OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 01.08.2003 - A 4 B 863/02 - asyl.net: M4231
https://www.asyl.net/rsdb/M4231
Leitsatz:

Keine Gruppenverfolgung der Kurden oder der Yeziden in Syrien; beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit wegen exilpolitischer Betätigung nur bei herausragender Betätigung, durch die sich das Regime in seinem Bestand bedroht fühlt.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Kurden, Jesiden, Familienangehörige, Schwester, Entführung, Blutrache, Verfolgung durch Dritte, Mittelbare Verfolgung, Schutzbereitschaft, Glaubwürdigkeit, Religiös motivierte Verfolgung, Gruppenverfolgung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Yekiti, Demonstrationen, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AuslG § 53 Abs. 4
Auszüge:

Die Berufung des Klägers, die auf das in dem Bescheid des Bundesamtes vom 3.2.1998 allein festgestellte Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG beschränkt ist, hat Erfolg.

Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf diese Feststellung.

Soweit der Beigeladene im Hinblick auf sein persönliches Schicksal vor der Ausreise aus seinem Heimatland im Wesentlichen vorgetagen hat, er befürchte im Falle seiner Rückkehr nach Syrien von Angehörigen der Familie erschossen zu werden, die seine Schwester entführt haben, beruft er sich damit nicht auf Maßnahmen, die vom Heimatstaat ausgehen oder die dieser zu verantworten hätte. Auch kann nicht davon ausgegangen wrden, dass der syrische Staat dem Beigeladenen gegenüber nicht schutzbereit ist und die Handlungen der gegnerischen Familie duldet oder gar fördert. Denn der Beigeladene hat nicht vorgetragen, den syrischen Staat überhaupt um Schutz seiner eigenen Person gebeten zu haben, nachdem die gegnerische Familie ihn (angeblich) bedroht hat.

Zudem ist Abschiebungsschutz insoweit auch deshalb nicht zu gewähren, weil das Vorbringen des Beigeladenen hinsichtlich der auf seine Person zielenden Bedrohungen durch Mitglieder der gegnerischen Familie unglaubhaft ist. Sein Vortrag weist insoweit Widersprüche auf und wurde im Laufe des Verfahrens gesteigert.

Eine dem Heimatstaat zurechenbare Behandlung i.S.d. § 53 Abs. 4 AuslG hat der Beigeladene auch nicht aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit oder wegen seines yezidischen Glaubens zu befürchten.

Übereinstimmend mit dem Auswärtigen Amt geht auch das Deutsche Orient-Institut davon aus, dass die kurdische Volksgruppe in Syrien nicht verfolgt wird (Auskunft vom 1.10.2001 an das VG Saarland). Auch amnesty intemational liegen keine bestätigten Informationen über eine zielgerichtete Verfolgung ethnischer Minderheiten seitens des syrischen Staates vor. Jedoch sei das Verhältnis der in Syrien lebenden Kurden zur syrischen Regierung angespannt. Das kurdische Neujahrsfest sei wiederholt Gegenstand gewaltsamer Auseinandersetzungen und Anlass für Festnahmen gewesen. Sobald politische Forderungen oder politische Kritik aufkomme, komme es zum Verbot der Veranstaltung oder zur Festnahme der Teilnehmer (Gutachten vom 14.6..1999 an VG Berlin und vom 19.8.2002 an VG Düsseldorf). In den Gutachten sind allerdings keine ReferenzfaIle für Verhaftungen am kurdischen Neujahrsfest seit dem Jahr 2000 aufgeführt; soweit politisch motivierte Übergriffe auf Kurden berichtet werden, handelt es sich jeweils um Einzelübergriffe, die nicht allein an die Volkszugehörigkeit der Betroffenen anknüpfen.

Soweit schließlich die Gesellschaft fur bedrohte Völker in der Stellungnahme vom 29.5.2001 zusammenfassend für den Zeitraum von 1962 bis 2001 angibt, es seien hunderte Kurden als

politische Gefangene umgekommen, reicht dies - ungeachtet der Furchtbarkeit der Einzelschicksale - zur Bejahung einer gegenwärtigen Verfolgungsdichte mit einer aktuellen Gefahr für jeden Kurden allein aufgrund seiner Volkszugehörigkeit bei einer Volksgruppe von über 1 Million Menschen eindeutig nicht aus.

Dem Beigeladenen drohen bei einer Rückkehr nach Syrien auch wegen seines yezidischen

Glaubens keine Misshandlungen im Sinne § 53 Abs. 4 AuslG i. V.m. Art. 3 EMRK durch staatliche Stellen oder entsprechende Maßnahmen Dritter, die dem syrischen Staat zugerechnet werden müssten. Dafür, dass eine Gruppenverfolgung der Yeziden nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ausgeschlossen werden kann, spricht bereits die praktisch einhellige Rechtsprechung der Obergerichte, die derzeit die Gruppenverfolgung der Yeziden in Syrien verneinen (OVG Bremen, Urt. v. 4.11.1998 - 2 BA 4/97 -; OVG Lüneburg, Urt. vom 27.3.2001 -2 L 5117/97-; OVG Münster, Beschl. vom 15.2.2001 - 9 A 630/01.A -; OVG Sachsen-Anhalt, Urt. vom 27.6.2001. - A 3 S 461/98-; VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 13.9.2001 - A 2 S 26/98 -; OVG Saarland, Beschl. vom 11.3.2002 - 3 Q 79/01 - und vom 19.1.2001 - 3 Q 153/99 -).Dieser im Einzelnen begründeten Rechtsprechung schließt sich der Senat nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse insoweit an.

Dem Beigeladenen drohen bei einer Rückkehr nach Syrien auch wegen seiner exilpolitischen Betätigung für die Yekitit-Partei keine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK.

Der Senat geht davon aus, dass nur herausragende Exilpolitik generell mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zur Rückkehrgefährdung führt. Dabei muss es sich um regimefeindliche Aktivitäten handeln durch die sich das syrische Regime in seinem Bestand bedroht fühlt.

Diese Aktivitäten müssen sich zudem deutlich von den exilpolitischen Betätigungen zahlreicher anderer syrischer Staatsangehöriger in Deutschland abheben und damit in besonderer Weise aus dem Kreis der üblichen exilpolitischen Betätigungen herausragen. Mit dieser Einschätzung befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der aktuellen Rechtsprechung (OVG Saarland, Beschl. vom 13.5.2002 - 3 Q 53/01 -; OVG Bremen, Urt. vom 12.4.2000 - 2 A 467/99.A; Hess.VGH, Beschl. vom 9.2.2001 - 3 UE 1296/94 -).

Der Beigeladene gehört nicht zu dem Personenkreis, der nach diesen Kriterien gefährdet ist. Soweit er erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht erklärt hat, seit 1994 Mitglied in der Yekiti-Partei zu sein, hat er jedenfalls nicht geltend gemacht, bereits in Syrien oppositionell aufgefallen zu sein.

Auch in Deutschland hat sich der Beigeladene nicht in einer solchen Weise betätigt.

Diese Zuordnung wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass der Beigeladene wiederholt an Demonstrationen vor der syrischen Botschaft teilgenommen und sich bei einzelnen Veranstaltungen als Ordner betätigt hat. Dies ist keine Aktivität, die ihn als einen Teilnehmer von deutlich hervortretender Bedeutung kennzeichen könnte. Selbst wenn es zu Observationen der Demonstrationen durch den syrischen Geheimdienst mittels Videokameras kommen sollte, wäre der Beigeladene aufgrund der oben genannten Erkenntnisse des deutschen Orient-Institutes wegen seiner zudem völlig untergeordneten Rolle nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit rückkehrgefährdet (vgl. auch AA, Auskunft vom 20.7.1999 an VG Oldenburg).