BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 20.04.2004 - 1 C 16.03 - asyl.net: M5319
https://www.asyl.net/rsdb/M5319
Leitsatz:

Die einbürgerungsrechtliche Übergangsvorschrift des § 102 a AuslG ist auf alle bis zum 16.3.1999 gestellten Einbürgerungsanträge anwendbar, auch wenn der Antrag zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neuregelung des Einbürgerungsrechts noch nicht nach den Regelungen des AuslG a.F. begründet war.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Türken, Einbürgerung, Sprachkenntnisse, Gesetzesänderung, Übergangsregelung, Auslegung, Fristen, Stichtag, Ermessenseinbürgerung, Anspruchseinbürgerung
Normen: RuStAG § 8; AuslG § 86a.F.; AuslG § 86; AuslG § 102a
Auszüge:

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht den Einbürgerungsanspruch des Klägers auf der Grundlage der §§ 85 ff. AuslG in der am 1. Januar 2000 aufgrund des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl I S. 1618) in Kraft getretenen neuen Fassung beurteilt und die Übergangsregelung des § 102 a AuslG unberücksichtigt gelassen.

Da der Kläger seinen Einbürgerungsantrag bereits im Frühjahr 1997 und damit vor dem Stichtag des 16. März 1999 gestellt hat, folgt aus dem Wortlaut des § 102 a AuslG ohne weiteres, dass auf ihn die Vorschriften der §§ 85 bis 91 in der alten, vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung Anwendung finden (bis auf die ausdrücklich für anwendbar erklärten § 86 Nrn. 2 und 3 und § 87 der Neufassung). Das bedeutet, dass hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen das alte Rechtsregime gilt, so dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 86 AuslG a.F. maßgeblich sind. Die Anspruchseinbürgerung nach dieser Vorschrift setzt zwar eine längere Aufenthaltsdauer als die jetzige Regelung in § 85 AuslG n.F., nämlich 15 statt 8 Jahre, voraus, verlangt aber keine deutschen Sprachkenntnisse. Vielmehr wurde nach der alten Rechtslage unwiderleglich vermutet, dass der Ausländer bei einem 15-jährigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hinreichend - auch sprachlich - in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Mit der Änderung durch das Staatsangehörigkeitsrechtsreformgesetz wurden mit Wirkung vom 1. Januar 2000 die erforderlichen Aufenthaltszeiten auf 8 Jahre verkürzt (Neuregelung des Grundtatbestandes der Anspruchseinbürgerung in § 85 Abs. 1 AuslG n.F .), dafür aber der Ausschlussgrund der nicht ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache in § 86 Nr. 1 AuslG eingefügt. Mit der Altfallregelung für Ausländer, die bereits vor Einbringung des Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag die Einbürgerung beantragt hatten, sollten diese von den neuen, teilweise strengeren Einbürgerungsanforderungen verschont bleiben.

Soweit der Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses der Auffassung sind, dass § 102 a AuslG einschränkend dahin gehend auszulegen sei, dass nur "ausländerrechtlich begründete" Einbürgerungsanträge erfasst würden, bei denen die wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen der §§ 85 ff. AuslG a.F. spätestens zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Neuregelung am 1. Januar 2000 bereits erfüllt gewesen seien, kann dem nicht gefolgt werden. Dieser Standpunkt, der zum Teil auch in der Literatur vertreten wird (Renner, Ausländerrecht, Nachtrag "Staatsangehörigkeitsrecht" zur 7. Aufl., Stand: Juni 2000, § 102 a AuslG Rn. 7; wohl auch Hailbronner, in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl.; 2001, § 102 a AuslG Rn. 1), setzt voraus, dass zwischen einem Einbürgerungsantrag nach den §§ 85 ff. AuslG und einem solchen nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG - (seit dem 1. Januar 2000 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG -) unterschieden werden kann, wenn dem Antrag selbst eine solche Differenzierung nicht zu entnehmen ist. Das ist in der Regel nicht der Fall, weil der Ausländer grundsätzlich die Einbürgerung als solche erstrebt, sich auf sämtliche denkbaren Anspruchsgrundlagen stützen und seinen Einbürgerungsantrag nicht beschränken will. Dementsprechend enthält auch das Antragsformular, das der Kläger ausgefüllt hat, keine Angaben zu den Rechtsgrundlagen für die begehrte Einbürgerung. Streitgegenstand ist bei derartigen Verfahren das Begehren auf Einbürgerung, für das verschiedene Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen können. Das Eingreifen der Übergangsregelung des § 102 a AuslG kann deshalb nicht mit der Begründung verneint werden, es sei kein Einbürgerungsantrag im Sinne dieser Vorschrift gestellt worden. Dass die Übergangsregelung nur im Ausländergesetz und nicht auch im Staatsangehörigkeitsgesetz enthalten ist und deshalb der Einbürgerungsanspruch nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz auch bei Altanträgen seit dem 1. Januar 2000 nach der neuen Fassung des § 8 StAG zu beurteilen ist, findet seine Erklärung darin, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ermessenseinbürgerung nach dieser Vorschrift nicht in vergleichbarer Weise verschärft worden sind und deshalb kein Bedürfnis für eine Begünstigung von Altantragstellern bestand. Die systematische Betrachtung rechtfertigt deshalb keine Einschränkung der Übergangsregelung des § 102 a AuslG, die sich aus dem Wortlaut ohnehin nicht ergibt.

Auch aus Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift lässt sich eine einschränkende Auslegung nicht herleiten.

Für das Einbürgerungsbegehren des Klägers ist deshalb nach Maßgabe des § 102 a AuslG die alte Rechtslage, also § 86 AuslG a.F. zu Grunde zu legen, der keine deutschen Sprachkenntnisse verlangt. Die Berufungsentscheidung, die zu Unrecht die Neufassung der §§ 85 ff. AuslG zu Grunde gelegt und den Einbürgerungsanspruch wegen mangelnder deutscher Sprachkenntnisse des Klägers verneint hat, kann deshalb keinen Bestand haben.