VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 14.10.2003 - 5 C 03.2024 - asyl.net: M4435
https://www.asyl.net/rsdb/M4435
Leitsatz:

Ein anhängiger Prozess gegen einen Widerrufsbescheid gem. § 73 AsylVfG betrifft ein für die Frage der Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) präjudizielles Rechtsverhältnis, das eine faktische Aussetzung des die Einbürgerung betreffenden Verwaltungsverfahrens rechtfertigt und deshalb einen zureichenden Grund i.S. des § 75 S. 3 VwGO bildet.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Kosovo, Albaner, Asylberechtigte, Asylanerkennung, Widerruf, Einbürgerung, Untätigkeitsklage, Mehrstaatigkeit, Hinnahme von Mehrstaatigkeit, Aussetzungsbeschluss, Entscheidungsreife, Vorgreiflichkeit
Normen: AsylVfG § 73; AuslG § 87 Abs. 1 S. 2 Nr. 6; VwGO § 75 S. 3
Auszüge:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, denn der angefochtene Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Ab Erlass eines Widerrufsbescheids gem. § 73 AsylVfG liegt trotz der aufschiebenden Wirkung einer dagegen gerichteten Klage ein zureichender Grund vor, um das Verfahren einer auf Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG) gerichteten Untätigkeitsklage gem. § 75 Satz 3 VwGO auszusetzen.

Der Beklagte trägt vor - und das Verwaltungsgericht folgt ihm darin in den Gründen des angefochtenen Aussetzungsbeschlusses -, dass die Entscheidung über die am Verwaltungsgericht Ansbach anhängige Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes für die Frage der Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit vorgreiflich sei und deshalb ein zureichender Grund für das Zuwarten vorliege. Der Kläger hingegen betont den gegenwärtig bestehenden Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit, dem eine entsprechende Handlungsverpflichtung der Behörde entspreche. Im Kern des Zwischenstreits steht also die Frage, ob ein anhängiger Prozess gegen einen Widerrufsbescheid gem. § 73 AsylVfG ein für die Frage der Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) präjudizielles Rechtsverhältnis betrifft, das eine faktische Aussetzung des die Einbürgerung betreffenden Verwaltungsverfahrens rechtfertigt und deshalb einen zureichenden Grund i.S. des § 75 S. 3 VwGO bildet. Das ist zu bejahen.

Für die Auflösung der Gemengelage von parallel laufenden Einbürgerungs- und Asylwiderrufsverfahren steht im Ausgangspunkt fest, dass für die auf Einbürgerung gerichtete Verpflichtungsklage auf die gegenwärtige Sach- und Rechtslage abzustellen ist (BVerwG vom 19.8.1996 Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 49). Eine durch eventuelle zukünftige Änderungen tatsächlicher Umstände motivierte Aussetzung des Verfahrens kommt nicht in Betracht. Das spricht aber nur scheinbar für die Rechtsauffassung des Klägers, der sich auf die lediglich ex nunc eintretende Wirkung des Asylwiderrufs und den durch die Anfechtungsklage ausgelösten Suspensiveffekt beruft. Denn im Falle der rechtskräftigen Abweisung seiner gegen den Widerrufsbescheid gerichteten Klage entfällt die aufschiebende Wirkung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids (vgl. BVerwGE 24, 92/98.f.; BVerwG vom 20.3.1998 OVBI. 1998, 647 f.). Die vorläufige Sicherungswirkung des Suspensiveffekts schützt einen Betroffenen bis zu dem durch § 80 b Abs. 1 VwGO festgelegten Endzeitpunkt z.B. vor einer Abschiebung unter Missachtung des (derzeit noch) als fortbestehend fingierten Status eines politisch Verfolgten, vermag aber nicht aus sich heraus rechtsbegründend zu wirken. Dieser Gedanke liegt auch der Vorschrift des § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG zugrunde, wonach die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen die Wirksamkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unberührt lässt (vgl. dazu BVerwG vom 21.8.1996, InfAuslR 1997, 15 f.). Die Interimsregelung des § 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO fixiert nur einstweilen den status quo ante, begründet aber keine materiellen Rechtspositionen auf Dauer.

Demzufolge erweist sich der Streitgegenstand des anhängigen Prozesses gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes als präjudizielles Rechtsverhältnis für die Frage der Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit (weitergehend VG Hannover vom 25.6.2001 NVwZ-Beil. 2002, 63/64: Aussetzung bereits ab Einleitung des Widerrufsverfahrens; a.A. VG Ansbach vom 17.10.2001, NVwZ-RR 2002, 604). Die Voraussetzung des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG kann - wegen des rückwirkenden Entfalls der aufschiebenden Wirkung im Falle der rechtskräftigen Abweisung der Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid - erst mit Abschluss jenes Rechtsstreits sicher beurteilt werden. Die gegenwärtig bestehenden Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmals stellen die Entscheidungsreife des Einbürgerungsantrags (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) infrage und rechtfertigen ein Zuwarten der Behörde mit der abschließenden Sachentscheidung. Somit liegt ein zureichender Grund i.S. des § 75 Satz 3 VwGO vor und die Aussetzung des Verfahrens über die Untätigkeitsklage ist nicht zu beanstanden. Soweit der Senat damit von seinen Entscheidungen vom 22. Februar 2002 (Az. 5 ZB 02.114) und 8. Juli 2003 (Az. 5 ZB 03.353) abweicht, wird an diesen nicht festgehalten.