ausführungsbestimmungen festgesetzte Höhe der monatlich gewährten Pauschalen ist nicht zu beanstanden; sie entspricht, berücksichtigt man die Härteregelung und § 4 Satz 2 PauschVO, dem Gebot, dem Empfänger der Hilfe ein Leben zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG).

Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers sind die Ausführungsbestimmungen der Antragsgegnerin nicht deshalb nichtig, weil die von ihnen erfassten Hilfeempfänger, wie u.a. der Antragsteller, zwangsweise zu dem Modellvorhaben herangezogen werden. Der Antragsteller übersieht, dass seine "Zwangsteilnahme" mit den gesetzlichen Vorgaben vereinbar ist und letztlich auf diesen beruht. Gemäß § 101 a Satz 6 BSHG i. V .mit § 2 Abs. 1 PauschVO können grundsätzlich alle Hilfeempfänger in die Pauschalierung einbezogen werden. Der Träger der Sozialhilfe legt für die Durchführung der Erprobung den Personenkreis unter Berücksichtigung der Ziele des § 1 Abs. 2 PauschVO und unter dem Gesichtspunkt der Geeignetheit fest und bestimmt die Voraussetzungen, unter denen dem festgelegten Personenkreis pauschalierte Leistungen gewährt werden. Diese Regelungen sind, ohne dass es einer weiteren Begründung bedarf, mit höherrangigem Recht vereinbar.