OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Urteil vom 05.02.2004 - A 2 B 145/03 - asyl.net: M4850
https://www.asyl.net/rsdb/M4850
Leitsatz:

§ 51 Abs. 1 AuslG für homosexuellen Mann aus dem Iran. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Iran, Homosexuelle, Strafverfolgung, Todesstrafe, Körperstrafen, Auspeitschung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Publikationen, Drittstaatenregelung, Luftweg, Einreise, Reisedokumente, Schlepper, Glaubwürdigkeit
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; GG Art. 16a Abs. 2; AuslG § 51 Abs. 1; AsylVfG § 26a; Ira
Auszüge:

 

Ein Asylanspruch des Klägers nach Art. 16a Abs. 1 GG scheidet aufgrund der Drittstaatenregelung des Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG aus. Der Senat ist aufgrund der Schilderung des Klägers sowie den Angaben seiner Ehefrau vor dem Bundesamt nicht davon überzeugt, dass der Kläger wie von ihm behauptet, auf dem Luftweg eingereist ist. Der Einreiseweg bleibt vielmehr unaufklärbar. In diesem Falle trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates nach Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist zu sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 -, NVwZ 2000, 81).

Der Sachverhalt ist insoweit nicht weiter aufklärbar, da der Kläger und seine Ehefrau keine nachprüfbaren Angaben gemacht haben, an die weitere Ermittlungen anknüpfen könnten. Der Kläger hat weder die Flugnummer noch die Namen, auf die der gefälschte Reisepass ausgestellt worden sein soll, genannt. Für Ermittlungen durch Nachfragen beim Flughafen oder der Fluggesellschaft fehlt es deshalb an konkreten Anknüpfungspunkten. Auch hat der Kläger Anknüpfungspunkte für weitere Ermittlungen nicht aufgezeigt.

Aufgrund der Angaben des Klägers und seiner Ehefrau ist der Senat vom Wahrheitsgehalt der Angaben der Kläger nicht überzeugt. Gegen den Wahrheitsgehalt der Schilderung spricht zunächst das Fehlen nachprüfbarer Angaben. Weiter ist es nicht plausibel, dass der Kläger die Namen, auf die der Reisepass ausgestellt gewesen sein soll, nicht kannte. Denn in diesem Falle besteht die Gefahr aufzufallen, wenn er angesprochen wird und seinen eigenen Namen nicht kennt, vielmehr erst den Schlepper fragen muss. Zur Übergabe des Reisepasses stimmen zudem die Angaben des Klägers und seiner Ehefrau nicht überein. Ein Grund dafür, warum der Schlepper die Flugunterlagen nach Abschluss des Fluges wieder an sich genommen hat und warum der Kläger diese ihm ausgehändigt hat, wird nicht genannt. Schließlich sind die Angaben zur Ausreise über den Flughafen Mehrabad mit der Auskunftslage nicht zu vereinbaren.

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iran.

Dem Kläger droht bei Rückkehr in den Iran deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung, weil er im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.3.1998 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143 = InfAuslR 1988, 230 und Urt. v. 17.10.1989 9 C 25.89 -, NVwZ-RR 1990, 375) irreversibel homosexuell ist und durch sein öffentliches Outing ein gesteigertes Beobachtungs- und Verfolgungsinteresse der iranischen Behörden herbeigeführt hat.

In Auswertung der vorgenannten Auskünfte lässt sich feststellen, dass homosexuelle Handlungen nach dem IranStGB nach wie vor unter bestimmten Voraussetzungen mit der Todesstrafe zu bestrafen sind und dass der Nachweis einer homosexuellen Betätigung weiterhin durch das "eigene Wissen" des Richters erbracht werden kann. Eine konsequente Politik der Verfolgung Homosexueller im Iran ist nicht festzustellen. Allerdings haben die homosexuelle Handlungen betreffenden Strafvorschriften nicht nur theoretische Bedeutung. Der Senat geht deshalb davon aus, dass einem irreversiblen, schicksalhaft Homosexuellen, der sich im Falle einer Rückkehr in den Iran einer strafbaren homosexuellen Betätigung aller Voraussicht nach nicht enthalten wird, weil er sich einer solchen Betätigung gar nicht enthalten kann, im Falle der Rückkehr in den Iran jedenfalls dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr politischer Verfolgung droht, wenn den iranischen Behörden dessen homosexuelle Neigung und Betätigung bereits vor der Rückkehr in den Iran bekannt ist und deshalb damit zu rechnen ist, dass sein Verhalten im Iran einem gesteigerten Beobachtungs- und Verfolgungsinteresse ausgesetzt sein wird (vgl. zu im Iran bereits wegen homosexueller Handlungen vorverfolgten iranischen Staatsangehörigen OVG Bremen, Urt. v. 9.2.2000 - 2 A 441/98.A -, zitiert nach juris).

Da die vorgenannten besonderen Voraussetzungen, wie nachfolgend dargelegt, bei dem Kläger vorliegen, bedarf es hier keiner Entscheidung, ob ein irreversibel homosexueller iranischer Staatsbürger, der sich im Iran bereits in unauffälliger Weise homosexuell betätigt hat und unverfolgt ausgereist ist und dessen Verhalten in Deutschland kein gesteigertes Beobachtungs- und Verfolgungsinteresse der iranischen Behörden hervorgerufen hat, im Falle der Rückkehr in den Iran deshalb vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, weil er dort seine Homosexualität in gleicher Weise wie vor seiner Ausreise unauffällig ausleben kann.

Der Kläger ist im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts irreversibel, schicksalhaft homosexuell.

Das massive Outing des Klägers sowohl in persischsprachigen als auch in deutschen Medien, das großenteils auch eine (exil)politische Dimension hat, weil die Politik des iranischen Staates gegenüber Homosexuellen angeprangert wird, begründet ein gesteigertes Beobachtungs- und Verfolgungsinteresse der iranischen Behörden. Im Falle einer Rückkehr in den Iran wird es dem Kläger deshalb nicht mehr wie vor seiner Ausreise möglich sein, seine homosexuelle Veranlagung in unauffälliger Weise auszuleben. Der Kläger ist deshalb im Falle seiner Rückkehr in den Iran vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher.