OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.03.2003 - 8 A 3189/01.A - asyl.net: M5077
https://www.asyl.net/rsdb/M5077
Leitsatz:

1. Exilpolitische Aktivitäten begründen nur bei solchen Kurden ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko, die sich politisch exponiert haben, sich durch ihre Betätigung also deutlich von derjenigen der breiten Masse abheben;

2. Eine attestierte Traumatisierung kann nur dann zur Glaubwürdigkeit des Vortrags beitragen, wenn ersichtlich ist, welche konkreten Erlebnisse zu der Traumatisierung geführt haben.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Türkei, Kurden, HADEP, Sympathisanten, PKK, Verdacht der Unterstützung, HADEP-Kongress, Festnahme, Misshandlungen, Glaubwürdigkeit, Gruppenverfolgung, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Exilpolitische Betätigung, Demonstrationen, Medienberichterstattung, Psychische Erkrankung, Depression, Traumatisierte Flüchtlinge, Fachärztliche Stellungnahmen, Situation bei Rückkehr, Abschiebungshindernis, Medizinische Versorgung
Normen: GG Art. 16a; AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte.

Die Kläger haben nicht glaubhaft gemacht, dass sie bei den türkischen Behörden in den Verdacht der Unterstützung der PKK geraten sind und deshalb oder wegen des geschilderten Flaggenvorfalls auf dem HADEP-Kongress vor ihrer Ausreise aus der Türkei die von ihnen geschilderten Verfolgungsmaßnahmen erlitten haben bzw. vor drohender Verfolgung geflohen sind. Ihr Vortrag ist hinsichtlich ihres Kerngeschehens widersprüchlich. Insbesondere haben sie den von ihnen behaupteten Grund für die Ausreise unterschiedlich geschildert.

Allerdings ist es auf dem 2. HADEP-Kongress zu Massenverhaftungen und anschließend auch zu Verurteilungen gekommen. Am 23. Juni 1996 hat ein maskierter junger Mann in der Atatürk-Sporthalle während des Parteitages die türkische Fahne eingeholt. Maskierte Personen haben daraufhin ein übergroßes Bild des PKK-Vorsitzenden Öcalan aufgehängt. Nach Beendigung des Parteitages, am 24. Juni 1996 morgens früh gegen 4.30 Uhr, sind ca. 70 Personen, darunter der Parteivorsitzende, festgenommen worden. Gegen 49 Personen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, gegen 39 wurde Haftbefehl erlassen. Die Namen der Festgenommenen wurden zum Teil auch veröffentlicht (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 1998 an das VG Koblenz; Kaya, Gutachten vom 26. Oktober 2000 an das VG Düsseldorf; Oberdiek, Gutachten vom 31. Dezember 1999 an das VG Ansbach).

Der Senat unterstellt über diese Auskünfte hinaus gehend zwar als wahr, dass es am 23. Juni 1996 - wie es der Kläger zu 1. und die Tochter erklärt haben - auch schon vor dem Ende der Veranstaltung zu Festnahmen gekommen ist. Beide haben zu den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Flaggenvorfall jedoch keine näheren Angaben gemacht. Sie haben weder Einzelheiten zum Einholen der Flagge geschildert noch darüber berichtet, dass ein Bild von Öcalan aufgehängt worden ist. Auch sonst bieten die vorstehenden Erkenntnisse über den Ablauf des Vorfalls auf dem Kongress und die Festnahmen keinen Anhalt für die Richtigkeit der Angaben des Klägers zu 1. und der Tochter.

Die Angaben der Klägerin zu 2. bekräftigen die Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vortrags.

Hinsichtlich der geschilderten Unterstützungsleistungen für die PKK sind die Angaben der Kläger und der Tochter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ebenfalls detailarm und inhaltsleer geblieben. Der Senat stuft diese erstmals im Klageverfahren gemachten Angaben als aus prozesstaktischen Gründen gesteigerten Vortrag und deshalb als nicht glaubhaft ein. Der Vortrag des Klägers zu 1. erschöpfte sich insoweit im Wesentlichen in der Erklärung, dass er die PKK unterstützt habe, indem er sie mit Medikamenten versorgt, verletzte Personen untergebracht und behandelt habe. Auch zu diesem Sachverhaltskomplex sind seine Schilderungen jedoch unsubstantiiert und vage geblieben. Sie lassen konkrete und nachvollziehbare Einzelheiten vermissen. Weder im Klage- noch im Berufungsverfahren haben die Kläger erklären können, auf welchem Weg der Kläger zu 1. in den Besitz der angeblich seit Jahren der PKK zur Verfügung gestellten Medikamente kommen konnte.

Es fehlt auch an einer plausiblen Darlegung, dass der Kläger zu 1. wegen der vermeintlichen Unterstützungshandlungen in das Blickfeld der Sicherheitskräfte geraten sein könnte.

Die Kläger haben auch nicht wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit in der Türkei politische Verfolgung erlitten. Dass kurdische Volkszugehörige in der Türkei keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt sind, hat der Senat in ständiger Rechtsprechung auch für den hier in Rede stehenden Zeitraum entschieden (vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. Juni 1997 - 25 A 3631/95.A -; Urteil vom 28. Oktober 1998 - 25 A 1284/96.A - und Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -, Rdn. 28 ff. und vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -).

Die Kläger müssen auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr in die Türkei in Anknüpfung an individuelle Merkmale oder Aktivitäten in asylerheblicher Weise verfolgt zu werden.

Sie haben keine exilpolitischen Aktivitäten vorgetragen, die den Schluss zuließen, sie seien deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei gefährdet. Nach der Rechtsprechung des Senats begründen exilpolitische Aktivitäten ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko nur bei solchen Kurden, die sich politisch exponiert haben, sich durch ihre Betätigung also deutlich von derjenigen der breiten Masse abheben (Senatsurteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -, A. IV. 2. c., S. 62ff.).

Nach diesem Maßstab ist das vorgetragene exilpolitische Engagement als niedrig profiliert zu bewerten. Nach ihrem eigenen Vorbringen haben die Kläger zwar in der Bundesrepublik Deutschland an verschiedenen Protestveranstaltungen etc. teilgenommen. Sie haben dabei jedoch nie eine Rolle übernommen, die sie aus der Masse vergleichbarer Aktivitäten anderer Teilnehmer hätten hervortreten lassen. Auch der Umstand, dass ein Foto, auf dem der Kläger zu 1. auf einer Demonstration zu sehen ist, in einer Ausgabe der WAZ abgedruckt worden ist, hebt ihn nicht in dem dargelegten Sinne von anderen Teilnehmern besonders ab. Eine Gefährdung des Betroffenen durch die Teilnahme an vergleichbaren Veranstaltungen besteht nach der zitierten Rechtsprechung selbst dann regelmäßig nicht, wenn ein Teilnehmer im Rahmen der Berichterstattung hierüber zu Wort gekommen oder namentlich genannt worden ist.

In der Person des Klägers zu 1. besteht auch kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG.

Nach der Rechtsprechung des Senats kann im Allgemeinen eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG wegen einer bei Rückkehr notwendig werdenden medizinischen Behandlung nicht angenommen werden. Die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung ist durch das öffentliche Gesundheitssystem und den sich ausweitenden Sektor privater Gesundheitseinrichtungen - wenn auch nicht auf hohem Niveau - grundsätzlich sichergestellt. Wenn ein Asylbewerber jedoch substantiiert geltend macht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei schwerwiegende Gesundheitsgefahren drohen, die auf unzureichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten zurückzuführen sind, ist eine auf den Einzelfall bezogene detaillierte Sachverhaltsaufklärung erforderlich, die über die zur medizinischen Versorgung in der Türkei allgemein vorliegenden Erkenntnisse hinausgeht. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist grundsätzlich möglich; nach Auskunft des Generalkonsulats in Istanbul sind außerdem Verfahrensweisen mit der Flughafenpolizei und dem medizinischen Dienst am Flughafen Istanbul abgesprochen, die nötigenfalls eine sofortige Übernahme der Behandlung sicherstellen (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 2002 - 8 A 4872/99.A -, S. 109 ff).

Die vorgelegte Bescheinigung des Diplom-Psychologen T. vom (...) gibt keine Veranlassung, von den dargelegten Grundsätzen abzuweichen bzw. weitere Ermittlungen über die Behandelbarkeit einer Erkrankung des Klägers zu 1. in der Türkei anzustellen. Der Psychologe bescheinigt dem Kläger, sich seit dem (...) in psychotherapeutischer Behandlung zu befinden. Es handele sich um eine schwere depressive Entwicklung als Folge eines Traumas mit vegetativer Begleitsymptomatik mit Magenbeschwerden und Schlafstörungen auf dem Boden einer unsicheren Persönlichkeitsstruktur. Durch die drohende Abschiebung habe sich der Zustand verschlechtert und es bestehe ein erhöhtes Suizidrisiko. Es bestehe die Gefahr, dass sich aufgrund der Schwere der "traumatischen Symptomatik (drohende Abschiebung mit Existenzängsten)" der psychische Zustand verschlimmere und er psychisch dekompensiert oder sich sogar suizidiert. Eine Rückführung würde eine Retraumatisierung bedeuten und hätte irreversible Schäden zur Folge.

Die Aussagekraft dieser Bescheinigung ist bereits deshalb gemindert, weil der Kläger zu 1. sich erst mehrere Jahre nach seiner Einreise in Behandlung begeben, trotz der Therapie seit dem(...) hierzu im Klageverfahren keine Angaben gemacht und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27. Juni 2001 etwaige psychische Probleme nicht geltend gemacht hat. Vor allem aber lässt sich der Bescheinigung nicht entnehmen, von welchem Sachverhalt der Therapeut überhaupt ausgeht und dass er allgemein anerkannte Diagnosekriterien angewendet hat (vgl. dazu Richtlinien für die psychologische und medizinische Untersuchung von traumatisierten Flüchtlingen und Folteropfern, 3. Auflage, Bonn 2001).

Der Therapeut spricht pauschal von einer traumatischen Symptomatik. Es ist jedoch nicht ersichtlich, welche konkreten Erlebnisse in der Türkei der Kläger zu 1. dem Therapeuten geschildert haben könnte und welche Befundtatsachen dieser daraufhin seiner Behandlung zugrunde gelegt hat. Mangels anderer Anhaltspunkte besteht daher auch nach der vorgelegten Bescheinigung kein Anlass, von der oben getroffenen Einschätzung, dass die von dem Kläger im vorliegenden Verfahren geschilderten Übergriffe und damit die behaupteten traumatischen Erlebnisse nicht glaubhaft sind, abzuweichen.