Keine politische Verfolgung wegen Desertion; keine politische Verfolgung durch mafiose Strukturen in Armenien, da deren Maßnahmen oder ggf. die Schutzunwilligkeit des Staates jedenfalls nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfen.(Leitsatz der Redaktion)
Den Klägern kann kein Schutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt werden.
Als Grund für die bereits (...) erfolgte Ausreise aus Armenien hat der Kläger zu 1. bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt im Oktober 1997 im Wesentlichen angegeben, er habe sich einem erneuten Einsatz an der Frontlinie, der ihm als (vermeintlichem) Augenzeugen eines Anschlags auf einen mit ihm befreundeten Soldaten gedroht habe, durch Desertion entzogen. Vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zu 1. mit Schriftsatz seines damaligen Prozessbevollmächtigten vom 28. Oktober 1998 vorgetragen, der erschossene Freund sei ebenso wie er in seiner Eigenschaft als Polizist zur Unterstützung des Militärs abgestellt worden. Er habe den Täter erkannt. Dieser sei ebenfalls Armenier und Polizist gewesen. Die genauen Hintergründe für die Tötung des Freundes seien ihm nicht bekannt. Die Umstände ließen jedoch darauf schließen, dass es sich um eine Tat im Zusammenhang mit Mafiaaktivitäten innerhalb der Polizei oder des Militärs gehandelt habe. Dies erkläre auch die späteren Versuche, ihn durch gezielte Einsätze an der Front (gleichfalls) umzubringen.
Soweit der Kläger zu 1. sein Asylbegehren - vor dem Bundesamt noch in erster Linie - auf die ihm wegen Desertion aus der armenischen Armee bei einer Rückkehr nach Armenien drohende Bestrafung und die unter Umständen drohende erneute Heranziehung zum Reservisten-Dienst in der Armee gestützt hat, hat schon das Verwaltungsgericht in seinem Urteil ausführlich und unter Auswertung der beigezogenen Erkenntnisquellen dargelegt, dass und aufgrund welcher Erwägungen diese Umstände keine polititische Verfolgung darstellen (Entscheidungsgründe, S. 9-14). Auf diese Ausführungen, denen die Kläger im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht nicht mit begründeten Einwänden entgegengetreten sind, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang Bezug. Anhaltspunkte für eine diskriminierende Strafzumessungspraxis oder eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende (bevorzugte) Heranziehung zum Wehr- bzw. Reservistendienst sind auch zum jetzigen Zeitpunkt weder ersichtlich noch von den Klägern vorgetragen.
Auch die vom Kläger zu 1. beim Bundesamt geschilderten Ereignisse bei der Armee, d.h. die Tötung seines Freundes, die Reaktion seines Kommandeurs sowie insbesondere die nachfolgenden Einsätze an der Front, die der Kläger zu 1. im Verlaufe des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht mit mafiösen Strukturen in der armenischen Armee bzw. in Armenien insgesamt in Zusammenhang gebracht hat, rechtfertigen die Feststellung eines Abschiebungshindernisses iSv. § 51 Abs. 1 AuslG nicht.
Dass die Kläger in Armenien unmittelbaren Verfolgungshandlungen seitens des armenischen Staates ausgesetzt waren, tragen sie selbst nicht vor. Ebensowenig machen sie substantiiert geltend, dass der armenische Staat Ende (...) von der Mafia bzw. mafiösen Organisationen dergestalt verdrängt oder ersetzt worden war, dass er sein staatliches Schutz- und Gewaltmonopol vollständig eingebüßt hatte und die Mafia eine quasi-staatliche Organisation im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (grundlegend Beschl. vom 10.08.2000 - 2 BvR 260/98 u. 1353/98 -, NVwZ 2000, 1165) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. vom 20.02.2001 - 9 C 20.00 -, E 114, 16 ff.) darstellte. Die Kläger stützen ihr Klagebegehren vielmehr unter Berufung auf Stellungnahmen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) vom 04.06.1997 und von amnesty international von November 1996 darauf, dass der gesamte behördliche Apparat in Armenien (schon) im Jahre 1995 von alten Seilschaften und mafiösen Strukturen so durchsetzt gewesen sei, dass der Einzelne vor Verfolgungsmaßnahmen durch Dritte keinen staatlichen Schutz habe erlangen können. Dies rechtfertigt die Feststellung eines Abschiebungshindernisses iSv. § 51 Abs. 1 AuslG nicht.
Dabei kann dahinstehen, inwieweit diese Stellungnahmen auf verifizierten Angaben beruhen und für den hier maßgeblichen Zeitraum vor der Ausreise der Kläger aus Armenien im zweiten Halbjahr (...) einschlägig sind. Selbst wenn die Schutzwilligkeit und -fähigkeit des armenischen Staates gegen Übergriffe von Dritten, auch und gerade von Amtswaltern, infolge teilweiser "Unterwanderung" des Staatsapparates durch die Mafia bzw. mafiöse Strukturen eingeschränkt bzw. teilweise nicht gewährleistet gewesen sein sollte, ist - wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (S. 15 des Urteils) - jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Verfolgungsmaßnahmen seitens des Kommandeurs oder die geltend gemachte mangelnde Schutzwillig- und/oder -fähigkeit der armenischen Behörden im Falle des Klägers zu 1. an asylerhebliche Merkmale anknüpfte. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die in erster Linie den Bereich des Handels und der Wirtschaft betreffenden Aktivitäten der Mafia zwar schwerpunktmäßig wirtschaftlichen Interessen dienen dürften, diese aber u.U. auch mit politischen Interessen verbunden sein können.
Dies ändert aber nichts daran, dass Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG eröffnende Verfolgungsmaßnahmen sich von kriminellem Unrecht dadurch abgrenzen müssen, dass entweder die Verfolgungsmaßnahme eines Dritten selbst oder die staatliche Schutzverweigerung an einem asylerheblichen Merkmal anknüpfen müssen (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, B 1, Art. 16 GG Rn. 91). Eine solche Verknüpfung zwischen unmittelbarer Verfolgungsmaßnahme bzw. Schutzverweigerung und einem asylerheblichen Merkmal in ihrer Person haben auch die Kläger, obwohl auf diese Problematik im Berufungsverfahren schriftlich hingewiesen, nicht aufzeigen können.
Hinzu kommt, dass der armenische Staat bemüht ist, dem Einfluß der organisierten Kriminalität entgegenzuwirken und die Korruption zu bekämpfen. Seit der Amtsübernahme von Präsident R. Kotscharian wird die Korruption verstärkt strafrechtlich verfolgt.
Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses in unmittelbarer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kommt vorliegend nicht in Betracht. Sämtliche Gefährdungen, die aus der verbesserten, aber nach wie vor nicht einfachen wirtschaftlichen Lage in Armenien, etwa der Schwierigkeit, eine den Lebensunterhalt (insb. die Versorgung mit Wohnraum und Lebensmitteln) sichernde Erwerbstätigkeit zu finden, resultieren können, treffen eine Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat Armenien. Sie sind daher im Sinne von §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG "allgemeine" Gefahren und müssen aufgrund der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG unberücksichtigt bleiben.
Die Kläger waren im Falle einer Abschiebung nach Armenien auch nicht einer solch extremen Gefahrenlage ausgesetzt, wie dies Voraussetzung wäre, um trotz Vorliegens einer allgemeinen Gefahr im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG Abschiebungsschutz zuerkennen zu können. Es ist nicht erkennbar, dass sie im Falle ihrer Abschiebung nach Armenien mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit und damit "gleichsam sehenden Auges" "dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert" würden.
Wie dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 01.04.2003 entnommen werden kann, haben sich die allgemeine Wirtschaftslage und die Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen in Armenien grundsätzlich verbessert. Zwar ist Hilfe von außen bisher noch unerläßlich, um den notwendigen Überlebensbedarf weiterer Bevölkerungsschichten zu decken. Unterstützung leisten hier, neben den Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen, das Internationale Rote Kreuz, verschiedene nationale Rot-Kreuz-Organisationen, andere private Hilfsorganisationen sowie die rund 3,5 Mio. Diaspora-Armenier (Lagebericht, S. 15/16).