§ 53 Abs. 4 AuslG für alleinstehende kranke Irakerin christlicher Religionszugehörigkeit; bei § 53 Abs. 4 AuslG können auch Bürgerkrieg, innere Unruhen, bewaffnete Konflikte und rechtsstaatswidrige Verhältnisse berücksichtigt werden; § 53 Abs. 4 AuslG auch bei Gefahren anwendbar, die nicht in den Verantwortungsbereich des Zielstaates der Abschiebung fallen.(Leitsatz der Redaktion)
Aufgrund der gegenwärtigen politischen Verhältnisse droht der Klägerin derzeit und in absehbarer Zeit keine staatliche politische Verfolgung im Irak, so dass sie keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hat.
Die politische Situation im Irak hat sich durch die am 20. März 2003 begonnenen und am 2. Mai 2003 weitgehend beendeten Militäraktionen einer Koalition unter Führung der USA grundsätzlich verändert. Das Regime Saddam Husseins hat seine politische und militärische Herrschaft über den Irak verloren.
Der Irak stand zunächst unter Besatzungsrecht und wurde bis 27. Juni 2004 von einer Zivilverwaltung der Koalition, der CPA ("Coalition Provisional Authority") regiert.
Am 28. Juni 2004 hat der Leiter der amerikanisch geführten Zivilverwaltung im Irak, Bremer, die Macht an die irakische Übergangsregierung übergeben (vgl. FAZ vom 29. Juni 2004: "Der Irak wieder souverän"), nachdem sich bereits vorher der "irakische Regierungsrat" aufgelöst hatte (vgl. Die Welt vom 2. Juni 2004: "Übergangsrat nominiert neue Regierung"). Die Übergangsregierung soll bis zu den für Ende 2005 vorgesehenen allgemeinen Wahlen mit anschließender Regierungsbildung im Amt bleiben (vgl. Die Welt vom 3. Juni 2004: "Ende 2005 sollen Iraker endgültige Regierung wählen"). Die Umsetzung des Zeitplans hängt allerdings vor allem davon ab, inwieweit die unterschiedlichen Auffassungen der einzelnen Bevölkerungsgruppen miteinander vereinbart werden können. Es gibt aber keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass Angehörige des früheren Saddam-Hussein-Regimes in absehbarer Zeit in der Lage sein könnten, sich neu zu formieren und staatliche Verfolgungsmaßnahmen zu veranlassen.
Dagegen ist die Klage begründet, soweit die Klägerin die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG begehrt.
Gemäß § 53 Abs. 4 AuslG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, wenn sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 14. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seiner neueren Rechtsprechung (unter Anlehnung an die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, vgl. Entscheidung vom 7. Juli 1989 im Fall Soering, EuGRZ 1989, 314) entschieden hat, hat der Bundesgesetzgeber durch die deklaratorische Verweisung auf die EMRK in § 53 AuslG untersagt, einen Ausländer in einen außerhalb des Konventionsgebiets liegenden Drittstaat auszuliefern, auszuweisen oder abzuschieben, wenn ihm dort die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) droht. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die von § 53 Abs. 4 AuslG erfassten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote aus der EMRK als zwingende rechtliche Abschiebungshindernisse ausgestaltet, die bereits dem Erlass einer Abschiebungsandrohung in einen entsprechenden Zielstaat entgegenstehen (§ 50 Abs. 3 Satz 2 und 3 AuslG; vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Mai 2000 - 9 C 34.99 - NVwZ 2000, 1302).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, vgl. Nachweise bei Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Ordner 1, RdNr. 47 a zu § 53 AuslG) müssen konkrete und ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, der Betroffene werde in dem Staat, in den er ausgeliefert oder abgeschoben werden soll, unmenschlich behandelt. Auch ein Klima grober Menschenrechtsverletzungen oder von Gewalt reicht als solches nicht aus, solange sich diese Gefahr nicht konkret gegen den einzelnen richtet. Allerdings schließt dies auch die Berücksichtigung von Bürgerkriegssituationen, schweren inneren Unruhen, bewaffneten Konflikten, rechtsstaatswidrigen Verhältnissen u.ä. nicht aus, sofern sich daraus die konkrete Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung mit akuter Lebensgefahr ableiten lässt. Es sind also sowohl die allgemeine Lage im Zielstaat als auch die persönliche Situation des Ausländers heranzuziehen (vgl. EGMR, Entscheidung vom 30. Oktober 1991, Vilvarajah ./. UK, NVwZ 1992, 869). Unterscheidet sich die allgemeine Lage des Ausländers im Heimatstaat nicht von der der übrigen Bevölkerung, so ist die aufgrund der bekannt gewordenen Einzelfälle bestehende Möglichkeit einer unmenschlichen Behandlung für sich nicht ausreichend, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen (EGMR, Entsch. vom 30. Oktober 1991, a.a.O.).
Die Gefahr einer von Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung muss nicht von vorsätzlichen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt des Empfangsstaates oder von solchen nicht-staatlicher Organisationen bei mangelnder behördlicher Schutzgewährung in diesem Staat herrühren. Vielmehr greift Art. 3 EMRK angesichts seines absoluten Charakters auch dann ein, wenn die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung auf Umständen beruht, die weder unmittelbar noch mittelbar in den Verantwortungsbereich der Behörden des Empfangsstaates fallen (vgl. EGMR, Entsch. vom 17. Dezember 1996, Ahmed ./. Österreich, NVwZ 1997, 1100). Das Recht auf Abschiebungsschutz nach Art. 3 EMRK ist nicht zum Schutz der nationalen Sicherheit oder zur Terrorismusbekämpfung einschränkbar (EGMR, Entsch. vom 15. November 1996, Chalal ./. UK, NVwZ 1996, 1093).
Unter Berücksichtigung all dieser Vorgaben ist das Gericht der Überzeugung, dass im Falle der Klägerin konkrete und ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass ihr bei einer Rückkehr in den Irak - jedenfalls im Zeitpunkt der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage - unmenschliche und erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK drohen würde. Nach dem Ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Mai 2004 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak ist im Hinblick auf terroristische Anschläge die Lage nach Beendigung der Hauptkampfhandlungen vom 20. März bis Anfang Mai 2003 hochgradig instabil geworden. Anschläge mit Autobomben und Raketen finden täglich statt.
Die andauernden Kampfhandlungen haben auch zahlreiche Opfer unter Zivilisten gefordert.
Nach der SZ vom 30. Juni 2004 dauert die Gewalt im Irak auch nach der Machtübergabe an. Der Klägerin als alleinstehender, kranker Frau (vgl. Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Gedon, Solnhofen) droht nach Überzeugung des Gerichts unter den derzeitigen (chaotischen) Verhältnissen im Irak unmenschliche und erniedrigende Behandlung; denn die Klägerin kann bei der äußerst prekären Sicherheitslage im Irak nicht mit dem Schutz vor Übergriffen, etwa durch die irakische Polizei rechnen. Nach dem o.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes hat die irakische Polizei besonders hohe Verluste zu verzeichnen. Die amerikanischen Truppen können sich nicht ausreichend um die Sicherheit der Iraker kümmern, wie dem Bericht der SZ vom 29. Juni 2004 zu entnehmen ist. Es kommt noch hinzu, dass die Klägerin als Christin der Kollaboration mit den Amerikanern verdächtigt würde; Kollaboration mit den Amerikanern hat aber schon viele das Leben gekostet (vgl. Bericht der SZ vom 29. Juni 2004). Schließlich ist die medizinische Versorgung im Irak (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Mai 2004) "angespannt", so dass die Klägerin bei den ihr attestierten Leiden nicht ausreichend versorgt werden könnte.
Nach alledem wäre die Klägerin als alleinstehende, kranke Frau nach Überzeugung des Gerichts einem erheblich höheren Gefährdungsrisiko ausgesetzt als dies bei der übrigen Bevölkerung des Iraks der Fall ist.
Der Entscheidung, dass in einem Fall wie dem vorliegenden Abschiebungsschutz gem. § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK zu gewähren ist, steht auch nicht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Juli 2001 - 1 C 2101 - NVwZ 2001, 1420 entgegen. Denn zum einen geht es in diesem Urteil nur um das Verhältnis des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zu der verfassungskonformen Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zum anderen beruht im vorliegenden Fall die extreme Gefährdungslage der Klägerin nicht - nur - auf den allgemeinen Verhältnissen in dem Zielstaat Irak, sondern darüber hinaus auf der persönlichen Situation der Klägerin.