OLG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 07.01.2004 - 2 W 112/03 - asyl.net: M5307
https://www.asyl.net/rsdb/M5307
Leitsatz:

Zur zulässigen Dauer von Sicherungshaft vor geplanter Zurückschiebung. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Algerier, Abschiebungshaft, Zurückschiebungshaft, Illegale Einreise, Dubliner Übereinkommen, Rückübernahmeersuchen, Beschleunigungsgebot, Wiener Übereinkommen, Unterrichtung der konsularischen Vertretung, Belehrung
Normen: AuslG § 61 Abs. 1; AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; AuslG § 57 Abs. 2 S. 4; AuslG § 57 Abs. 3; DÜ Art. 13 Nr. 3; WÜK Art. 36 b) Abs. 1; GG Art. 104 Abs. 1; GG Art. 104 Abs. 4
Auszüge:

Die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung durch das Amtsgericht am 24.11.2002 war nach §§ 61 Abs. 1; 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 entspr. AuslG zulässig (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 61 AuslG Rn. 7; § 60 Rn. 14). Der Betroffene war unerlaubt in die Bundesrepublik eingereist. Er hat auch nicht glaubhaft gemacht, daß er sich der Zurückschiebung nicht entziehen wolle (§ 57 Abs. 2 Satz 3 AuslG entspr.). Vielmehr war schon auf Grund seiner unerlaubten "Reisetätigkeit" im Bereich mehrerer Länder davon auszugehen, daß er nicht freiwillig nach Norwegen - und später - nach Frankreich ausreisen, sondern mangels eines festen Bezugspunktes untertauchen würde. Ferner hatte die erkennungsdienstliche Behandlung ergeben, daß er bereits früher wegen eines Verstoßes gegen das AuslG in Kehl am Rhein auffällig geworden war.

Es stand auch nicht fest, daß aus Gründen, die der Betroffene nicht zu vertreten hat, die Zurückschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden konnte (§ 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG entspr.). Auf Grund der norwegischen Identitätskarte, der Auskunft der norwegischen Behörden, daß der Betroffene dort als Asylbewerber registriert sei, und hinreichender Identifizierungsdokumente war damit zu rechnen, daß er im Konsultationsverfahren nach dem DÜ - unverzüglich eingeleitet am 25.11.2002 - fristgerecht nach Norwegen zurückgeschoben werden könnte.

Die Voraussetzungen der Sicherungshaft lagen auch fortan vor. Insbesondere war nach der Mitteilung der norwegischen Behörden am 8.01.2003, die französischen Behörden seien zur Weiterführung des Asylverfahrens zuständig, die fristgerechte Zurückschiebung des Betroffenen nach Frankreich nicht ausgeschlossen. Die Sicherungshaft war auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beteiligte und die anderen am Verfahren beteiligten deutschen Behörden das im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geltende Beschleunigungsgebot verletzt hätten. Vielmehr haben diese Behörden alle notwendigen Anstrengungen unternommen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden konnte (vgl. BGH NJW 1996, 2796, 2797). Sie haben die sich aus der jeweilig bekannten oder erkennbaren Sachlage gebotenen Konsultationsverfahren mit Norwegen und Frankreich unverzüglich in die Wege geleitet.

Soweit er meint, die ausländischen Behörden hätten durch eine zu langsame Bearbeitung die Zurückschiebung hinausgezögert und die Beteiligte müsse sich diese Verzögerung zurechnen lassen, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Zwar trifft es zu, daß die norwegischen Behörden von der Einleitung des Konsultationsverfahrens Anfang Dezember 2002 bis zur Mitteilung am 8.01.2003, Frankreich sei zuständig, reichlich einen Monat, und die französischen Behörden von der Einleitung des Konsultationsverfahrens Mitte Januar 2003 bis zur Erklärung der Rücknahme des Betroffenen am 11./13.02.2003 knapp einen Monat gebraucht haben, und bisher ungeklärt ist, worauf die Dauer der Ermittlungs- und Entscheidungsprozesse der zuständigen Behörden beruht. Diese Frage kann indessen offen bleiben, weil die deutschen Behörden eine hier unterstellte Verzögerung durch die ausländischen Behörden nicht zu vertreten hätten. Eine solche Verzögerung ist rechtlich nur für die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG bedeutsam, nicht hingegen für die Frage, ob die Ausländerbehörde das Beschleunigungsgebot innerhalb der sich aus §§ 57 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3; 61 AuslG ergebenden Fristen verletzt hat (vgl. BGH a.a.O.; OLG Zweibrücken NVwZ-Beilage I 3/2001). Die Rechtslage ist insoweit nicht anders zu beurteilen, als in den Fällen der Abschiebung, in denen die Ausländerbehörde darauf angewiesen ist, zur Beseitigung von Abschiebungshindernissen - so etwa zur Beschaffung von erforderlichen Paßersatzpapieren - mit den Konsulaten und Behörden des Heimatstaates des Ausländers zusammen zu arbeiten.

Diese Rechtslage wird entgegen der Auffassung des Betroffenen auch nicht durch die Fristen in den Bestimmungen des DÜ im Sinne einer "europarechtlichen Ausformung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes" beeinflußt. Zwar mag der Zweck dieser Fristen darin liegen, die Klärung der Zuständigkeit zu beschleunigen. Die Bestimmungen lassen jedoch - worauf das Landgericht zutreffend abgestellt hat - nicht erkennen, daß der Betroffene aus der Überschreitung dieser Fristen unmittelbar eigene Rechte im Hinblick auf die Dauer der maßgeblich in § 57 AuslG geregelten Sicherungshaft herleiten kann. Vielmehr führen danach - soweit geregelt - Fristüberschreitungen lediglich zu Folgen für die Mitgliedstaaten in Ansehung ihrer Zuständigkeit (vgl. etwa Art. 11 Nr. 1 Abs. 2 und Abs. 4 DÜ). Unabhängig hiervon wären die vom Betroffenen angeführten Fristen gemäß Art. 13 Nr. 3 DÜ auch nicht geeignet, eine Rechtsverletzung zu begründen.

Die erstmals in dieser Instanz erhobene Rüge des Betroffenen, das Amtsgericht habe gegen Art. 36 b) Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.04.1963 (WÜK - BGBl II 1969, 1585) verstoßen, weil es den Betroffenen nicht über sein Recht belehrt habe, die Unterrichtung seiner konsularischen Vertretung über seine Inhaftierung zu verlangen, ist unerheblich. Es ist nach Aktenlage ungeklärt, ob die Belehrung tatsächlich unterblieben ist.

Wird unterstellt, daß diese Belehrung unterblieben ist, so hat dies keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Sicherungshaft. Das gilt auch dann, wenn angenommen wird, daß die Verletzung von Art 36 b) Abs. 1 WÜK individuelle Rechte des Betroffenen berührt (vgl. IGH, Urteil vom 27.06.2001, JZ 2002, 91, 92; a.A. Hillgruber in Anmerkung a.a.O. S. 94, 95 ff.). Die vom Betroffenen zitierte Entscheidung des BVerfG vom 11.03.1996 in NVwZ 1996, Beilage Nr. 7, S. 49 betrifft Verstöße (dort die Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs), die Art. 104 Abs. 1 GG unterfallen. Der vorliegende Verstoß gleicht jedoch Verstößen gegen Art. 104 Abs. 4 GG, wonach von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgenommenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist (vgl z. B. auch § 114 b StPO). Insoweit entspricht es jedoch zutreffender überwiegender Auffassung, daß eine Rechtsverletzung den sachlichen Inhalt der Entscheidung über die Freiheitsentziehung selbst nicht berührt (BVerfG NJW 1963, 1820, 1821; BGH, Beschluß vom 7.11.2001, NStZ 2002, 168, KMR, StPO, § 114b Rn. 3 und 7; Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl.; § 114 b Rn. 12).