§ 51 Abs. 1 AuslG für Kurden aus der Türkei nach schwerer Folter; Anerkennung im Asylfolgeverfahren nach Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung; kann ein Asylantragsteller aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung sein Verfolgungsschicksal nicht lücken- und widerspruchslos darlegen, so spricht dies nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben; ärztliche oder psychologische Bescheinigungen, die eine posttraumatische Belastungsstörung belegen, sind neue Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 VwVfG.(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger hat einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Asylverfahrens und Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in seiner Person.
Mit den fristgemäß vorgelegten ärztlichen bzw. psychologischen Bescheinigungen und Gutachten der (...), des (...) und von Frau (...) sowie dem vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten der Psychotherapeutin Dipl.-Psychologin (...) liegen neue Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor, die - wie noch auszuführen sein wird - geeignet sind, eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Im Hinblick auf die konkreten Umstände der Erkrankung des Klägers ist nicht ersichtlich, dass der Kläger es grob schuldhaft unterlassen hat, den Grund für das Wiederaufgreifen bereits in seinen früheren Asylverfahren geltend zu machen.
Hiervon ausgehend steht aufgrund des Akteninhalts und nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Überzeugung des Gerichts zumindest folgender Sachverhalt fest: Der Kläger ist - nach entsprechenden Denunziationen durch Nachbarn - in den (...) insgesamt drei- oder viermal von türkischen Sicherheitskräften für zwei bis vier Tage festgenommen worden, weil er in den Verdacht geraten war, für die PKK tätig geworden zu sein. Tatsächlich hatte er mehrmals die PKK mit Lebensmitteln und Geld unterstützt. Während der Zeit seiner Festnahmen wurde der Kläger von den Sicherheitskräften schwer misshandelt. Er wurde unter anderem an seinen auf dem Rücken zusammen gebundenen Armen aufgehängt (sog. Palästinenserhaken). Er musste durch ein Becken mit Salzwasser gehen, in dem sich Glassplitter, Steine und Eisenstücke befanden; auf seine verletzten Füße wurde mit Stöcken geschlagen. Bei einer weiteren Festnahme erlitt der Kläger bei einem erfolglosen Fluchtversuch einen Streifschuss am rechten kleinen Finger. Anschließend wurde er mit Zaunlatten derart geschlagen, dass er ohnmächtig wurde und man ihn für tot hielt. Deshalb wurde er nicht inhaftiert. Die letzte Festnahme im (...) 1996 nahm der Kläger zum Anlass, die Türkei zusammen mit seiner Familie Anfang (...) zu verlassen.
Durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Schilderungen des Klägers bei seinen Anhörungen vor dem Bundesamt und vor dem Verwaltungsgericht sowie bei den Untersuchungen durch Frau Dr. med. (...) und die Gutachterin (...) bestehen nicht. Der Kläger hat im Kern durchgängig angegeben, insgesamt viermal verhaftet worden zu sein. Abgesehen von der knapp einstündigen Anhörung beim Bundesamt im (...) hat er stets angegeben, während der Festnahmezeiten gefoltert worden zu sein. Die konkreten Umstände der geschilderten Foltermethoden, soweit dies schriftlich festgehalten worden ist (die Sitzungsniederschrift im ersten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Minden enthält insoweit lediglich den Hinweis, dass "der Kläger im einzelnen die während der Festnahme erlittenen Folterungen " geschildert habe), werden übereinstimmend beschrieben. Sowohl gegenüber Frau Dr. med. (...) als auch gegenüber der Gutachterin (...). hat der Kläger gleichbleibend angegeben, man habe bei einer der Festnahmen auf ihn geschossen und ein Fingerendglied getroffen; in dieser Situation habe er die größte Todesangst gehabt. Allerdings haben sich auch verschiedene Ungereimtheiten bei der Schilderung der Umstände der Festnahmen ergeben.
Diese Ungereimtheiten und Widersprüche stellen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers jedoch nicht in Frage; sie sind vielmehr nach Überzeugung des Senats darauf zurückzuführen, dass der Kläger aufgrund einer erlittenen posttraumatischen Belastungsstörung nur bedingt in der Lage ist, die erlebten Festnahmen und Folterungen zeitlich geordnet darzustellen. Diese Überzeugung hat der Senat auf Grund der neuen Beweismittel gewonnen. Sowohl das vom Kläger vorgelegte Gutachten von Frau Dr. med. (...) als auch das vom Senat eingeholte Sachverständigengutachten von Frau Dipl.-Psychologin (...). diagnostizieren beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung. Sie bestätigen damit aufgrund umfangreicher Untersuchungen den bereits in der Bescheinigung des (...) und in der ärztlichen Bescheinigung der (...) geäußerten begründeten Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die (...) hält auch eine andauernde Persönlichkeitsstörung nach einer Extrembelastung für möglich. Ferner gehen das Gutachten von Frau Dr. med. (...) mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, das Sachverständigengutachten von Frau Dipl.-Psychologin (...) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die Traumatisierung des Klägers auf die Gewalt- und Foltererfahrungen in dessen Heimatland zurückzuführen ist. Beide Gutachten gelangen übereinstimmend zu der Feststellung, dass der traumatisierte Kläger aufgrund von kognitiven Schwierigkeiten, Vermeidungs- und Verdrängungstendenzen und Erinnerungslücken sein Verfolgungsschicksal nicht detailliert und konsistent schildern könne.
Diese Beurteilungen sind für den Senat einleuchtend und überzeugend. Der Senat hat keinen Anlass, an ihrer Richtigkeit zu zweifeln. Die Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen sind von sachkundigen Psychologen und Psychiatern erstellt worden und kommen zu weitgehend übereinstimmenden Ergebnissen. Namentlich das vom Senat eingeholte Sachverständigengutachten beruht auf fünf ausführlichen psychodiagnostischen Gesprächen von 50 bis 90 Minuten Dauer. Es stellt ausführlich, sachlich und nachvollziehbar die Erhebungsmethoden, den Gesprächsverlauf, die Exploration, das psychosomatische Beschwerdebild sowie die psychodiagnostischen Einschätzungen und Befunde dar. Die Ausführungen der Gutachterin erklären plausibel, warum der Kläger nicht in der Lage war und ist, sein Verfolgungsschicksal in einem geordneten räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zu schildern. An einer Vielzahl von Einzelbeobachtungen während der Gespräche stellt die Gutachterin anschaulich und überzeugend dar, warum die Schilderungen des Klägers mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf tatsächlich Erlebtem beruhen.
Die vom Kläger mitgeteilten Ereignisse stellen politische Verfolgung dar.
Dass der Kläger die Türkei als politisch Verfolgter verlassen hat, kann nicht mit der Erwägung verneint werden, er habe außerhalb seiner Heimatregion - etwa in den Großstädten der westlichen Türkei - Schutz vor Verfolgung finden können. Nach der Rechtsprechung des Senats können auf eine inländische Fluchtalternative solche Personen aus Ostanatolien nicht verwiesen werden, die bei den Sicherheitskräften am Heimatort im Verdacht stehen, mit der militanten kurdischen Bewegung zu sympathisieren, und die deshalb bereits von individueller Verfolgung betroffen waren (Senatsurteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rnrn. 244-246).