VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 11.09.2003 - 4 K 2360/01.A - asyl.net: M4347
https://www.asyl.net/rsdb/M4347
Leitsatz:

Nach Erorberung des Irak durch die Alliierten und dem Zusammenbruch des Baath-Regimes geht von diesem keine politische Verfolgung mehr aus. Die Besatzungsmächte üben eine staatsähnliche Gebietsgewalt aus.(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Irak, Baath, Machtwechsel, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Verfolgungszusammenhang, Gebietsgewalt, Besatzungsmächte
Normen: AuslG § 51 Abs. 1
Auszüge:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Bundesamtes vom 21./29. November 2001 ist, soweit er hier angefochten worden ist, jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG).

Für den bei § 51 Abs.1 AuslG allein maßgeblichen Gesichtspunkt, ob dem Beigeladenen heute bei einer Rückkehr in den Irak noch eine Verfolgung drohen würde, lässt sich eine politische Verfolgung nicht feststellen.

Für die Frage, ob insoweit der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab Anwendung finden muss, ist es unerheblich, ob der Beigeladene vor seiner Ausreise aus dem Irak durch das damalige Baath-Regime von politischer Verfolgung bedroht gewesen ist oder solche bereits durch das Baath-Regime erlitten hat, also vorverfolgt ausgereist ist. Der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist nur dann anzuwenden, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und der mit dem Asylverfahren geltend gemachten Gefahr erneuter Verfolgung dergestalt besteht, dass bei einer Rückkehr mit einem Wiederaufleben der ursprünglichen Verfolgung zu rechnen ist oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9/96 - NVwZ 1997, 1134).

Ein solcher innerer Zusammenhang lässt sich in keinem Fall feststellen (vgl. insoweit auch OVG NRW, Urteil vom 14. August 2003 - 20 A 430/02.A - mit der Feststellung, die Rückkehrprognose orientiere sich am (gewöhnlichen) Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit).

Der Beigeladene ist im Irak vor einer politischen Verfolgung durch das Baath-Regime sicher. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass das Baath-Regime in der zweiten Aprilwoche dieses Jahres zusammengebrochen ist und keine staatliche Macht im Irak mehr ausübt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 6. Mai 2003 (Stand: 30. April 2003); FAZ vom 10. April 2003, "Saddams Regime zusammengebrochen"; FAZ vom 11. April 2003, "Kurden und Amerikaner erobern Kirkuk"; NZZ vom 14. April 2003, "Kurdische Kämpfer auch in Mossul").

Der Beigeladene ist auch durch keine andere Organisation von politischer Verfolgung bedroht. Als Bezugspunkt bei der Prüfung des Vorliegens einer Gefahr politischer Verfolgung können dabei nur die alliierten Besatzungsmächte in Betracht gezogen werden.

Die Besatzungsmächte dürften derzeit im Irak im asylrechtlichen Sinne effektiv und stabilisiert die Herrschaftsmacht ausüben.

Im Übrigen ist festzustellen, dass auch für den Fall, dass die Besatzungsmächte im Irak keine staatsähnliche Gebietsgewalt ausübten, der Klage stattzugeben wäre, da es dann auf dem irakischen Staatsgebiet derzeit mangels staatlicher oder staatsähnlicher Gewalt ausübender Kräfte keine asylrelevante politische Verfolgung geben könnte.