Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung aufgrund des Regimewechsels, wenn bereits im Zeitpunkt der Anerkennung eine inländische Fluchtalternative im Nordirak bestand; keine grundlegende Veränderung der Verhältnisse im Nordirak (im Anschluss an VG Stade, Urteil vom 24.6.2004 - 6 A 541/04 - ASYLMAGAZIN 9/2004, S. 22; vgl. dazu aber auch: BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 - ASYLMAGAZIN 11/2004, S. 35).
Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung aufgrund des Regimewechsels, wenn bereits im Zeitpunkt der Anerkennung eine inländische Fluchtalternative im Nordirak bestand; keine grundlegende Veränderung der Verhältnisse im Nordirak (im Anschluss an VG Stade, Urteil vom 24.6.2004 - 6 A 541/04 - ASYLMAGAZIN 9/2004, S. 22; vgl. dazu aber auch: BVerwG, Urteil vom 25.8.2004 - 1 C 22.03 - ASYLMAGAZIN 11/2004, S. 35).
(Leitsatz der Redaktion)
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat Erfolg.
Die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG liegen nicht vor; ebenso wenig ist eine Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahmeentscheidung gemäß § 48 VwVfG möglich, da die nach letzterer Vorschrift erforderliche Ermessensentscheidung in dem als gebundene Entscheidung ergangenen Widerrufsbescheid vom 27. Februar 2004 nicht vorgenommen wurde.
Das erkennende Gericht verweist zur näheren Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des VG Stade in seinem Urteil vom 24. Juni 2004 (Az.: 6 A 541/04, Fundstelle: beck-online), in welchem es in einem vergleichbaren Verfahren und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt hat: ...
Im Hinblick auf § 73 I AsylVfG fehlt es an einem Widerrufsgrund, da sich der Widerruf nicht auf eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse im Nordirak stützen lässt.
Nach der Rspr. des Nds. OVG (Urteil vom 08. 9.1998,9 L 2142/98) übte der irakische Staat aber bereits ab 1991 im Nordirak keine Gebietsgewalt mehr aus. Seit der Einrichtung der Flugverbotszone nördlich des 36. Breitengrades und des Rückzugs der irakischen Truppen im Jahre 1991 hat der irakische Staat Nordirak eine auf Dauer ausgerichtete, organisierte staatliche Herrschaftsmacht durchsetzen können. Auch die irakische Verwaltung und die irakischen Sicherheitsbehörden haben sich seinerzeit aus diesen Gebieten zurückgezogen (vgl. die Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 11.Oktober 1995 und 30.10.1995). Sie hatten deshalb mit einem eigenen Apparat keinen direkten Zugriff mehr auf Einwohner im Nordirak. Die Kurden kontrollierten und verwalteten den Nordirak. Sie übten dort eine de - facto - Autonomie aus. Für aus dem Nordirak stammende Kurden - wie hier der Kl. - bestand daher bereits zum Zeitpunkt des Bescheides vom 3. 7. 1997 eine inländische Fluchtalternative, die zur Rechtswidrigkeit der Zuerkennung des Abschiebungsschutzes nach § 51 I AuslG im Bescheid vom 3. 7. 1997 führt.
Wie das Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid zu Recht ausführt, hat sich die Lage im Nordirak seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein nicht grundlegend verändert. Im Nordirak hatte der Krieg insgesamt deutlich weniger negative Auswirkungen als für die anderen Landesteile. Die kurdische autonome Zone im Nordirak blieb von der militärischen Intervention weitgehend unberührt; es kam dort nicht zu größeren Kampfhandlungen. Die traditionellen Machtstrukturen haben sich in der ehemals kurdischen autonomen Zone auch nach Einschätzung des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid vom 16.3.2004 nicht verändert.
Auch wenn die kurdischen Vertreter aus dem Nordirak ein föderalistisches Modell im Irak anstreben, ist derzeit festzustellen, dass der seit Jahren bestehende kurdische status quo fortbesteht. Die Kurden im Nordirak behalten nach derzeitigem Erkenntnisstand ihr Kurdistan Regional Government. Sie verfügen weiterhin über Peshmerga-Milizen, eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit sowie Steuereinnahmen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak, Die aktuelle Lage vom 24. 5. 2004, S. 3). Zudem treten viele Kurden weiterhin für eine Unabhängigkeit des kurdischen Nordirak ein.
Vor diesem Hintergrund ist derzeit nicht erkennbar, dass die irakische Übergangsregierung die Gebietsgewalt über den Nordirak innehat.
Entgegen der Auffassung des Bundesamtes rechtfertigt allein eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Zentralirak durch den Wegfall des Regimes von Saddam Hussein einen Widerruf des Abschiebungsschutzes im vorliegenden Fall nicht. Wenn damit auch formal der Grund für den mit Bescheid vom 3. 7.1997 ausgesprochenen Abschiebungsschutz gem. § 51 I AuslG wegen drohender Verfolgung auf Grund der erfolgten Asylantragstellung tatsächlich entfallen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 26.04.2004 - A 2 S 172/02 -), hat dieser Umstand nicht ursächlich zum Wegfall der angenommenen Verfolgungsgefahr geführt, denn seinerzeit bestand diese Verfolgungsgefahr bereits auf Grund der fehlenden Gebietsgewalt der irakischen Sicherheitskräfte im Nordirak nicht. Der Sturz des Regimes von Saddam Hussein hat mithin im vorliegenden Fall das Entfallen der angenommenen Verfolgungsgefahr nicht berührt.
Der Auffassung, dass es im vorliegenden Fall an einem Widerrufsgrund mangelt, steht auch die Rspr. des BVerwG nicht entgegen. Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 19. 9.2000 - BVerwG 9 C 12.00 - (a.a.O.) ausgeführt, dass in Fällen, in denen eine Anerkennung rechtswidrig gewährt wurde, weil eine tatsächlich vorhandene ausländische Fluchtalternative nicht beachtet wurde oder eine Gruppenverfolgung rechtlich unzutreffend angenommen worden sei, § 73 I AsylVfG anzuwenden sei, wenn ein späterer politischer Systemwechsel die zugrunde gelegte Verfolgungsgefahr nunmehr eindeutig landesweit entfallen lasse.
Daran fehlt es jedoch im vorliegenden Fall, da die vom Bundesamt mit Bescheid vom 3. 7.1997 angenommene Verfolgungsgefahr seinerzeit wie dargelegt landesweit nicht bestand. Von daher bleibt der im Irak eingetretene politische Systemwechsel für die damals angenommene Verfolgungsgefahr ohne Einfluss.