OVG Hamburg

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Zitieren als:
OVG Hamburg, Urteil vom 29.08.2003 - 1 Bf 11/98.A - asyl.net: M4318
https://www.asyl.net/rsdb/M4318
Leitsatz:

1) Für iranische Staatsangehörige, die vom islamischen Glauben abgefallen, zum Christentum übergetreten und die in der Bundesrepublik lediglich in geringem Umfang als einfaches Gemeindemitglied missionarisch tätig geworden sind, begründen diese Umstände allein keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit, auch wenn diese den iranischen Behörden bekannt geworden sein sollten.

2) Zur Bewertung umfangreicherer missionarischer oder sonstiger religiöser Aktivitäten, die in der Bundesrepublik entfaltet worden sind (Verfolgungsgefahr im konkreten Fall verneint).(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Iran, Christen, Konversion, Apostasie, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Missionierung, Religiös motivierte Verfolgung, Strafverfolgung, Mittelbare Verfolgung, Verfolgung durch Dritte, Religiöses Existenzminimum
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53 Abs. 4
Auszüge:

Die Berufung des Beteiligten hat Erfolg. Bei der Klägerin liegen weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vor noch besteht für sie ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin im Iran wegen ihres in der Bundesrepublik erfolgten Übertritts zum christlichen Glauben und ihrer hier insoweit entfalteten weiteren Aktivitäten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.

Der Senat hat bereits in seinem früheren, den Prozessbeteiligten bekannten Urteil vom 22. Februar 2002 (1 Bf 486/98.A), das inzwischen rechtskräftig geworden ist (BVerwG, Beschluss vom 14.08.2002, 1 B 207.02), aufgrund der damals bestehenden Auskunftslage entschieden, dass für einen Iraner allein der Abfall vom islamischen Glauben und der Übertritt zum Christentum noch keine beachtliche Verfolgungsgefahr begründet. Es reicht dafür nach dem Urteil auch nicht aus, wenn der jeweilige Kläger religiöse Aktivitäten nur in seiner Gemeinde oder in seinem näheren Freundes- und Bekanntenkreis in der Bundesrepublik entfaltet, sofern er dabei nicht eine besondere Funktion inne hat und in dieser erkennbar nach außen hervorgetreten ist.

Im Einzelnen wird in dem genannten Urteil ausgeführt (S. 17 ff.): .......

Die im voliegenden Verfahren eingeholten Auskünfte bestätigen - ebenso wie andere neuere Auskünfte - dieses Ergebnis. Keine der Auskunft gebenden Stellen (Auswärtiges Amt, Deutsches Orient-Institut, anmesty international) wusste über einen Fall einer Verfolgung iranischer Staatsangehöriger zu berichten, dem allein eine christlich-missionarische Betätigung im Ausland, etwa in der Bundesrepublik, zugrunde lag. Dem Auswärtigen Amt (Auskunft vom 26.6.2002) und anmesty international (Auskunft vom 3.7.2003) sind auch keine neuen Fälle bekannt geworden, in denen einfache Mitglieder christlicher Gemeinden wegen missionarischer Betätigung im Iran verfolgt worden sind.

Amnesty international vertritt in diesem Zusammenhang zu Recht die Auffassung, dass eine derartige Betätigung im Ausland von der iranischen Regierung als eine geringere Bedrohung für den Islam angesehen werden dürfte gegenüber einer entsprechenden Tätigkeit im Iran selbst. Eine Verfolgungsgefahr wird sich im Falle der Rückkehr in den Iran auch in diesen Fällen sicherlich nicht ausschließen lassen (so Auswärtiges Amt vom 7.2.2003 an das Verwaltungsgericht Münster), sofern die Tätigkeit den iranischen Behörden bekannt wird. Das Auswärtige Amt (a.a.O.) weist hierzu jedoch auf die besonderen Schwierigkeiten der Beweisführung hin (Anzeige durch eine Privatperson, die sich durch die Missionstätigkeit "erheblich gestört" fühlen müsse, Überzeugung des iranischen Richters von dieser Tätigkeit). Amnesty international schätzt die Verfolgungsgefahr demgegenüber zwar als höher ein, weil die iranischen Behörden davon ausgehen würden, dass Personen, die im Ausland missioniert hätten, ihre Tätigkeit im Iran fortführen würden; deshalb sei "durchaus" die Gefahr staatlicher Zwangsmaßnahmen gegeben. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit ergibt sich jedoch daraus für eine Missionstätigkeit im Ausland angesichts des Fehlens von Präzedenzfällen noch nicht. Dagegen spricht auch der Umstand, dass selbst aktive Missionstätigkeit im Iran ("Assembly of God-Church") nach der Auskunft des Deutschen Orient-Institutes zwar zweimal zu Verhaftungen und zur Abnahme der Verpflichtung geführt hat, weitere Missionierungen zu unterlassen. Darüber hinausgehende Repressalien gegen im Iran missionierende Mitglieder der christlicher Kirchen hat es aber offenbar nicht gegeben.

Die Auskunftslage bietet auch keinen ausreichenden Anhalt dafür, das eine christlich-missionarische Betätigung im Ausland die beachtliche Gefahr einer mittelbaren staatlichen Verfolgung durch fanatische Moslems begründet, die von staatlichen Stellen bewusst geduldet oder jedenfalls nicht verhindert wird.

Die von der Klägerin geschilderten Aktivitäten in der Bundesrepublik, an deren Richtigkeit zu zweifeln für das Gericht kein Anlass besteht, begründen nach der vorstehend wiedergegebenen Auskunftslage keine beachtliche Verfolgungsgefahr. Das gilt auch für den Fall, dass diese Aktivitäten iranischen Stellen bekannt geworden sind oder bekannt werden sollten.

Die Klägerin bekleidet in ihrer Gemeinde, der sie seit Mitte 1994 angehört, kein besonderes Amt, sondern ist nur einfaches Gemeindemitglied. Ihre Aktivitäten gehen nicht über den insoweit wohl üblichen Rahmen einer engagierten gemeindlichen Mitarbeit hinaus.

Die Klägerin könnte sich zur Begründung ihres Klagebegehrens auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie als Christin auf Grund des biblischen Missionsbefehls verpflichtet sei, den Glauben - auch in ihrem Heimatland - zu verbreiten und dass jedenfalls die Missionierung im Iran zu einer beachtlichen Gefährdung führe. Sie braucht zwar, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 22. Februar 2002 (a.a.O., S. 23) ausgeführt hat, bei einer Rückkehr in den Iran ihren christlichen Glauben dort nicht zu verleugnen. Ihr ist aber zur Vermeidung von Repressalien in ihrem Heimatland zuzumuten, die Religionsausübung auf den häuslich-privaten Bereich zu beschränken und jede über diesen Bereich hinausgehende Missionierung zu unterlassen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 1.7.1987, BVerfGE Bd. 76, S. 143, 158 ff.) sind Eingriffe in die Religionsfreiheit nur dann als politische Verfolgung zu betrachten, wenn sie den einzelnen in seinem auf den häuslich-privaten Bereich beschränkten "religiösen Existenzminimum" treffen.