Blutrache durch verfeindete Familie ist dem türkischen Staat nicht zuzurechnen; von Blutrache gefährdete Kurden können in der Regel Schutz in der Westtürkei finden; Inanspruchnahme von Schutz durch türkische Sicherheitskräfte ist zumutbar.(Leitsatz der Redaktion)
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger selbst hat zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, dass er auf der Flucht vor bereits eingetretener oder drohender politischer Verfolgung durch den türkischen Staat ausgereist ist und er aus diesem Gund bei einer Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher wäre.
Insbesondere stellt die allein als Fluchtgrund geltend gemachte Gefahr der Blutrache durch Angehörige der verfeindeten Familie im Rahmen einer Familienfehde keine dem türkischen Staat zurechenbare politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG dar, da es sich insofern ausschließlich um Übergriffe privater Dritter handelt.
Nach den Angaben des Klägers lagen der behaupteten Fehde ausschließlich zivilrechtliche Streitigkeiten um Ländereien zwischen der Familie des Klägers und der gegnerischen Familie zugrunde. Zudem werden Blutrachetaten im Rahmen einer Familienfehde von den türkischen Behörden strafrechtlich hart geahndet. Sie waren vor der türkischen Strafrechtsreform gemäß Art. 450 des türkischen Strafgesetzbuches, mit der Todesstrafe und sind jetzt grundsätzlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht. Die Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Strafandrohung in der Strafzumessungspraxis wird bereits bestätigt durch das eigene Vorbringen des Klägers, wonach sein Vater wegen der Tötung des xxx zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und erst vor ein paar Monaten wieder entlassen worden ist. Der türkische Staat ist ferner auch generell in der Lage und willens, gegen kriminelle Übergriffe durch Privatpersonen einzuschreiten und den Betroffenen insoweit Schutz zu gewähren. Nach den vorliegenden Erkenntnissen gilt dies gerade auch für Blutrachetaten, die vom türkischen Staat hart geahndet werden, und zwar unabhängig von der Volkszugehörigkeit der betroffenen Familien bzw. der Täter, da diese den staatlichen Interessen wegen Verstoßes gegen das staatliche Straf- und Gewaltmonopol zuwiderlaufen (vgl. amnesty international, Gutachten vom 5. Februar 1993 an das VG Wiesbaden; Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 18. Dezember 1992 an das VG Wiesbaden; VG Braunschweig, Urteil vom 18. August 2003 - 5 A 278/03 - und VG Regensburg, Urteil vom 10. Juli 2003 - RN 13 S -.)
Von einer stillschweigenden oder einvernehmlichen Duldung bzw. Tolerierung der Blutrache durch den türkischen Staat kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein.
Auch die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden führt nicht zu einer Asylberechtigung des Klägers. Zur Zeit seiner Ausreise im Juli 2001 fand eine Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei nicht statt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 -8 A 1292/96.A-, EA S. 20 ff).
Bei einer Ausreise in die Türkei hat der Kläger insbesondere auch derzeit keine Gruppenverfolgung wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit zu befürchten, denn von einer solchen Gefahr ist bis in die heutige Zeit nicht auszugehen.
Ebenso wenig besteht für abgelehnte Asylsuchende eine ernstzunehmende Gefahr asylerheblicher Maßnahmen bei Einreise in die Türkei allein wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit oder wegen der Durchführung eines Asylverfahren.
Schließlich kann der Kläger sich auch nicht mit Erfolg auf ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berufen, soweit er geltend macht, ihm drohten durch Angehörige der verfeindeten Familie, deren Mitglied sein Vater getötet hat, Gefahren für Leib und Leben im Zusammenhang mit einer Blutrachefehde.
Die Gefahr, Opfer einer Blutrache zu werden, kann grundsätzlich ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG begründen.
Dem Kläger ist es jedoch bereits nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihm eine solche Gefahr mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit landesweit droht. Selbst wenn man zu seinen Gunsten die behauptete Blutfehde als wahr unterstellt, kann aufgrund seines Vorbringens nicht festgestellt werden, dass der Kläger gegenwärtig mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit Übergriffe durch Angehörige der Familie konkret zu befürchten hat.
Gegen das Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage spricht bereits entscheidend, dass nach den eigenen Angaben des Klägers die miteinander in Fehde liegenden Familien mittlerweile sowohl durch die Dorfbewohner als auch durch die türkischen Sicherheitskräfte versöhnt und befriedet worden sind, dass es seit diesem Zeitpunkt nicht mehr zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen gekommen ist und dass die türkische Polizei überdies ein hartes Vorgehen gegenüber Angehörigen beider Parteien im Falle der Missachtung der vereinbarten Versöhnung angedroht hat. Vor dem Hintergrund einer förmlichen und öffentlichen Aussöhnung verbunden mit der deutlichen Ankündigung staatlicher Sanktionen ist gerade nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger weiterhin Racheakte durch die Familie zu gewärtigen hat. Dies gilt um so mehr, als zum einen in dem vom Kläger geschilderten Fall die "Blutbilanz" zwischen den Fehdeparteien gleichsam ausgeglichen war, nachdem sein Vater die Tötung seines Bruders, des Onkels des Klägers, gerächt hatte, so dass eine Fortführung der Rache unter diesem Gesichtspunkt nach den vorliegenden Erkenntnissen als unwahrscheinlich erscheint, und zum anderen der Vater des Klägers für die Ermordung des Mitgliedes der Familie bereits durch die von ihm verbüßte Freiheitsstrafe gesühnt hat.
Soweit der Kläger geltend macht, der Vater des Ermordeten habe aber "geschworen", ihn zu töten, und diesem sei - auch nach Meinung seiner Eltern - nicht zu trauen, erweisen sich diese Befürchtungen jedoch als bloße, durch nichts näher substanziierte Mutmaßungen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Familie noch in Form eines Blutrachemordes auf Rache sinnt und nach ihm sucht, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Kammer sieht sich in ihrer Einschätzung insbesondere auch dadurch bestätigt, dass die Familie des Klägers, namentlich sein Vater und sein Bruder, seit der mittlerweile fast 4 Jahre zurückliegenden Tat unbehelligt geblieben sind, und zwar auch in der Zeit vor der durch Dorfbewohner und Sicherheitskräfte vermittelten Versöhnung.
Schließlich hat der Kläger auch nicht darzulegen vermocht, dass die von ihm befürchteten Gefahren landesweit, d.h. in jedem Landesteil der Türkei drohen. Er hat vielmehr die Möglichkeit sich durch einen Ortswechsel innerhalb der Türkei - insbesondere durch einen Umzug in eine Großstadt im Westen der Türkei - der behaupteten Gefahr der Blutrache wirksam zu entziehen. Dass er in einer Millionenstadt wie zum Beispiel Istanbul von der verfeindeten Familie aufgespürt würde, erscheint ebenso unwahrscheinlich und fernliegend wie eine erfolgreiche Suche nach dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland.
Letztlich steht der Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 6 AuslG auch durchgreifend entgegen, dass der Kläger in seiner Situation bislang keinerlei Anstrengungen unternommen hat, bei den türkischen Behörden um Schutz nachzusuchen, was ihm jedoch zuzumuten ist, da der türkische Staat - wie bereits dargelegt - generell und gerade auch in seinem konkreten Fall in der Lage und auch willens ist, gegen Blutrache vorzugehen und den Betroffenen insoweit Schutz zu gewähren. Dem steht insbesondere auch nicht entgegen, dass ein lückenloser Schutz durch den türkischen Staat nicht zu gewährleisten ist, da einen solchen kein Staat bei der Bekämpfung kriminellen Unrechts garantieren kann.