§ 53 Abs. 6 AuslG für psychisch erkrankte türkische Staatsangehörige, da nahtlose Fortsetzung der Behandlung nicht gesichert; Gesundheitssytem in schlechtem Zustand; Finanzierung der medizinischen Versorgung für Rückkehrer nicht sichergestellt.
§ 53 Abs. 6 AuslG für psychisch erkrankte türkische Staatsangehörige, da nahtlose Fortsetzung der Behandlung nicht gesichert; Gesundheitssytem in schlechtem Zustand; Finanzierung der medizinischen Versorgung für Rückkehrer nicht sichergestellt.
(Leitsatz der Redaktion)
Die Klage ist begründet, soweit sie sich auf Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bezieht.
Die Klägerin hat dargelegt, dass seit der letzten Entscheidung des Gerichts insoweit ein neuer Sachverhalt eingetreten ist, als bei ihr vom Vorliegen einer akut behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung auszugehen ist. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus den hier vorliegenden ärztlichen Attesten der Dr. Hartrnann und Dr. Fischer vom 12.05.2003 (Bl. 99 der Gerichtsakte) und vom 26.08.2004 der Dr. Hörr (BI. 100 der Gerichtsakte). Im ersten Attest wird der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, im zweiten Attest wird mitgeteilt, dass sich die Klägerin aufgrund dieser Erkrankung in stationärer Behandlung befindet und nicht verhandlungsfähig ist. Der Ausländerakte der Klägerin kann entnommen werden, dass sich die Klägerin seit dem 29.07.2004 in stationärer Behandlung befindet (Bescheinigung Dr. Hörr vom 29.07.2004, letztes Blatt der medizinischen Unterlagen). Dieses Ergebnis wird auch getragen von den Feststellungen des Kreisgesundheitsamtes des Kreises Bergstraße vom PJ 02.07.2004, in dem die Klägerin zwar als bedingt reisefähig eingestuft wird, eine Suizidalität und sonstige physische wie psychische Reaktionen auf eine Abschiebung nicht ausgeschlossen werden können.
Aufgrund dieser ärztlichen Stellungnahmen und Atteste steht für das Gericht fest, dass bei der Klägerin zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegt, so dass eine Abschiebung der Klägerin derzeit ausgeschlossen ist. Bei der im Fall der Klägerin derzeit gegebenen Sachlage besteht für diese eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben, insbesondere einer extremen Gefährdungssituation im Herkunftsland (BVerwG, Urt. v. 07.09.1999 - 1 C6/99 -, NVwZ 2000 = InfAuslR 2000, 16), nämlich der behaupteten und glaubhaft gemachten Gefahr, einer physischen wie psychischen Überreaktion auf die Rückführung in das Heimatland der Klägerin nach deren Abschiebung, die bis zum Suizid führen kann.
Eine Rückführung der Klägerin in die Türkei - die Reisefähigkeit einmal unterstellt - wäre nach der Überzeugung des Gerichts nur möglich, wenn die Klägerin sich in der Türkei sofort und ohne nennenswerte Unterbrechungen wieder in fachärztliche Behandlung begeben könnte. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen jedoch nicht erfüllt.
So führt das Auswärtige Amt in seinem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand: August 2003) auf Seite 57 aus: "Zum Niveau der medizinischen Versorgung in der Türkei gilt grundsätzlich: in den großen Städten und für Personen mit den erforderlichen Mitteln ist in der Türkei eine medizinische Versorgung ... im allgemeinen auf demselben Niveau möglich wie in Deutschland. Im Osten des Landes, außerhalb der Städte und/oder für mittellose Personen dagegen liegt das Versorgungsniveau unter dem deutschen." Nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) in der Lageanalyse von Mai 2003 zur Türkei ist die staatlich organisierte medizinische Versorgung katastrophal. Das staatliche Gesundheitssystem habe völlig versagt, die Kapazitäten in den staatlichen Krankenhäusern seien derart knapp, dass dringende Operationen erst nach Monaten ausgeführt werden könnten, außer die bedürftige Personen habe die notwendigen Mittel, um sich in einem Privatkrankenhaus oder in der Spezialabteilung eines staatlichen Krankenhauses behandeln zu lassen. Nach Einschätzung der EU vom Oktober 2002 und Januar 2003 ist das gegenwärtige Gesundheitssystem in der Türkei kostspielig und nicht besonders effektiv.
Eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz1 AuslG kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, Urteil vom 9.10.2002 - 1C 1/02 -, EZAR 043 Nr. 56 = AuAS 2003, 106). Dies kann sich auch daraus ergeben, dass er die Behandlungskosten nicht zahlen kann und dass es auch keine für ihn mögliche staatliche Unterstützung gibt. Dies würde nach Auffassung des Gerichts bei der Klägerin der Fall sein. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin oder ihre Familie die Mittel haben, um die erforderliche Behandlung in einem privaten Krankenhaus oder in einer "Spezialabteilung" eines staatlichen Krankenhauses zu bezahlen. Die an sich in der Türkei gegebene Möglichkeit, die Gesundheitskosten für Inhaber einer so genannten Grünen Karte (Yesil Kart) vom Staat tragen zu lassen (Gesetz Nr. 3816 vom 8.01.1992), scheidet wegen des Zeitaufwands bis zur Erlangung einer Grünen Karte für die Klägerin aus, die sich nach der Überzeugung des Gerichts sofort nach der Rückkehr in entsprechende stationäre fachärztliche Behandlung begeben müsste.